Politische TV-Serien:"Das geht in Deutschland nicht"

Fernsehserien, in denen es um Politik geht, wollen die Deutschen nicht sehen - da sind sich alle einig. Selbst der Macher erfolgreicher Formate wie "Stromberg" ist diesem Minderwertigkeitskomplex unterlegen. Dabei ist das Gejammere längst ein Plot für sich.

Von Evelyn Roll

Man sollte mal eine richtig gute, erfolgreiche TV-Serie schreiben.

Nein? Nicht? Nicht schon wieder?

Doch! Unbedingt! Wenn man zum Beispiel an einem aprilstürmischen Montagnachmittag im Berliner Zimmer des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) wieder einmal den Experten zuhören muss, die auf einem "Medienpolitischen Colloquium" wieder einmal das Thema "Ein deutsches Borgen?" durchkauen, diese so größenwahnsinnige wie minderwertigkeitskomplexbeladene Frage also, ob wir in Deutschland nicht endlich auch mal richtig gute, erfolgreiche politische TV-Serien machen können und wenn ja, warum nicht.

Und wenn dann ausgerechnet Ralf Husmann, der Macher von Dr. Psycho (richtig gut) und Stromberg (erfolgreich) aufsagt, was alles dagegen spricht und dabei mit Satzbausteinen wirft, mit denen sonst immer der öffentlich-rechtliche Redakteur rumspielt: "Politik mag der deutsche Zuschauer nicht", "Alle Sachen, die man in Berlin toll findet, will in Bielefeld kein Mensch sehen", "In Bielefeld bekommen die Nonnen ein Millionenpublikum", dann entsteht der Plot wie von selbst.

Ein konspirativer Writer's Room

Bitte sehr: Während in den Feuilletons und auf den Symposien des Landes immer noch und immer wieder die Systemlähmung durchgekaut wird, die Quotenhörigkeit, und dass die bösen Zwangs-Pay-TV-Sender ARD und ZDF mehr Geld für Pensionsleistungen ausgeben als für ihre Programme, hat sich im leerstehenden Schulgebäude eines verlassenen und von Wölfen bedrohten Dorfes in der Uckermark ein konspirativer Writers' Room etabliert: ein deutscher Buchpreisträger, ein Hauptstadtkorrespondent, der eine geheime und unglückliche Affäre mit der engsten Beraterin des Kanzlers hat, eine TV-Kritikerin der Zeit, drei engagierte, junge Naive aus dem Leipziger Drehbuchsseminar, zwei zerstrittene Ex-Redakteure von serienjunkies.de, (sie schwanger, er Experte für Second-Screen-Plots) und ein ehemaliger Fernsehspielchef vom ZDF schreiben eine politische Serie.

Und weil auf dem Podium des IfM in diesem Moment gerade Frank Stauss sagt: "In Deutschland soll kein Pathos gehen? Wir haben aber auch Hubschrauber!", gehört sofort auch ein Politikberater, der ein irre gutes Buch über den Wahlkampf geschrieben hat, zum Writers-Team, er könnte außerehelich in unsere schöne Crowdfunderin verliebt sein, die Serien leider hasst.

In der Uckermark wohnen die Jungen in der Schule, haben ihre Liebeleien, Probleme mit der Langeweile und den Wölfen. Die Starschreiber kommen nur am Wochenende dazu. Der Showrunner ist naturgemäß eine Frau, eine ältere, gut vernetzte Journalistin mit kleinem Dachschaden. In der morbiden Turnhalle sitzen sie auf von gescheiterten Start-Ups zusammengekauften Büromöbeln und streiten: Wie viel Komplexität und Multiperspektivität geht? Wie können wir es noch schneller machen? Hat jede unserer Figuren im Kanzleramt ihre private Obsession und Familiengeschichte?

Wer soll die Nonnen für eine Politikserie töten?

Eine Mischung aus West Wing und Betas also. Und weil Ralf Husmann gerade sagt: "Das geht in Deutschland nicht, weil es nicht Teil der Mainstreamkultur ist", schicken wir als running gag unsere Fernsehkritikerin aus dem Writers' Room in jeder Folge auf ein Panel, wo sie wieder alle mit den Köpfen wackeln und diskutieren, ob man in Deutschland nicht vielleicht mal eine Serie wie Borgen schreiben könnte.

Und jetzt sagt Gastgeber Lutz Hachmeister gerade: "Man muss entweder eins rauf gehen nach Europa, oder eins runter zum Bürgermeister." Womit wir wieder in Bielefeld wären, bei den Nonnen, und Husmann sagen kann: "Wenn 19 Millionen die Nonnen sehen, wer soll sie töten für eine Politikserie, die nur vier Millionen sehen wollen?"

In der letzten Folge der ersten Staffel hat die Showrunnerin gerade Christoph Waltz als Kanzlerdarsteller gewonnen, Tom Tykwer, der nach seinem Welterfolg mit der Serie Babylon Berlin Netflix gekauft hat, will mit einer dreistelligen Millionensumme einsteigen, und die Beraterin des Kanzlers hat ihrem Vater einen ... Halt, Spoileralarm! Udo Lindenberg würde sagen: Und sehen wir uns nicht in dieser Welt, dann sehen wir uns in Bielefeld.

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