Zum Ende von "Wetten, dass..?":Das Lagerfeuer wärmt nicht mehr

'Wetten, dass..?' aus Offenburg

Aufräumen nach der Offenbarung: die "Wetten, dass..?"-Kulisse in Offenburg.

(Foto: dpa)

"Wetten, dass..?" war die Wiederkehr des Immergleichen, es war ein Anker in der plötzlich verwirrenden Programmvielfalt. Doch nach 33 Jahren verschwindet die Sendung vom Bildschirm. Kein Grund, traurig zu sein.

Von Holger Gertz

Der Autor Florian Illies hat in seinem Bestseller "Generation Golf" sehr treffend das Milieu beschrieben, in dem Wetten dass..? gedeihen konnte, in dem es von einer Fernsehshow zum Phänomen wachsen durfte. "Ich sitze in der Badewanne", schreibt Illies, "und zwischen meinen Beinen schwimmt das Seeräuberschiff von Playmobil. Nachher schaue ich Wetten, dass..? mit Frank Elstner, dazu gibt es Erdnussflips."

Illies ist Jahrgang 1971, und wenn man zugrundelegt, dass ein junger Mann - und angehender FAZ-Feuilletonist - spätestens mit Beginn der Pubertät damit aufhört, das Seeräuberschiff von Playmobil zu Wasser zu lassen, dann erinnert Illies sich also an die sehr frühen Jahre dieser Sendung. Und indem er sich erinnert, fühlt und schmeckt er seiner Kindheit nach, wie der Restaurantkritiker Anton Ego in dem wunderbaren Pixar-Trickfilm mit den Ratten in Paris: Der Genuss eines Ratatouille-Gerichts lässt den gefürchteten Gourmet gedanklich zurücksausen an den von der Mutter gedeckten Tisch. Nach diesem Rückführungserlebnis ist er ein anderer Mensch.

Das Große im Kleinen

Wer jetzt - wie Illies - knapp über vierzig ist, gehört einer Generation an, die wie keine vor ihr erzogen wurde vom Fernsehen, das sie flächendeckend und in Farbe mit Figuren, Codes und Claims versorgte. Vor zwei Tagen erst lief im WDR ein sehenswerter Filmessay von Dominik Graf über den Zustand des Fernsehens, auch darin erinnerten sich erwachsene Menschen zum Beispiel an den Grafen Zahl, eine zwanghaft zählende, vampirartig aussehende Figur aus der Sesamstraße.

Wer in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern nicht nur durchs Fernster, sondern auch durchs Fernsehen in die Welt geschaut hat, erkennt rückblickend das Große im Kleinen, erinnert sich an Details: dass die Schlagersänger in der Hitparade immer die Kabelschnur des Mikrofons hinter sich hergezogen haben. Dass Heck in der Abmoderation immer einen Techniker erwähnte, der Joachim Tschetschenga - oder so ähnlich - hieß. Bei Youtube, dem Erinnerungsarchiv, kann man viele Sequenzen inzwischen wiedersehen.

Es ist erstaunlich, wie tief zum Beispiel Fernsehwerbung sich auf sämtlichen natürlichen Festplatten eingebrannt hat. Man sieht ein paar Sekunden Reklame und kann den Text praktisch auf Anhieb wieder mitsprechen, ein Werbespot der Allianz-Versicherung mit einem blonden Mann, der im offenen Käfer in Neapel in einen Tomatenstapel fährt. Seit mehr als dreißig Jahren nicht mehr gesehen, aber gleich ist er wieder im Bewusstsein: Hoffentlich Allianz versichert.

Youtube ist auch ein Gefühlsarchiv, denn unter jeden dieser alten Spots schreibt bald ein Nutzer: "Ich erinnere mich: Soooo schön..."

Wetten, dass..?, zum ersten Mal 1981 gesendet, stammt aus dieser Fernsehzeit, an die sich viele mit schwer begründbaren, aber auf jeden Fall irgendwie guten Gefühlen zurückerinnern. Und wenn man die Größe von Wetten, dass..? beschreiben will, dann ist der Sockel dieser Legende der deutsche Achtziger-Jahre-Samstag mit Autowaschen und Bundesligakonferenzschaltung im Radio; mit Badewanne und Seeräuberschiff und Länger-aufbleiben-dürfen; mit Erdnussflips für die Kleinen und einem Eierlikör für die Größeren am Abend vor dem Fernseher. Nach Bedarf gab man noch einen Schuss Kirschlikör dazu, das schmeckte nicht besonders, sah aber ziemlich gut aus.

