Berufsbild des Piloten im Wandel:Nur der ewige Jetlag ist geblieben

EU-Gericht urteilt über Zwangs-Ruhestand von Piloten

Piloten müssen heute vor allem die komplexe Technik im Flugzeug beherrschen. (Im Bild: zwei Lufthansa-Piloten im Cockpit eines Airbus A380)

(Foto: dpa)

Sie haben es heute einfacher und zugleich schwerer: Stundenlang brauchen Flugzeug-Kapitäne sich um nichts zu kümmern. Im Ernstfall aber ist ihr fliegerisches Können gefragt - und zwar sofort.

Von Jens Flottau

Wenn es einen Moment gibt, der das Idealbild des Pilotenberufs zeigt, dann ist es der 15. Januar 2009 um 15.32 Uhr Ortszeit. Gerade ist der US Airways-Flug 1549 in New York auf dem La-Guardia-Flughafen gestartet, da kreuzen Kanadagänse seinen Weg. Der Schwarm fliegt in beide Triebwerke, die daraufhin ausfallen. Kapitän Chesley Sullenberger machen die nächsten Sekunden weltberühmt. Er landet den Airbus A320, der zum Segelflugzeug geworden ist, auf dem Hudson River - alle Insassen überleben.

Oder Richard de Crespigny, der ein gutes Jahr später mit seinem Qantas-Airbus A380 in Singapur startet. Nach wenigen Minuten explodiert eines der Triebwerke und beschädigt die Tragfläche und den Rumpf stark. De Crespigny und seine Crew bringen den havarierten Jet mit vereinten Kräften zurück auf den Boden: Kaum jemals zuvor hatte jemand ein so stark beschädigtes Flugzeug wieder gelandet.

Sullenberger und de Crespigny taten, was Piloten idealerweise können sollten: im entscheidenden Moment nach Tausenden Routine-Flugstunden und Hunderten durchflogenen Nächten einen kühlen Kopf bewahren, alles richtig machen und Leben retten. Dies waren Extremsituationen und fast beispiellos gute Reaktionen. Der Alltag für Piloten ist - gewiss glücklicherweise - weniger spektakulär. Kaum ein Pilot wird jemals solch dramatische Situationen erleben.

Früher gab es noch eine Menge zu tun

Viele erleben in ihrer gesamten Karriere nicht einmal einen Triebwerksausfall. Fliegen ist so unglaublich sicher, reglementiert und automatisiert worden, dass sich die Rolle der Piloten im Cockpit stark verändert hat. Das macht es aber nicht unbedingt leichter.

Früher einmal, als Sullenberger und de Crespigny ihre Karrieren begannen, da gab es noch eine Menge zu tun. Man flog zu dritt mit einem Flugingenieur, der alle Systeme regeln sollte, vor allem die Triebwerke. Es gab zwar einen Autopiloten, der das Steuern im Reiseflug übernahm, aber es musste ständig gerechnet werden, wie der Spritverbrauch ist, ob die Position stimmt, wann der Treibstoff von einem in den anderen Tank gepumpt werden muss. Die Boeing 737 oder die McDonnell Douglas DC-9 wurden mit kleinen Fenstern über den Frontscheiben gebaut - für die Navigation nach den Sternen.

All das ist längst passé, nur der ewige Jetlag, mit dem manche besser und manche schlechter umgehen können, ist geblieben. Die Begleitumstände sind stressiger geworden. Lange Pausen über Tage an einem netten Zielort gibt es kaum mehr. Meistens heißt es für Langstreckenpiloten: am Vormittag die acht Stunden hinüber nach New York oder die zehn nach Chicago, eine Nacht im Hotel und am nächsten Tag zurück. Manchmal sind zwei Nächte drin, wenn die Strecken länger sind.

Das meiste im Fliegeralltag ist automatisiert. Ein Knopfdruck kurz nach dem Start genügt, und die Maschinen fliegen eine vorgegebene Route ab, die die Piloten unterwegs noch korrigieren können, wenn sie dem Autopiloten neue Vorgaben machen. Selbst landen können Flugzeuge längst automatisch - Piloten müssen sich mit komplexen Systemen auskennen, überwachen, aber kaum mehr fliegen.

Flieger-Fähigkeiten drohen verloren zu gehen

Organisationen wie die Flight Safety Foundation (FSF) beklagen, dass die grundlegenden Fähigkeiten, ein Flugzeug zu steuern, verloren zu gehen drohen und im Ernstfall nicht mehr abzurufen sind, weil sie so gut wie nie gebraucht werden. Alte Hasen wie Sullenberger und de Crespigny können es noch.

