Skifahren in Colorado:Weißer Rausch, blauer Rauch

Colorado Vail Skifahren Ski Marihuana Cannabis

Die meisten Touristen suchen das Hochgefühl immer noch im Schnee der Skigebiete und nicht in den Coffeeshops.

(Foto: Ilda masa / iStockphoto.com)

In Colorado ist der Konsum von Marihuana seit Anfang des Jahres erlaubt, auch in den Skiregionen. Auf den Pisten darf allerdings nicht gekifft werden. Dort können Wintersportler auf andere Weise high werden.

Von Alexander Hosch

Der junge Mann im Skilift hoch über dem Skiort Vail, Colorado, lehnt sich plötzlich sehr entspannt in seinen Sessel zurück. 24 Jahre ist er alt. Er grinst. Nennen wir ihn Jerry. Die Frage war, ob er studiert oder schon arbeitet. "Ich bin längst graduiert", sagt er, "aber ich mache jetzt ganz was anderes. Seit Januar arbeite ich in einem Coffeeshop in Denver. Yeah!" Das klingt nach großer Freiheit. Beim Aussteigen wird der enthusiasmierte Jerry aber dann doch darum bitten, seinen richtigen Namen nicht in einem Artikel zu verwenden. Auch nicht in Deutschland.

Das Gespräch unter Skifahrern hatte mit The Grateful Dead begonnen. Jerry outete sich als glühender Anhänger der historischen Band, deren Musiker durch heftigen Rauschgiftkonsum auffielen. Jerry nennt erst mal eine Weile die Toten, bis ihm ein Überlebender einfällt, der noch tourt. Die Musik, der Tod, die Drogen, das blühende Leben. Für eine zehnminütige Skiliftpassage ist das ein weites Feld. Jerry sagt noch: "Früher hätte ich hier oben jetzt einen Joint geraucht. Heute kriegst du da sofort Ärger!"

Dabei ist Colorado - neben Washington, wo das Gesetz noch nicht in Kraft ist - einer von zwei US-Bundesstaaten, in denen der Besitz von bis zu einer Unze (ca. 28 Gramm) Marihuana auch ohne medizinische Indikation erlaubt ist. Seit 1. Januar dürfen staatlich lizenzierte Verteilstellen, die Dispensaries oder Coffeeshops, an über 21-Jährige festgelegte Mengen abgeben. Rund 25 Prozent beträgt die Steuer darauf. Die Stadt und das Land Colorado profitieren davon, auch das öffentliche Schulsystem erhält einen Anteil. Medienberichten zufolge soll Colorado allein im Januar 3,5 Millionen Dollar am Verkauf von Marihuana verdient haben. Allerdings darf das Rauschmittel zwar zu Hause genossen werden. In Hotels, in Restaurants und in der Natur bleibt es aber verboten.

In dem Skiort Vail, dessen Fassaden in bräsiger Sattheit glänzen, dürfte erst einmal alles beim Alten bleiben. Theoretisch darf zwar auch hier jeder Einheimische nun bis zu sechs Pflanzen anbauen - nur im Hinterhof, nicht im Vorgarten! Und ein paar Touristen werden im privaten Kreis möglicherweise zum ersten Mal ausprobieren, was sie sich in Europa vielleicht nie trauten. Gekauft werden kann hier jedoch nichts, denn der in den Sechzigerjahren nach dem Vorbild von Alpendörfern wie St. Anton gegründete Skiort hat sich gegen Dispensaries und Coffeeshops entschieden.

Jede Kommune in Colorado kann das selbst bestimmen. Abends am Kamin des Fünfsternehotels Sonnenalp, wo sich Vail in seiner ganzen Großbürgerlichkeit zeigt, erklärt der aus dem Allgäu stammende Hotelier Johannes Faessler seine Sicht der Dinge: "Ich vermute, es ist weniger darum gegangen, anderen einen Lebensstil vorzuschreiben." Die Menschen in Vail würden vielmehr Nachteile fürs Geschäft befürchten, also den Tourismus. Dabei würde Vail wohl nicht gerade die kiffende Klientel anziehen. Viele könnten sich nicht einmal den Weg hierher leisten. In den USA ist Skisport teurer und elitärer als in den Alpen. Öffentliche Busse oder Züge zwischen Denver und Vail gibt es nicht.

"Wir können gar nicht so viel ernten"

Anders als in Vail könnte es aber in Telluride laufen. Das Skistädtchen, ein paar hundert Meilen südlich von Vail in den Rocky Mountains gelegen, wurde im viktorianischen Architekturstil zur Zeit des Goldrauschs gegründet. Der legendäre Gangster Butch Cassidy raubte hier 1889 seine erste Bank aus. Heute gibt es rund ums Skigebiet echte Geisterstädte, die verlassen wurden, als andere Abbauorte attraktiver waren. Und nun träumen hier nicht wenige vom Cannabis-Rausch als der nächsten glanzvollen wirtschaftlichen Eskalationsstufe. Denn Telluride hat neuerdings drei Marihuana-Shops.

Dabei steigt unter sichtbarem Cannabiseinfluss auch hier keiner in die Berggondeln. Trotz des freizügigen neuen Gesetzes unterliegen alle Skiareale, ob in Privatbesitz oder Staatseigentum, dem Drogenkonsumverbot in der Öffentlichkeit. Coffeeshop-Kunden müssen diese Skilift-Regel bei jedem Einkauf unterschreiben. Der Chief Marshall und der Sheriff, ein Buchautor und Veteran im Krieg gegen Drogen, haben angekündigt, bei Verstößen hart durchzugreifen.

Ihr Augenmerk gilt auch der Dispensary mit dem klangvollen Namen "Alpine Wellness" mitten in Telluride. Der Marketingbeauftragte des Ladens, Will Evans, präsentiert das Angebot. Neben allerlei Rauchwerk sind sogenannte Edibles die Verkaufsrenner: Ganjalas und Granola Bars, eine Art Getreideriegel in den Geschmacksrichtungen Ingwer, Schokolade, Erdnussbutter oder Früchtemix. Andere psychoaktive Süßigkeiten stecken in Cookies, Brownies oder Krispies samt Dips und Saucen. Es gibt sogar glutenfreie Produkte mit Knoblauch-Parmesan-Geschmack.

Überall hängen große Tafeln mit den Gesetzesregeln und mit Tipps, wie man draußen konsumiert und dabei gesetzeskonform bleibt. Keiner soll etwas falsch machen.

Am Silvestertag 2013 hatte Alpine Wellness im lokalen Anzeigenblatt eine ganzseitige Annonce geschaltet, mit dem Text: "Endlich ist die Zeit der Prohibition vorbei!" Wenige Wochen später darf Evans nun feststellen: "Wir können gar nicht so viel ernten, wie nachgefragt wird." Bis Mitte Februar hätten sich schon 1800 neue Kunden bei ihm registriert, sagt Evans. "Im Schnitt sind täglich 165 Leute da. Wir müssen vielen erst versichern, dass es völlig okay ist, dass sie Marihuana kaufen. Die kommen ja noch immer mit schlechtem Gewissen an."

Alpine Wellness erhielt die Lizenz so schnell, weil hier schon seit fünf Jahren medizinisches Cannabis kontrolliert abgegeben wird. Das und ein enormer Papierkrieg sind im Moment die Bedingungen für eine solche Erlaubnis. "Wir registrieren alle Kunden mit Personalausweisnummer. Sie müssen dann unterschreiben, dass sie nichts öffentlich rauchen, weiterverkaufen, an Jugendliche abgeben und aus Colorado ausführen werden", sagt Will Evans.

Im Moment muss jeder Handel in bar abgewickelt werden. Aber die Regierung lässt gerade ein neue Regelung für Banken und Kreditkartenfirmen erarbeiten, damit sie Konten für Coffeeshops führen können, ohne automatisch mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. "Was wir und die Käufer tun, ist zu hundert Prozent legal", sagt Evans.

Natürlicher Rausch im Skigebiet

In Washington ist Cannabis strafrechtlich Kokain oder Heroin gleichgestellt. In den Skigebieten findet sich derzeit aber kaum jemand, der ein Problem damit hat, dass für Cannabis nun die gleichen Regeln gelten wie für Alkohol. Die neuen Shopping-Möglichkeiten will das Colorado Tourist Office dann aber doch lieber nicht in seine künftigen Marketingkampagnen einbauen. Intern seien diverse Diskussionen darüber geführt worden, heißt es von Tourismusverantwortlichen aus Denver. Die Idee, den Stand auf der ITB in Berlin Anfang März mit Marihuanapflänzchen zu verzieren, wurde verworfen. Inzwischen ist entschieden: Man wird mit Marihuana keine Werbung machen.

Wenn es nachts heftig schneit in den Skigebieten von Aspen, Vail, Crested Butte oder Telluride, wenn frühmorgens die Lawinen abgesprengt werden, lässt sich schnell erkennen, warum die Leute wirklich hierher kommen.

Nicht nur die vielen Snowboarder verfallen dann ganz ohne pflanzliche Stimmungsaufheller sofort in einen natürlichen Rausch. Es genügt schon die bloße Erwartung, bald in frisch mit Schnee bedeckte Hänge abseits der Pisten einzufahren. Unter Gejohle, aber amerikanisch diszipliniert, werden gleich nach der morgendlichen Öffnung die Lifte zu den zahllosen Freeride-Revieren gestürmt. Zumindest in den großen Skiresorts dürften deshalb bis auf Weiteres die Familien und die Tiefschneefreunde auf ihrer Suche nach dem weltweit berühmten Champagne Powder die Zukunft des Tourismus in Colorado sichern.

Am Flughafen in Denver gelten ohnehin schon wieder ganz andere Gesetze. Beim Rückflug kontrollieren Beamte mit Drogenhunden die Taschen - und das, obwohl nur wenige Kilometer entfernt gerade eine Abgabestelle nach der anderen öffnet. Aber hier hat die Toleranz der Amerikaner ein Ende, denn der Flughafen unterliegt dem Bundesrecht. Hätte man aus dem Angebot des Alpine Wellness etwas mitgenommen, sähe man nun wohl die Polizeistation von innen.

Informationen

Grafik St. Michael's Mount Colorado USA Cornwall Großbritannien

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(Foto: SZ Grafik)

Anreise: Mit Lufthansa direkt von Frankfurt nach Denver und zurück ab 550 Euro, www.lufthansa.com. Von Denver per Shuttle in zwei Stunden nach Vail (ca. 60 Euro), www.coloradomountainexpress.com

Unterkunft: Hotel Sonnenalp, ab 145 Euro pro Person und Nacht, Tel.: 001/970 476 56 56, www.sonnenalp.com; The Hotel Telluride, DZ ab 123 Euro, Tel.: 001/970 369 11 88, www.thehoteltelluride.com

Weitere Auskünfte: Colorado Tourism Office in Köln, Tel.: 0221/233 64 07, www.colorado.com

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