Heuschnupfen:Gestresste Bäume, triefende Nasen

Heuschnupfen: Die Birken begannen in diesem Jahr früh zu blühen.

Die Birken begannen in diesem Jahr früh zu blühen.

(Foto: Jørgensen)

Viele Pollenallergiker haben das Gefühl, dass Juck- und Niesreiz sie nun schon seit Monaten plagen. Da ist etwas dran. Wie der warme Winter die Heuschnupfen-Saison beeinflusst hat.

Von Stephan Handel

Ein Kubikmeter ist relativ groß - 1000 Liter Wasser passen in einen Würfel von einem Meter Seitenlänge. Wenn darin 30 Teilchen von gerade mal 22 Mikrometer Größe herumfliegen - ein Mikrometer ist ein Tausendstel Millimeter -, dann erscheint das relativ wenig. Für manche Menschen beginnt aber genau dort die Hölle: 30 Pollen pro Kubikmeter, das ist für viele Allergiker die Grenze, an der sie anfangen, die Symptome zu spüren - Niesen, Jucken, Husten, Asthma.

Als Jeroen Buters am vergangenen Mittwoch ablas, wie viele Pollen sein Pollenfangroboter denn aktuell eingefangen hatte, da fand er einen Wert, der fast 60 Mal so hoch war: 1792 Pollen pro Kubikmeter. "Das war der Peak, der Scheitelpunkt", sagt Buters. Er ist Toxikologe und forscht am Zentrum für Allergie und Umwelt, einer gemeinsamen Einrichtung von TU und Helmholtz-Gesellschaft. "Der Flug der Birkenpollen war heuer kurz und heftig", sagt der Forscher.

Heftig - das mögen die meisten Pollen-Geschädigte unterschreiben. Aber kurz? Viele haben das Gefühl, dass ihre Plagen in diesem Frühjahr schon viel länger dauern als in den Jahren davor. Das bestätigt auch Franziska Ruëff, Oberärztin an der Klinik für Allergologie der LMU. Sie berichtet von einem Patienten, bei dem sich der Heuschnupfen zu handfestem Asthma ausgeweitet hat und der immer dann kommt, wenn er überhaupt keine Luft mehr bekommt. " Im vergangenen Jahr war er am 30. April zum ersten Mal hier", sagt Ruëff. "Heuer am 4."

Das widerspricht aber nicht der Aussage ihres Kollegen Buters, wie die Ärztin erklärt: "Die Allergene der Bäume ähneln sich sehr, weshalb auch viele Leute gegen mehrere Arten allergisch sind." Und wegen des milden Winters haben sich die Pollenflug-Zeiten der Pflanzen kräftig verschoben: Die Hasel etwa, erster Blüher im Jahr, war schon im November dran. Also mag das subjektive Empfinden vieler Allergiker so falsch nicht sein, dass sie sich nun schon seit Monaten mit Juck- und Niesreiz herumplagen müssen.

Werden die Pollen aggressiver?

Der Winter, der fast ein Sommer war, hat aber auf die Bäume und ihre Pollen noch zwei andere Auswirkungen, die nur auf den ersten Blick im Gegensatz zueinander stehen. Franziska Ruëff sagt, das milde Wetter bringe den Zyklus der Pflanze durcheinander, der ja durchaus Phasen der Aktivität und der Ruhe vorsieht. Wenn der Baum nun nicht mehr genau merkt, ob immer noch Herbst oder doch schon Frühjahr ist, dann setzt ihn das unter Stress. Dagegen aber bildet er vermehrt Stress-Antigene - und das sind genau die Stoffe in den Pollen, auf die Allergiker reagieren. Die Pollen sind also sozusagen aggressiver.

Oder auch nicht, meint Jeroen Buters. Das Modell stimme zwar, einerseits. Andererseits trete aber ein anderer Mechanismus in Kraft: Wie eine Mutter, die Ruhe haben will im Haus und deshalb schönes Wetter herbeisehnt, befiehlt der Baum bei den ersten Sonnenstrahlen seinen Pollen: Ab nach draußen! Die maulen dann zwar, bildlich gesprochen, noch rum, wir sind noch nicht so weit, wir müssen noch wachsen - aber der Baum ist unerbittlich. "Und so fliegen Pollen", sagt Buters, "die zwar nicht vollständig ausgebildet sind. Dafür aber sind es sehr viele in sehr kurzer Zeit."

Was die Menschen nun mehr krank macht, die Anzahl der Pollen oder die jeweilige Menge an Allergenen in ihnen - das versuchen die Forscher derzeit herauszufinden. Unter anderem mit der App "pollen", die in den gängigen App-Stores kostenlos erhältlich ist (Infos unter www.pollenstiftung.de). Der User bekommt mit ihr einen Pollenwarndienst und ein persönliches Allergie-Tagebuch - die Ärzte bekommen Daten, an denen sie ihre Thesen überprüfen können, auf dass möglicherweise irgendwann einmal neue Therapien zur Verfügung stehen.

Bis dahin hilft, außer Medikamenten, nicht viel, sagt Franziska Ruëff. Das vielleicht ein bisschen: Fenster in der Wohnung nur nach einem Regenguss öffnen. Dann sind die Pollen am Boden und nicht mehr in der Luft.

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