Dem Selbstverständnis der Piloten hat der Wandel aber keinen Abbruch getan. Bei den meisten Airlines begreifen sie sich nach wie vor als die Elite, diejenigen, auf die es ankommt da vorne hinter der schusssicheren Cockpittür. Diejenigen, die in einer Welt spezieller Fähigkeiten und Anforderungen arbeiten, die sich Außenstehenden nicht erschließen kann, die nicht zur Kaste gehören. Und die, weil sie so speziell sind, auch besonders viel verdienen, immer noch in ziemlich edlen Hotels übernachten müssen und viele Jahre vor allen anderen in den Ruhestand gehen dürfen. Bei kaum einer Airline ist das Verhältnis zwischen Piloten und dem Rest der Mitarbeiter gut, sie werden eher misstrauisch beobachtet. Die Argumente für die hohe Bezahlung erschließen sich vielen nicht.

Was im Cockpit gut ist, kann in Tarifverhandlungen mühsam sein

Die Gehälter sind nicht überall so hoch. Piloten bei kleineren Gesellschaften müssen sich zumindest anfangs mit wenig Geld durchschlagen und kommen auch als erfahrene Kapitäne nicht annähernd auf 250 000 Euro und mehr, die Lufthansa, Air France und einige andere Branchengrößen gegen Ende der Karriere bezahlen. Diese Piloten sind dann eher auf dem Level, auf dem andere Berufe mit hoher Verantwortung und Spezialisierungsgrad wie Oberärzte oder Ingenieure zu finden sind.

Was vor allem Sullenberger so ausgezeichnet hat, war die Fähigkeit, die Lage zu analysieren und schnelle Entscheidungen zu treffen: ja oder nein, links oder rechts, an oder aus. Manager von Fluggesellschaften beklagen sich oft hinter vorgehaltener Hand, dass, was im Cockpit gut ist, im echten Leben oder auch in echten Tarifverhandlungen mühsam sein kann. Sie müssen mit Leuten verhandeln, in deren Beruf Fähigkeiten wie langes Abwägen oder Kompromisse zu finden nicht gerade gefragt sind. Eher gilt: Dafür oder dagegen?

Zurzeit sind alle dafür. 97 Prozent der Lufthansa-Piloten wollen für höhere Gehälter streiken und 99 Prozent wegen des Konfliktes um die Übergangsversorgung. Es ist also nicht so, dass die Führung der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) eine kleine, radikale Minderheit darstellt.

Was manche so denken

Als sich Piloten und Lufthansa im Jahr 2010 zum letzten Mal so richtig stritten, da konnte man in den einschlägigen Online-Foren der Piloten verfolgen, was manche so denken. Er habe sich noch nie in seiner beruflichen Existenz so sehr gefährdet gefühlt wie in diesem Moment, schrieb ein Airbus-A320-Kapitän der Lufthansa. Ein anderer meinte, die Firma wolle die Piloten ein für alle Mal einen Kopf kürzer machen. Es ging um die Frage, bis zu welcher Flugzeuggröße die schlechter bezahlten Kollegen der Regionaltöchter eingesetzt werden dürfen. Schwer verständlich, wo die existenzielle Bedrohung genau liegen sollte, zumal Entlassungen sowieso ausgeschlossen waren.

Es ist dieses Mal nicht anders. Die Lufthansa will die Übergangsversorgung für die Zeit zwischen dem Ausscheiden aus dem Flugdienst und der gesetzlichen Rente so regeln, dass sich die Piloten ein bisschen an den Kosten beteiligen sollen. Das Ergebnis spüren jene 425 000 Passagiere, die in diesen Tagen auf Lufthansa-Flüge gebucht waren. Kaum einer wird fliegen. Es ging dem Unternehmen gar nicht darum, die Versorgung oder das frühere Ausscheiden aus dem Flugdienst ganz abzuschaffen (wie nicht wenige befürchten), sondern nur die finanziellen Lasten anders zu verteilen. Selbst der größte Sanierer bei Lufthansa hat nicht vor, alle zum Fliegen bis zum 65. Lebensjahr zu zwingen, um die Übergangsversorgung einzusparen.

Der Hudson-Pilot Chesley Sullenberger hat im Alter von 59 Jahren mit der Fliegerei aufgehört. Er schreibt nun Bücher und verdient mit Vorträgen gutes Geld.

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