Kabinettsumbildung in Frankreich:Manuel Valls - der Mann ohne Teamgeist

Frankreichs Präsident François Hollande zieht die Konsequenzen aus der Wahlschlappe seiner Sozialisten. Er baut sein Kabinett um und befördert den populären Manuel Valls zum Premierminister - ausgerechnet den Mann, der mit seinem Ehrgeiz Kollegen auf die Nerven ging.

Von Christian Wernicke, Paris

Er will stark sein. Mit strengem, fast starren Blick schaut François Hollande in die Kamera, als er am Montagabend zur Nation spricht. "Ich habe Ihre Botschaft verstanden, sie ist klar" sagt der Präsident, als er vom Wahldesaster des Wochenendes spricht. Nun aber beginne "eine neue Etappe", denn: "Ich habe Manuel Valls mit der Führung der Regierung Frankreichs beauftragt." Dann macht der Sozialist ein paar Versprechen, er will die Zukunft gewinnen. Aber im Kern sagt er: Kein Schlingern, der neue Kurs ist der alte - "Vive la France!" Abgang.

22 Stunden zuvor hat die Nation eine andere Gestalt erlebt. Sie sieht aus wie ein Verlierer. Jean-Marc Ayrault lässt die Schultern hängen, sein Gesicht wirkt blass, trotz der Schminke, die sie ihm vor dem TV-Auftritt auf die Haut gepudert haben. Die Nacht ist bereits angebrochen über Paris, als Frankreichs Premierminister am späten Sonntag vor die Kameras tritt. "Dies ist eine Niederlage für die Regierung", sagt der Sozialist. Der Premier spricht mit tonloser Stimme. Aber er redet Klartext.

Ayrault nennt es "die Wahrheit". Die desaströse Niederlage seiner Partei bei den Kommunalwahlen deutet Ayrault als eine Folge der Unzufriedenheit vieler Stammwähler. Ein wenig scheint er sich sogar zu verneigen, da er Minuten später "die Leiden und die Verzweiflung" und "die Ängste und angestauten Frustrationen" vieler seiner Landsleute erwähnt. Wie ein Sünder nimmt er Schuld auf sich. Man habe den Franzosen nicht ausreichend erklärt, wie tief die Nation in der Krise stecke. "Das ist eine kollektive Verantwortung", spricht der einsame Mann ins Mikrofon, "und ich trage meinen Teil davon."

Zwölf Stunden später ist Ayrault nicht mehr nur ein Verlierer. Er ist der Verlierer. Am Montagvormittag eilt der getreue Regierungschef zum Rapport in den Élysée-Palast, um von Hollande zu erfahren, dass seine Zeit abgelaufen sei. Und erfährt noch eine Demütigung: Dass Manuell Valls an seinen Platz rücken wird, der bisherige Innenminister. Ausgerechnet Valls - jener Ehrgeizling, der mit seiner ruppigen Art, seiner Lust nach rechts-abweichlerischer Provokation und medialem Echo den Kabinettskollegen auf die Nerven ging. Ein Mann ohne Teamgeist als neuer Mannschaftskapitän.

Ayrault hat das zu verhindern versucht. Und hat ein letztes Mal für sich geworben in den knapp zwei Stunden bei Hollande. Der Mann, den Spötter in Paris "das Wildschwein" nennen, weil er selbst angeschossen keinen Kampf aufgebe, soll seine "absolute Loyalität" und "die erreichten Reformen" in die Waagschale geworfen haben. Vergeblich, der biedere Sozialdemokrat muss gehen. Das geplante Mittagessen wurde abgesagt. Für Ayrault wäre es eh nur ein unwürdiges Abendmahl gewesen.

