Herkunftsbezeichnungen wie "Made in Germany":Früher Strafetikett, jetzt Gütesiegel

Für viele Verbraucher ist die Herkunft eines Produkts ein Kaufargument. Das Europaparlament stimmt in dieser Woche über verpflichtende Herkunftsangaben ab. Aber wann ist etwas, dessen Komponenten irgendwo auf der Welt entstehen, wirklich in Deutschland gemacht?

Von Javier Cáceres, Brüssel, und Christoph Giesen

Ganz am Anfang , da ging es um Stahlseile, Litzen nennen das die Fachleute. Chinesischer Stahl geflochten von Arbeitern in Nordkorea. Ist das noch ein chinesisches Produkt oder doch ein nordkoreanisches? Stahllitzen aus dem Reich der Familie Kim sind in Europa mit Strafzöllen belegt. Ein deutscher Importeur wollte den Aufschlag nicht hinnehmen und klagte, letztlich gab ihm der Europäische Gerichtshof (EuGH) recht. Seitdem ist es zwar leichter, in Nordkorea gewrungenen Stahl zu kaufen, in Europa ist jedoch ein Zwist entbrannt, wer, wann, welches Label auf seine Produkte drucken darf, denn unmittelbar nach dem EuGH-Urteil hatte die Europäische Kommission damit begonnen, eine verbindliche Richtlinie für alle Mitgliedstaaten zu entwickeln. In dieser Woche stimmt das Europäische Parlament darüber in erster Lesung ab.

Bislang müssen europäische Hersteller nicht angeben, woher ihre Produkte stammen, sie können es freiwillig tun. Vor allem viele deutsche Unternehmen machen davon Gebrauch. "Made in Germany" ist ihr Gütesiegel und das weltweit. Vielen Konsumenten ist die Herkunftsbezeichnung oft wichtiger als der Herstellername oder die Marke eines Produkts, Studien untermauern das. Erst kürzlich legte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers eine Befragung vor, derzufolge "Made in Germany" für gut neun von zehn Kunden ein Kaufargument ist.

Eingeführt wurde die Herkunftsbezeichnung in Deutschland vor mehr als 125 Jahren und war damals als Schutz für britische Produkte gedacht, weil Firmen aus dem Deutschen Reich englische Produkte munter kopierten. Was einst als Strafetikettierung begann, ist inzwischen eine Erfolgsgeschichte.

Deutsche Ingenieurskunst oder Komponenten aus der ganzen Welt?

Doch wie definiert man "Made in Germany"? Ist es die deutsche Ingenieurkunst, die etwa einen Sportwagen erst zu einem hochwertigen Produkt macht oder sind es die einzelnen Komponenten, die in der globalisierten Welt irgendwo vom Band laufen?

Der Vorschlag der Europäischen Kommission orientiert sich an den Zollvorschriften, so wie bei in Nordkorea geflochtenen Litzen. Der Stahl stammt aus China, also ist es ein chinesisches Produkt. Der Richtlinienvorschlag bringt es sogar auf eine exakte Zahl, in Paragraf 7 heißt es, dass mindestens 45 Prozent des Produkts in einem Land gefertigt werden müssen, sonst verfällt das Label. Bei Stahlseilen mag das nachvollziehbar sein. Aber was ist mit Maschinen, Uhren und Autos?

Die deutschen Europaabgeordneten geben sich keiner Illusion hin. Wenn das Europaparlament am Dienstag oder Mittwoch über die "verpflichtende Herkunftsabgabe" abstimmt, wie das Projekt offiziell heißt, dürfte es wohl zur Mehrheit für das Gesetzgebungsprojekt der Kommission kommen. So war es vor wenigen Wochen schon im Binnenmarktausschuss gewesen.

Derzeit blockiert EU-Rat das Gesetz zur Herkunftsbezeichnung

"Wir müssen damit rechnen, dass sich dieses Votum wiederholt. Aber wir werden bis zum Schluss darum kämpfen, Paragraf 7 noch aus dem Kommissionsvorschlag zu streichen", sagt der deutsche Europaparlamentarier Markus Ferber (CSU). Mit Briefen versuchen vor allem die deutschen Abgeordneten auf die Kollegen aus Italien, Spanien und Frankreich einzuwirken, auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sei nochmals sensibilisiert worden. Zwar sind auch die deutschen Sozialdemokraten für die Streichung des umstrittenen Paragrafen 7 des Richtlinienvorschlags. Aber sicher ist sicher.

Mit der Abstimmung im Parlament ist allerdings der Gesetzgebungsprozess noch nicht abgeschlossen. Die Volksvertreter legen damit zunächst einmal ihre Position für die dann noch ausstehenden Verhandlungen mit dem Rat fest - also mit den Vertretern der Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, die dem Projekt ebenfalls zustimmen müssen. Offen ist noch, wann diese Verhandlungen beginnen können.

Derzeit ist der Vorschlag im Rat noch blockiert. Eine Gruppe von 16 Ländern, zu denen Deutschland und Großbritannien, aber auch Schweden, Belgien, die Niederlande und einige osteuropäische Staaten zählen, sind bisher strikt gegen den Vorschlag. Unter anderem monieren sie, dass die EU-Kommission eine Folgenabschätzung schuldig geblieben sei: "Sie ist den Nachweis des Nutzens für den Verbraucher bisher schuldig geblieben", sagt ein EU-Diplomat.

Gegner fürchten aufgeweichte Positionen

Zurzeit ist nicht erkennbar, dass sich an der Skepsis der Mitgliedstaaten etwas ändern könnte. Der letzte Kompromissversuch, der von der griechischen Ratspräsidentschaft im Februar unternommen wurde, blieb ergebnislos. Allerdings gehen EU-Diplomaten davon aus, dass die italienische Regierung, die im Juli die Ratspräsidentschaft turnusmäßig übernimmt, in der zweiten Jahreshälfte einen neuen Versuch unternimmt, die EU-Partner für die Reform zu erwärmen.

Auf den Rat will sich CSU-Mann Ferber jedenfalls lieber nicht verlassen. Denn bei solchen Verhandlungen "neigt man zu Kompromissen und Paketlösungen, nach dem Motto: Ich komme Dir bei diesem Paragraf entgegen, dafür hilfst Du mir bei dem Artikel." So manche vermeintlich unverrückbare Position sei dadurch schon aufgeweicht worden.

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