Die Quote war kein Thema damals, es schauten eh alle, bis zu 25 Millionen Menschen sahen Wetten, dass..?. Inzwischen hat sich der Begriff Lagerfeuer etabliert für das Phänomen. Auch wenn das eine Floskel ist, die von den Medien so sehr malträtiert wird wie von Markus Lanz der Begriff sensationell: Lagerfeuer trifft es, die Shows damals vermittelten eine Wärme, die im Alltag nicht vorgesehen war.

Humor in einer bleiernen Zeit

'Wetten, dass..?' - Dirk Bach, Inge Meysel

Dirk Bach, Inge Meysel und Moderator Thomas Gottschalk: Wetten, dass..? war moderner, offener als die anderen Shows.

(Foto: dpa)

Bei aller Verklärung dieser Zeiten - und man vergiss das oft, wenn man die Duracell-Werbung bei Youtube noch einmal sieht (Duracell mit dem Kupferkopf übrigens), oder Vucko, den singenden Wolf von Olympia 1984 in Sarajewo - politisch waren die Siebziger und Achtziger eine bleierne Zeit. RAF-Terror und Wettrüsten.

Hans Rosenthal hat in seiner Anmoderation von Dalli-Dalli gelegentlich darauf hingewiesen, dass man auch in harten Zeiten wie diesen seinen Humor nicht verlieren dürfe und dass seine kleine Sendung nichts anderes leisten solle, als den Menschen Freude zu bereiten. Manchmal traten die Nachrichtensprecher, die noch keine Anchormen waren, sondern unheilvolle Botschaften betreffend Gromyko, Breschnew und Reagan vom Blatt verlasen, bei Rosenthal als Kandidaten an, so verbanden sich die Welten. Unvergessen: der recht stämmige Gerhard Klarner auf einem Kinderdreirad, von dem er auch noch herunterfiel.

Wetten, dass..? war moderner, offener als die anderen Shows. Bei Wetten, dass..? saßen große Stars aus dem Ausland und auch große Stars aus dem - wie man damals noch sagte - deutschsprachigen Raum. Karl-Heinz Böhm wettete in einer der ersten Ausgaben, Mai 1981, nicht einmal jeder dritte Zuschauer werde eine Mark beziehungsweise sieben Schilling - in der alten Zeit wurde das auch in den Köpfen des Publikums automatisch umgerechnet - für notleidende Menschen in der Sahelzone spenden. Er behielt recht, er gewann die Wette, aber es kamen 1,2 Millionen Mark zusammen. Böhm flog persönlich nach Äthiopien und gründete die Hilfsorganisation "Menschen für Menschen".

Merkwürdige Kleidung, schlechte Vorbereitung

Die Wette war ein Geschenk für die Glaubwürdigkeit und Haltung der Sendung: Man konnte sich also amüsieren und dabei offenbar auch Gutes tun. Böhm 1981 war so schicksalhaft für Wetten, dass..? wie Samuel Koch 2010, der sich beim Versuch, über ein Auto zu springen, das Rückgrat brach. Die Leichtigkeit, die so eine Sendung braucht, war endgültig dahin.

Die zweite Phase von Wetten, dass..? beginnt Ende der Achtziger, Thomas Gottschalk war längst Moderator, und in der kollektiven Erinnerung war das die größte Zeit dieser Sendung, weil Gottschalk wesentlich flamboyanter rüberkam als Frank Elstner damals mit seinen Schlaghosen und der Buchhalterbrille. Wer sich allerdings die Kritiken anschaut - und hätte es damals schon Twitter gegeben, wäre der Eindruck eher noch verstärkt worden - der liest ein allgemeines Gejammere heraus. Wetten, dass..? wiederhole sich nur noch, die Wetten seien einfallslos, Gottschalk sei merkwürdig gekleidet, schlecht vorbereit. Die Quoten waren aber noch immer sehr gut, nicht mehr über zwanzig Millionen, aber satt über zehn. Auch als das Privatfernsehen dazwischenfunkte, hielt Wetten, dass..? sich tapfer, und die Vorwürfe, dort werde ja auch nichts Neues mehr geboten, zielten ins Nichts.

Wetten, dass..? war die Wiederkehr des Immergleichen, es war ein Anker in der plötzlich verwirrenden Programmvielfalt. Dauernd sang Peter Maffay, dauernd erschien Iris Berben, Wetten, dass..? blieb, was es war. Anderswo traten halbnackte Frauen mit Erdbeerstickern auf den Brüsten auf, aber Wetten, dass..? wirkte durch seinen Beharrungswillen und schien imstande, das Gegenwärtige so sehr zu versinnbildlichen wie das Vergangene. Das hatte es mit dem alten Helmut Kohl ebenso gemein wie mit dem mittelalten Thomas Schaaf und der inzwischen sehr sehr alten Queen. Wer lange bleibt, wird irgendwann ein Klassiker.

