Fall Reemtsma:Auf der Spur der Lösegeld-Millionen

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Ein spanischer Polizist 1996 mit Banknoten, Dokumenten und dem Mietwagen eines damals mutmaßlichen Reemtsma-Entführers. Nun, 18 Jahre später, gab es erneut zwei Festahmen in dem Fall. (Foto: J.F.Moreno/dpa)

Der Fall Reemtsma findet kein Ende: Die Polizei hat ein Geschwisterpaar verhaftet, das womöglich weiß, was mit den verschwundenen Lösegeld-Millionen passiert ist. Die beiden sollen sogar die Hells Angels erpresst haben.

Von Ralf Wiegand

Die Entführung von Jan Philipp Reemtsma, der 1996 vor seinem Haus in Hamburg-Blankenese abgefangen und 33 Tage in einem Verlies eingesperrt worden war, ist einer der großen Kriminalfälle der Bundesrepublik. Vor allem ist er einer der großen ungelösten Fälle. Der Entführer Thomas Drach mag zwar zwei Jahre nach der Tat gefasst und später in Hamburg auch verurteilt worden sein, er mag seine Strafe inzwischen abgesessen haben - aber es ist noch nicht vorbei. Noch fehlt ein großer Teil des damals gezahlten Lösegelds. Drach hat ihn nicht. Sein jüngerer Bruder Lutz, ebenfalls tief in den Fall verstrickt, angeblich auch nicht.

Aber wer dann?

Wie nun bekannt wurde, sitzen seit vergangenem Mittwoch auf der spanischen Insel Mallorca und im nordrhein-westfälischen Aachen zwei Personen in Haft, die angeblich wissen, wohin zumindest ein Teil des damals für Reemtsmas Freilassung gezahlten Geldes irgendwann mal geflossen ist. 12,5 Millionen Schweizer Franken und 15 Millionen Mark erpresste Thomas Drach, heute 53, im Frühjahr 1996 von der Hamburger Tabak-Dynastie Reemtsma und floh über Uruguay nach Argentinien, wo ihn Zielfahnder aufspürten - allerdings ohne den ganzen Reichtum im Reisegepäck. Vieles war für ein luxuriöses Leben draufgegangen. Der Rest: verschwunden.

Drach schwieg all die Jahre im Knast von Hamburg-Billwerder über den Verbleib des Geldes. Er verdächtigte aber seinen Bruder Lutz, es beiseite geschafft zu haben. Lutz Drach hat seinerseits selbst sechs Jahre im Gefängnis verbracht, weil es das Aachener Landgericht für erwiesen hielt, dass er sechs Millionen Franken aus dem Reemtsma-Schatz gewaschen hatte. Hat er auch den Rest des Geldes in die undurchsichtigen Umlaufbahnen illegaler Geldgeschäfte geschickt? Thomas Drach glaubte das, er nannte seinen Bruder Ratte und Schmarotzer und ließ ihn aus dem Knast heraus unter Druck setzen.

Seit vergangenem Herbst aber ist Thomas Drach frei. Wahrscheinlich sucht er jetzt selbst nach den Spuren des dreckigen Geldes. So wie vermutlich auch das Bundeskriminalamt (BKA). Und so wie Jan Philipp Reemtsma. Für ihn, das heute 61 Jahre alte Opfer, geht es vor allem um eines: dass sich sein Peiniger von dem erpressten Geld niemals ein schönes Leben machen darf.

Das BKA ist nach Angaben spanischer Behörden auch bei der Aktion auf Mallorca beteiligt gewesen, bei der eine Wohnung in Alicante durchsucht und ein 62 Jahre alter Deutscher festgenommen worden ist. Die Staatsanwaltschaft in Aachen hat seine Auslieferung beantragt. In Aachen, wo die Ermittlungen zum Verbleib des Lösegeldes zusammenlaufen, wurde gleichzeitig dessen 59 Jahre alte Schwester verhaftet. Den Geschwistern wirft die Staatsanwaltschaft gewerbliche Erpressung vor: Sie sollen, so ein Sprecher auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung, Mitglieder der Hells Angels in Frankfurt erpresst haben mit der Behauptung, sie wüssten, dass die Rockerbande Geld aus der Reemtsma-Entführung gewaschen hätte. Dazu hätten Geschäfte im Rotlichtmilieu gedient. "Es ist dann auch über einen längeren Zeitraum monatlich Geld geflossen", sagte der Behördensprecher, die Rocker hätten also für das Schweigen der Erpresser wirklich bezahlt. Der 62-Jährige sei selbst kein Höllenengel, habe aber Kontakt zu der Szene.

Immer wieder Spuren nach Mallorca

Viel ist das nicht. Aber es ist genug Stoff, um die Phantasie anzuregen. Gibt es jetzt endlich eine Spur zu den erpressten Millionen? In den Fall Eingeweihte halten das für möglich. Und ist es Zufall, dass auch Reemtsma-Entführer Drach nach seiner Entlassung aus dem Knast im Herbst 2013 nach Mallorca übergesiedelt sein soll? Überhaupt Mallorca: Ist das nicht das neue Lieblingsrevier der Hells Angels, deren Clubs in Deutschland nach und nach verboten werden, wie auch das in diesen Fall verwickelte Frankfurter "Charter Westend" verboten ist? Erst im Juli 2013 war Frank Hanebuth, einst Oberengel in Hannover, auch "auf Malle" verhaftet worden.

Ob der Erpressungsfall tatsächlich eine Spur zum Reemtsma-Lösegeld legt, konnte die Staatsanwaltschaft Aachen am Sonntag nicht einschätzen und verwies auf die Kollegen in Frankfurt. Dort allerdings sieht man die Sache gelassen: Von dem ganzen Vorgang war Staatsanwältin Doris Möller-Scheu, Sprecherin der Behörde, am Sonntag nichts bekannt - obwohl sie mit der für diese Art von Delikten zuständigen Abteilungsleiterin in den Tagen seit den Festnahmen von Mallorca und Aachen Kontakt gehabt habe. Ist es denkbar, dass sich etwas Großes anbahnt im Fall Reemtsma, wenn eine der beteiligten Staatsanwaltschaften die Sache derart tief hängt?

Dass das Lösegeld im Rotlichtmilieu gewaschen werde, sei ein "immer wiederkehrendes Gerücht", sagte Möller-Scheu der SZ. So seien erst vor wenigen Monaten Ermittlungen eingestellt worden im Zusammenhang mit dem Bau eines "FKK-Clubs" in Darmstadt. Auch dort, hieß es, könne Geld aus der Entführung von vor 18 Jahren verbaut worden sein. Beweise fanden sich aber nicht. Es war "heiße Luft statt einer heißen Spur", heißt es in Frankfurt.

Dennoch: Als sich der Literaturwissenschaftler und Publizist Reemtsma nach dem Verbrechen einst wieder vorsichtig in die Öffentlichkeit wagte, schützten ihn Leibwächter. Seine Familie teilte damals mit, die Tat dauere an. Man kann durchaus sagen, dass das heute noch gilt.

© SZ vom 14.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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