Bundestagsdebatte zum Rentenpaket:Die Jungen zahlen und schweigen

Bundestagsdebatte zum Rentenpaket: Jugendliche Besucher auf der Besucherplattform in der Reichstagskuppel: Experten kritisieren, dass die Jungen unter den Plänen der Regierung leiden müssen.

Jugendliche Besucher auf der Besucherplattform in der Reichstagskuppel: Experten kritisieren, dass die Jungen unter den Plänen der Regierung leiden müssen.

(Foto: Imago Stock&People)

Mütter und Alte liegen der Bundesregierung am Herzen: 160 Milliarden Euro kostet das Rentenpaket bis 2030. Und was ist mit den jungen Menschen? Das Thema Generationengerechtigkeit spielt bei der Debatte im Bundestag kaum eine Rolle. Nur die Grünen ärgert das.

Von Benjamin Romberg, Berlin

Ausnahmsweise hat es Andrea Nahles (SPD) mal nicht so eilig. Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales ist am Donnerstagmorgen eine der ersten im Plenum des Bundestags. So ist noch Zeit für einen kleinen Plausch mit dem Unions-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, bevor Nahles zum Rednerpult schlendert.

Sie lächelt, genießt den Applaus der Kollegen aus der großen Koalition. Dann verkündet sie stolz: "Wir halten Wort." Ergänzen könnte man noch: und das überraschend fix.

Denn Nahles ist bislang als Turbo-Ministerin aufgetreten. Das Mindestlohn-Gesetz hat sie bereits vorgestellt, ihr Rentenpaket ist schon lange in einen Gesetzestext gegossen.

Bereits einen Monat nach Amtsantritt legte Nahles den Entwurf dazu vor. Sie selbst sprach von einem "Husarenritt". Zum 1. Juli soll das Paket in Kraft treten, nun wird darüber erstmals im Bundestag debattiert.

Die Kernpunkte:

  • Die abschlagsfreie Rente mit 63 für jene, die 45 Jahre lang Beiträge gezahlt haben
  • Die Mütterrente, ein Zuschlag für Mütter mit Kindern, die vor 1992 geboren wurden
  • Zudem soll die Erwerbsminderungsrente für arbeitsunfähige Menschen erhöht werden, ebenso das Budget für Rehabilitationsausgaben

Einige Fragen sind noch offen. Etwa: Wie lässt sich eine Welle von Frühverrentungen verhindern? Für die Rente mit 63 werden auch Zeiten berücksichtigt, in denen Beitragszahler Arbeitslosengeld I erhalten haben. Theoretisch wäre es also möglich, mit 61 die Arbeit zu beenden, noch zwei Jahre Arbeitslosengeld zu beziehen und dann in Rente zu gehen.

Eigene Lösungen für das Problem hat Nahles nicht anzubieten; sie zeigte sich lediglich offen für Vorschläge. Mit solch nervigen Details will sie sich jetzt auch nicht aufhalten.

Anekdoten als Belege

Vor allem mit Anekdoten versucht Nahles zu belegen, was ihr Paket für ein Erfolg sei. Sie erzählt von Müttern, die ihr danken. Von berufstätigen Frauen, die sich auf die Rente mit 63 freuen. Und ja, sie habe auch junge Menschen getroffen - die seien gar nicht sauer. Für die Schulklassen auf den Zuschauertribünen im Bundestag dürfte das - sofern sie sich bereits Gedanken um die Zukunft gemacht haben - leicht befremdlich klingen. Ebenso wie der weitere Verlauf der Debatte, in der zumeist ergraute Herren der Union über Generationengerechtigkeit sprechen.

Generationengerechtigkeit? Es ist allein den Grünen zu verdanken, dass dieses kontroverse Thema kurz ernsthaft diskutiert wird.

"Sie dürfen das Wort Generationengerechtigkeit bis zum Ende Ihres Lebens nicht mehr in den Mund nehmen", schießt Markus Kurth, Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales, in Richtung Union. Er verweist auf steigende Beitragssätze, die das Rentenpaket der Bundesregierung verursacht.

"Fragen Sie mal die 20-Jährigen", fordert die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Bei den jungen Menschen fehle das Vertrauen in das Rentensystem, sagt sie. "Das Paket ist zukunftsvergessen."

Tatsächlich ist das Rentenpaket vor allem eines: teuer. Kein Vorhaben in dieser Wahlperiode kostet mehr. 160 Milliarden Euro sind bis 2030 eingeplant. Am teuersten ist dabei die Mütterrente. Die Mehrausgaben hierfür sollen allein im kommenden Jahr bei fast sieben Milliarden Euro liegen. Finanzieren will die Koalition das Projekt aus den Reserven der Rentenversicherung und mit einem höheren Zuschuss des Bundes in die Rentenkasse. Zudem soll die eigentlich fällige Senkung des Rentenbeitrags von 18,9 auf 18,3 Prozent ausgehebelt werden.

Experten kritisieren, dass die Jungen - die künftigen Rentnergenerationen - unter den Plänen der Regierung leiden müssen. Höhere Beiträge, weniger Rente - es wäre interessant, zu erfahren, mit wem Nahles gesprochen hat, welche jungen Leuten sich darüber keine Sorgen machen.

Auch innerhalb der Regierung gab es Ärger. Viele Mitglieder der Jungen Union (JU) finden das Paket ungerecht. Auch die Unions-Bundestagsabgeordneten Philipp Mißfelder (34), selbst JU-Chef, und Jens Spahn (33), sind eigentlich dagegen. Beide äußern sich aber am Donnerstag nicht. Stattdessen sprechen andere, ältere Abgeordnete mit viel Pathos über die Bedeutung von Müttern für die Gesellschaft und die Leistung von älteren Menschen.

Der Tenor bei der Linken: Gut, dass die große Koalition so viel Geld ausgibt - schlecht, dass sie nicht noch mehr aufwendet. Matthias W. Birkwald etwa findet die Unterschiede bei der Mütterrente zwischen Ost und West "beschämend". Auch fordert er, dass Hartz-IV-Empfänger bei der Rente mit 63 nicht benachteiligt werden dürften. Bei der Berechnung der Beitragsjahre werden nach den Plänen der Regierung zwar kürzere Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigt, in denen Menschen Arbeitslosengeld I erhalten; Langzeitarbeitslose, die Hartz IV beziehen, fallen aus der Regelung aber heraus. Birkwald kritisiert: "Was ist der Unterschied zwischen einem Maurer, der viermal ein Jahr arbeitslos war, und einem, der einmal vier Jahre arbeitslos war?"

Junge Menschen sind aber auch bei der Linken kein Thema. Liegt das vielleicht am Alter der Abgeordneten? Festrednerin Nahles unterschätzt die Lebenserfahrung ihrer Kollegen jedenfalls, beinahe wäre ihr ein Fauxpas unterlaufen: Keiner der Anwesenden im Bundestag arbeite seit 45 Jahren, sagt sie, um die Leistung der Älteren in der Gesellschaft zu würdigen. Es wird unruhig im Plenum, die Kollegen protestieren: Doch, der Schäuble, der sei doch schon ewig dabei.

Das ist er. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist der dienstälteste Parlamentarier. Doch Nahles lag trotzdem nicht falsch. Seit 41 Jahren ist der 71-Jährige dabei, der auch heute im Plenum sitzt. Nahles gibt außerdem zu bedenken: "Herr Schäuble hat nicht in die Rentenversicherung eingezahlt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: