Frankreich nach den Kommunalwahlen:Hollande zieht seinen letzten Trumpf

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François Hollandes neuer Premier Manuel Valls (links) sorgt in den Reihen seiner Partei für Unstimmigkeiten. (Foto: AFP)

Das Votum ist vernichtend. Die Franzosen haben François Hollande bei der Kommunalwahl ihre Enttäuschung ins Gesicht geschrien. Seither treibt den Parteichef der Sozialisten der Mut des Verzweifelten. Mit Manuel Valls als Premier setzt er alles auf eine Karte.

Ein Kommentar von Christian Wernicke, Paris

Angst macht Beine - und Verzweiflung macht Mut? François Hollande jedenfalls, Frankreichs chronisch entscheidungsscheuer Präsident, scheint so zu ticken. In der Stunde ärgster Not wirkt er klarer, kraftvoller und ja: klüger denn je. Am Sonntag haben ihm die Franzosen, per vernichtendem Votum bei den landesweiten Kommunalwahlen, ihre Enttäuschung über die ersten 22 Monate seiner Präsidentschaft ins Gesicht geschrien. Seit Montag handelt Hollande: Er tauscht seinen Premierminister aus, baut die halbe Regierung um. Und er beschwört, mit einer für diesen politischen Kaltblütler untypischen Leidenschaft, den Zwang zu Reformen.

"Wieder aufrichten" will Hollande seine lahmende Wirtschaft und mithin seine Nation, diesen Lazarus Europas. Lange Zeit hatte der Mann anders geklungen. Als sozialistischer Kandidat malte er einen himmelblauen Wandel aus (weg von Vorgänger Sarkozy!). Die überfälligen Veränderungen hingegen (Abbau des verkrusteten Staatsapparats oder Einschnitte bei den überschuldeten Sozialkassen) mied er. Die Reförmchen blieben ungenügend. Jetzt, nach fast zwei Jahren an der Macht, rennt er der verlorenen Zeit hinterher. Würde er weiter zaudern und zögern: der wirtschaftliche Niedergang Frankreichs, der politische Untergang seiner selbst stünde auf dem Spiel.

Nun versucht Hollande den Neustart, verkündet "eine neue Etappe". Der vorsichtige Taktiker mutiert zum Pokerspieler - und setzt alles auf eine Karte. Manuel Valls heißt der Joker, den der Präsident ausgespielt und am Dienstag ins Amt gehoben hat. Die Person passt zum Programm, dem sich Hollande verschrieben hat: Der bisherige Innenminister etikettiert sich selbst als einen "Sozialliberalen", mit Lust hat sich der 51-Jährige in den eigenen Reihen als Rechtsaußen profiliert. Vor fünf Jahren ärgerte er seine Genossen mit dem Vorschlag, den Namen seiner "Parti Socialiste" (PS) zu ändern - der Begriff Sozialismus kam ihm "überholt" vor. Seine wirtschaftspolitischen Ideen ähneln einem Gedankengut, das man in Deutschland unter "soziale Marktwirtschaft" zusammenfasst.

Hollande ist von seinem höchsten Untertan abhängig

Zugleich beweist die Personalie Valls, welch hohe Risiken François Hollande bereit ist einzugehen, um seine Präsidentschaft zu retten. Als unpopulärstes Staatsoberhaupt in der Geschichte der V. Republik wagt es Hollande, den beliebtesten Minister neben sich zu stellen und zum zweiten Mann im Land zu küren. Der neue Premier hat nie verhehlt, dass er sich selbst - irgendwann - zur Nummer eins im Land berufen fühlt. Hollande weiß das, er wird seinen höchsten Untertan mit Argwohn beobachten. Aber er ist in seiner Not von Valls abhängiger, als er es von dessen Vorgänger Jean-Marc Ayrault je war. Vor der Präsidentschaftswahl 2017 wird sich Hollande kaum einen dritten Premier leisten können.

Das ist noch lange hin. Dringlicher, explosiver ist das zweite Risiko, das Valls beschert: die Linken drohen mit dem Aufstand. Bei der desaströsen Kommunalwahl hatten vor allem die Stammwähler der Sozialisten - die Arbeiter und kleinen Angestellten in den grauen Vorstädten - ihre Stimme verweigert. Sie sind enttäuscht, dass Hollande keine neuen Jobs geschaffen und seine vollmundigen Wahlversprechen nicht eingelöst hat. Die kalte Wut, die Verbitterung, die sich da angestaut hatte, verändert nun Frankreichs politische Landkarte.

Der rechtsextreme Front National fühlt sich stark wie nie, die PS verlor 155 Städte an die rechte Opposition. Da wurde ausradiert, was Hollande bisher stolz als das Lebenswerk seiner ersten Karriere vorzeigte: Als Parteichef der Sozialisten hatte er mühevoll die Linke zur stärksten Kraft in Frankreichs Rathäusern gemacht. Alles dahin.

Ungeduldig forderte die Parteilinke, Hollande solle Reue zeigen - und etwa den Geldhahn öffnen, um mit neuen Schulden neue Wohltaten zu finanzieren. Stattdessen gab es nur ein paar vage Zusagen vom Präsidenten, verpackt als "Pakt der Solidarität". Und nun Valls. Seither rumort und brodelt es im linken Lager; die Grünen weigerten sich am Dienstagabend, die Koalition fortzusetzen.

Noch in diesem Monat muss Hollandes "neue Etappe" ihre erste Prüfung überstehen. In zwei Wochen wird die Regierung massive Haushaltskürzungen bekannt geben. Ende April steht dann der "Pakt der Verantwortung" zur Abstimmung, ein Reformpaket, das vor allem die Unternehmen entlastet. Hollande wagt den Showdown mit der Linken. Im Parlament will er seinen Pakt mit der Vertrauensfrage für die neue Regierung Valls verknüpfen. Der Präsident kann gewinnen. Aber sein ungewöhnlicher Mut beweist, wie groß seine Verzweiflung ist.

© SZ vom 02.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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