Früh erstarrt, lange frischgehalten

Bei Wetten, dass..?- Experten setzt sich mittlerweile zwar die Interpretation durch, Gottschalk habe das Format erledigt und erdrückt durch seine Persönlichkeit. Man kann es anders sehen: Gottschalk hat ein Format - das früh erstarrt war - frischgehalten, er hat der Konstanten Wetten, dass..? besondere Momente verliehen, nicht zuletzt durch seine Wurschtigkeit, durch seine Lässigkeit.

Man tritt dem deutschen Fernsehpublikum nicht zu nahe, wenn man es in seiner Gesamtheit als eher spießig bezeichnet. Aber kein halbwegs normaler Spießbürger will einem anderen Spießer zu offensichtlich zujubeln. Der Spießbürger will den Individualisten loben - schon um sich selbst ein wenig weniger spießbürgerlich fühlen zu können.

Die Entertainer-Stars ihrer Zeit waren in Deutschland also Männer, die den Samstagabend locker bespielten. Hans Joachim Kulenkampff und Thomas Gottschalk. Kulenkampff lobte ständig die Beine seiner Assistentinnen, aber sein Chauvitum bekam nie diesen säftelnden Einschlag. Kulenkampff - Hanseat aus Bremen - behandelte seine Gäste auf sehr angenehme Art von oben herab, wenn einer was nicht wusste, schaute er ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, fordernd und nachsichtig zugleich. "Wenn es so etwas gibt wie die Anmut der Egozentrik, die Gelassenheit des Fauns, die Heiterkeit des Paschas: Kuli hatte das alles", schrieb Nikolaus von Festenberg im Spiegel über Kuli, den Mozart des Plaudertons: "Wo andere sich abstrampelten, erreichte er scheinbar mühelos das Ziel."

HANS-JOACHIM KULENKAMPFF GESTORBEN

Hans-Joachim Kulenkampff in "Einer wird gewinnen".

(Foto: DPA)

Gottschalk schien auch mühelos, natürlich war er nicht gebildet wie Kulenkampff, aber man merkte ihm seine Nervosität so wenig an wie dem alten Bremer. Er kam auf die Bühne, da war er, da blieb er. Seine lässige Erhabenheit ließ Wärme durch - bevor er in gewisser Selbstgefälligkeit strandete. Er behandelte Michael Jackson genauso wie einen Wettkandidaten, der zwanzig lange Worte auf den Rand einer Briefmarke schreiben konnte.

Kein Grund, traurig zu sein

Unvergessen: wie Gottschalk mal einen Jungen da hatte, Christian hieß er. Der Junge wettete, er könne die Marke eines Joghurts erkennen, und zwar am Geräusch, das entsteht, wenn er an den leeren Becker klopft. Christian war blind von Geburt, er war sehr aufgeregt, seine Hände flatterten wie Vögel. Christians Mutter, mit ihm auf der Bühne, war noch aufgeregter. Und es war ein berührender, großer Moment, wie Gottschalk die Hand des Jungen griff, und die Hand der Mutter; wie er der Situation alles Beklemmende nahm.

Natürlich hat Christian die Wette damals gewonnen.

Die letzte Phase von Wetten dass..? begann lange vor Markus Lanz. Die Quoten wurden schlechter, das Lagerfeuer wärmte nicht mehr. Die Leute stellen sich ihr Programm inzwischen im Netz zusammen, sie haben Besseres vor am Samstag kurz nach acht. Diejenige, die mit dem heiligen Familienfernsehsamstag nicht aufgewachsen sind, müssen und werden sich nicht mehr an ihn gewöhnen.

Diejenigen, die Wetten dass..? nicht lange kennen, haben keinen Grund, jetzt traurig zu sein. Und auch bei demjenigen, der sich noch gut an die erste Wette bei Thomas Gottschalk erinnern kann (Werner Steinhausen aus Dortmund wollte 50 Hunderassen an ihren Ohren erkennen, scheiterte aber an den Ohren eines englischen Terriers) hält sich die Wehmut über das Aus von Wetten, dass..? in Grenzen. Erst recht nach der Sendung vom Samstag.

Dinge entstehen, Dinge vergehen. Vielleicht hätte ein anderer Moderator - oder eine andere Moderatorin - den Verfall aufhalten oder verzögern können. Man weiß es nicht. Es ist auch zu spät, jetzt darüber nachzudenken. Aber es war am Ende schon auch ein bisschen verstörend, Markus Lanz dabei zuzuhören, wie er Cameron Diaz eine "wilde Hummel" nannte. Kurze Überlegung: Hätte Kulenkampff ernsthaft "wilde Hummel" zu einer Frau gesagt?

Nicht alles war früher besser. Manches schon.

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