Hollande muss Opfer bringen

Hollande, der einsame Zauderer, muss Opfer bringen. Menschenopfer, um sich und seine Präsidentschaft zu retten. 22 Monate nach seiner umjubelten Wahl im Mai 2012 blickt der Sozialist auf einen Scherbenhaufen. Der unpopuläre Präsident hat seine Sozialisten (PS) in eine historische Niederlage geführt. 155 Mittel- und Großstädte fielen in der Wahlnacht an die Rechte, mindestens elf davon an den rechtsextremen Front National. Laut Umfragen sprengen Misstrauen und Groll gegenüber den Mächtigen in Paris alle historischen Negativrekorde. Und der Mann im Élysée hat kaum noch politischen Spielraum: Die eigene Linke beginnt zu rebellieren, aber Hollande hat versprochen, massiv zu sparen und die Arbeitgeber - im Tausch gegen mehr Jobs - steuerlich zu entlasten. Diese sozialdemokratische "Wende" hatte der Präsident als "Pakt der Verantwortung" verkündet. Würde er jetzt tun, was viele Parteifreunde fordern und den Pakt brechen, wäre er völlig blamiert.

Als Ausweg, als Beweis für sein "Ich habe verstanden" bleibt dem Präsidenten nur der Personalwechsel. Also Valls. Der 51-jährige Rechtsaußen der Partei ist zwar bei vielen Genossen verhasst, beim Volk aber beliebt. Seit dem Herbst wurden aus dem Élysée Gerüchte gestreut, Valls könne den matten Premier ablösen. Präventiv legten die Grünen, immerhin Regierungspartner und bei der Wahl am Sonntag erstaunlich stark, schon Protest ein. Vergeblich.

Hollande vernahm es und soll gelächelt haben. Die ganze vorige Woche hatte der Präsident mit Vertrauten über das Personaltableau gebrütet. Kleiner, schlagkräftiger, solle das Kabinett sein. Aber selbst Vertraute sagen, Hollande hüte seine Geheimnisse wie einst nur François Mitterrand. "Es ist wichtig, frei zu sein", hat Hollande einmal gesagt, "um in Ruhe eine gute Entscheidung zu treffen." Er bleibt gern vage. Beim Amtsantritt 2012 hatte Ayrault ihm geraten, schonungslos Frankreichs marode Finanzen und den "teilweise heruntergekommenen Zustand unserer Industrie" zu offenbaren. Der Präsident winkte ab. Auch diese Scheu rächte sich am Sonntag.

Jetzt, am Montagabend im Fernsehen, holt der Präsident Versäumtes nach. Er spricht von der "unverzichtbaren Wiederaufrichtung des Landes", vom nötigen "Umbau des Staates", also vom Sparen. Und er diagnostiziert eine "staatsbürgerliche, ja sogar moralische Krise" der Republik, wenn deren Institutionen "und sogar die Justiz angefochten werden". Das sind Seitenhiebe auf die Gegner: Auf seinen Vorgänger Nicolas Sarkozy, der neulich Untersuchungsrichtern Stasi-Methoden nachsagte, und natürlich auf Marine Le Pen und den rechtsextremen Front National. "Frankreich vergeudet seine Energie in sinnlosen Streitereien", spricht das Staatsoberhaupt, "und die Extremen nutzen dies, um Hass und Ablehnung zu schüren." Das werde er nicht zulassen.

So kommt Hollande am Ende seiner Rede wieder zum Anfang. Zur "neuen Etappe", die er nun ohne den alten Fahrensmann Ayrault beginnt. Er möchte zurück zu den Zeiten, da die Seinen ihm noch nicht mit Argwohn beäugten. "Ich vergesse nicht, wer mir vertraut hat - weder wer mich gewählt hat noch warum." Das klingt nicht so, als würde Hollande künftig zu vielen Kompromissen mit der Rechten bereit sein. Selbstverständlich hat der Präsident in seiner kurzen Ansprache auch knapp Jean-Marc Ayrault gedankt. Dem Geschiedenen, dem Geschassten. Nur, zehn Minuten später, am Ende der Botschaft aus dem Élysée, schien der vergessen zu sein. "Vive la République!"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: