Russische Armee:Abgespeckt und aufgerüstet

Russische Armee

Neue Ausrüstung für Russlands Soldaten

(Foto: Andrey Kronberg/AFP)

Den Krieg gegen Georgien vor sechs Jahren hat Russland zwar gewonnen, doch Moskaus Armee zeigte sich in marodem Zustand. Nun soll Schluss sein mit alten Panzern, überholter Ausrüstung und trägen Soldaten: Russland investiert Milliarden ins Militär.

Von Frank Nienhuysen

Vielleicht liegt der Grund für die Wende in Südossetien verborgen. Es gab ja genug bittere Momente in der jüngsten russischen Militärgeschichte. Fünf Tage dauerte der Krieg gegen Georgien vor sechs Jahren, und wenn Russland ihn auch militärisch gewann, so gab es doch auch dies: alte, müde Panzer, die es erst gar nicht bis aufs Schlachtfeld schafften. Kampfjets, die abstürzten. Soldaten, die wegen schlechter Technik ihre Kameraden kaum verstanden. Langstreckenbomber, die eingesetzt wurden, weil das Militär keine modernen, unbemannten Marschflugkörper besaß.

Doch nun zittert Europa vor den russischen Truppen. Zehntausende Soldaten säumen drohend die ukrainische Grenze - was könnte die Moskauer Generäle mehr mit Stolz erfüllen als diese sorgenvolle Einschätzung eines amerikanischen Generals, des Nato-Oberkommandierenden Philip Breedlove, der sagte: Innerhalb von drei bis fünf Tagen könnte Russland mit seinen Truppen all seine Ziele in der Ukraine erreichen.

Der Vorgänger von Präsident Wladimir Putin, Dmitrij Medwedjew, musste noch den "schlechten Zustand" der russischen Armee verdauen, wie er einräumte. Jetzt verbreitet der Kreml wieder positive Botschaften. Die "Vorgänge auf der Krim haben die neuen Möglichkeiten unserer Streitkräfte und die hohe Moral der Truppe bewiesen", bescheinigte Putin als Oberbefehlshaber der Streitkräfte seinem Verteidigungsminister Sergej Schojgu. Dass es bei der Einnahme der ukrainischen Halbinsel praktisch keine Gegenwehr gab, spielt keine Rolle.

Nun taugt Russlands Armee offenbar wieder für Patriotismus

Nach Jahren der Demütigungen und des Spotts über die heruntergekommene Truppe, über träge, übergewichtige, unterbezahlte Soldaten ohne Disziplin, taugt die Armee in Russland nun offenbar wieder für Patriotismus. Sogar der sonst so kritische Militärexperte Alexander Golz schrieb: "Als Ergebnis der Armeereform hat Russland die absolute Vormachtstellung über jedes beliebige Land der ehemaligen Sowjetunion." Es sei die radikalste Militärreform in den letzten 150 Jahren.

Russland speckt ab - und rüstet auf: Es verkleinert seine Massenarmee, strafft das Offizierskorps, setzt nun auf eine flexiblere, dafür besser ausgestattete Armee mit mehr Zeitsoldaten statt Wehrpflichtigen - und mehr Sold. Die zweite Säule ist die Erneuerung der strategischen Nuklearstreitkräfte. Denn ohne Atomwaffen würde selbst die russische Militärführung Barack Obama wohl recht geben, der neulich sagte, Russland sei eine regionale Macht.

Das alles kostet viel Geld, etwa 70 Milliarden Dollar hat Russland im Militärhaushalt eingeplant. Mehr haben nur noch die USA und China zur Verfügung. Putins Freund Alexej Kudrin, der viele Jahre sein geschätzter Finanzminister war, warnte den Kreml vor solch gigantischen Investitionen. Dies gehe nur auf Kosten anderer Bereiche. Stattdessen empfahl er sogar, die Militärausgaben zu senken. Kudrin hatte sich zum großen Bedauern Putins auch deshalb freiwillig aus der Regierung verabschiedet. Nun gibt der Kreml das Geld mit vollen Händen aus, für die Armee.

"Polierte Vorhut" auf die Krim

Eine kleine Auswahl: Bis 2020 will Russland für sieben Milliarden Euro Drohnen kaufen und entwickeln, noch in diesem Jahr soll die Marine mehr als 40 Schiffe und U-Boote erhalten, für die Luftwaffe testet Russland ein komplett neues Jagdflugzeug T-50, das laut Ria Nowosti nicht mehr auf alten Sowjettypen basiert. Noch stimmt vermutlich, was Wladimir Anochin, Vizepräsident der Akademie für geopolitische Probleme, sagt: "Die russische Armee hat angefangen, gesund zu werden. Aber sie ist noch krank."

Zumindest zur Krim hat Moskau die Gesunden geschickt. Ein Reporter der New York Times beobachtete eine "polierte Vorhut", die sich in Mobilität, Ausstattung und Verhalten deutlich von den Soldaten unterschied, die 2008 in Georgien und all die Jahre über in Tschetschenien eingesetzt worden seien. Sie hätten verschlüsselte Funkgeräte getragen, neue Helme, Nachtsichtgeräte, Knieschützer. Und nachdem in den Jahren nach dem Ende der Sowjetunion aus wirtschaftlicher Not die Schiffe in ihren Häfen, Flugzeuge in ihren Hangars und Soldaten in Kasernen bleiben mussten, wird nun Geld dafür ausgegeben, dass sie üben - und dass sie sich zeigen.

Rechtfertigungen finden sich für Moskau genug. Russlands Grenzen sind lang, mit dem Rückzug der Nato-Truppen aus Afghanistan befürchtet Russland Instabilität in seinem Süden, und sicher dürfte die Ukraine-Krise der Militärführung Auftrieb geben. Verstärkte Nato-Präsenz im Baltikum, das Werben von Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, die Fortsetzung der Nato-Erweiterung - all das wird es jenen in Russland schwer machen, die in Zeiten kümmerlicher Wirtschaftszahlen mehr Geld für Bildung und Soziales fordern anstatt für Drohnen und Raketen.

Kein Einsatzort wird ausgeschlossen

Mit großem Hurra haben die russischen Medien gerade den "Prisyw" gefeiert, die Welle von Rekruten, die am 1. April in den Dienst eingezogen wurden. 154 000 Soldaten, erstmals ausgestattet mit einer elektronischen Erkennungskarte und biometrischen Daten. Und mit einem Hygiene-Set: Handcreme, Duschgel, Shampoo, Zahnpasta.

Die jungen Männer von der Krim sind noch nicht dabei. Sie haben gerade ihren ukrainischen Pass gegen einen russischen eingetauscht und kommen erst im nächsten Jahr dran. Es geht eben nicht alles so schnell. Und wie sehr sie sich auf ihre spätere Aufgabe freuen, ist auch noch nicht ausgemacht. Schließlich erwartet sie nicht nur mehr Geld und moderneres Gerät, sondern auch der unruhige Nordkaukasus: Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan. Denn dies hat Verteidigungsminister Schojgu klargemacht: Kein Einsatzort wird ausgeschlossen.

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