Gesundheitsrisiken durch Stromleitungen:Von Lichtblitzen und Leukämie

BGH urteilt im Streit um Netzentgelte von Vattenfall

Geht Gefahr von diesen Leitungen aus? In der Debatte herrscht nicht immer Sachlichkeit.

(Foto: dpa)

Viele Anwohner von Stromleitungen fürchten schlimmste Auswirkungen der Hochspannung über ihren Köpfen. Pure Panikmache oder gesunde Vorsicht?

Von Christopher Schrader

Machen Hochspannungsleitungen vor dem Wohnzimmerfenster krank? Mediziner können darauf keine klare Antwort geben. Darum schwirren unzählige Berichte über Leukämie bei Kindern, Alzheimer bei Lokführern und driftende Wolken ionisierter Luftpartikel durch das Netz und werden in der Debatte instrumentalisiert.

Bei der Frage, ob von Stromleitungen eine gesundheitliche Gefahr ausgeht, sind zwei Faktoren wichtig. Der erste ist das elektrische Feld, das die Trassen erzeugen. Es hängt von der Spannung ab, die an den Leitungen anliegt. Es lässt sich leicht abschirmen, schon durch Bäume im Garten und erst recht durch Häuserwände. Das zweite ist das magnetische Feld. Es entsteht durch den Strom, der tatsächlich durch die Leitungen fließt und durchdringt fast alles nahezu ungeschwächt.

Magnetfelder lassen im Körper von Menschen Ströme fließen, hin und her im 50-Hertz-Rhythmus des Stromsystems. Sie können darum wirksamer sein als das statische Magnetfeld der Erde. Zu den akuten Folgen eines wechselnden Magnetfelds gehören Herzkammerflimmern oder Lichtblitze im Auge; die geltenden Grenzwerte sollen solche Effekte verhindern. Die Limits liegen für ein Magnetfeld mit Netzfrequenz bei 100 Mikrotesla und für Bahnstrom mit 16,67 Hertz bei 300 Mikrotesla.

Die meisten Menschen werden allerdings kaum jemals solchen Feldern ausgesetzt: Im Alltag liegen die Werte nach Messungen des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) eher bei 0,1 Mikrotesla. Allerdings herrschen in der Nähe von Hochspannungsleitungen im Mittel 0,8 Mikrotesla, haben Prüfer des Ecolog-Instituts in Hannover festgestellt. Würden die Stromtrassen ausgelastet, könnten es in einzelnen Wohnung sogar bis zu 16 Mikrotesla werden, so eine Hochrechnung.

Das ist zwar weit unterhalb des Grenzwertes, aber deutlich mehr, als Forschern behagt. Sie haben nämlich immer wieder festgestellt, dass sich bei ungefähr 0,4 Mikrotesla das Risiko für kleine Kindern verdoppelt, Leukämie zu bekommen.

Gefahr für Lokführer?

Der Effekt ist gesichert, aber dennoch rätselhaft: Den biologischen Mechanismus kennt niemand, und in Tierversuchen lässt sich die Steigerung des Risikos nicht nachvollziehen. Da nur sehr wenige Kinder solchen Feldern ausgesetzt sind, könnten Magnetfelder allenfalls ein Prozent dieser Krebsfälle erklären. Jedenfalls hat darum die Weltgesundheitsorganisation Magnetfelder mit niedriger Frequenz, also zum Beispiel 50 Hertz, schon 2002 als "möglicherweise krebserregend" eingestuft.

Hinzu kommt, dass Menschen, die beruflich Magnetfeldern ausgesetzt waren, Elektriker etwa oder Lokführer, bei ähnlichen Belastungen womöglich häufiger an Alzheimer und der fortschreitenden Lähmung ALS erkranken. Forscher des Bundesamtes für Strahlenschutz haben darum erst 2013 eine Regelung gefordert, dass durch Hochspannungsleitungen nicht mehr als 0,1 Mikrotesla zusätzlicher Magnetfelder in den Wohnungen der Menschen erzeugt werden sollten.

Wenn Stromkabel unter der Erde liegen statt an Masten hängen, ist das unter dem Aspekt der Magnetfelder zweischneidig. Direkt über den Erdkabeln nämlich ist das Magnetfeld deutlich höher als direkt unter einer Freileitung gleicher Kapazität. Dafür ist der Bereich rechts und links der Trasse, in dem es noch ein messbar erhöhtes Feld gibt, bei Erdkabeln schmaler: Es fällt nach 74 Metern unter den Vorsorgewert von 0,1 Mikrotesla, wenn eine unterirdische 380-Kilovolt-Leitung mit voller Kapazität betrieben wird. Bei Freileitungen beträgt der Abstand zu jeder Seite 466 Meter, zeigt eine Berechnung von Ecolog.

Der Wechsel von der üblichen Wechsel- zu Gleichspannung kann die Probleme verschärfen. Dann lassen sich nämlich Magnetfelder nicht mit technischen Tricks verringern.

Bei Freileitungen kommt hinzu, dass sich ein rätselhafter Effekt verstärken könnte. Rund um die Leitungen werden Luftpartikel ionisiert. Sie können offenbar vom Wind weggeweht werden. Nach vielen Reaktionen in der Luft laden die entstehenden Ionen womöglich Schadstoffe wie Ruß oder Feinstaub elektrisch auf, so dass diese leichter und tiefer in die Lunge kommen. Ob das gefährlich ist und wenn ja, in welchen Ausmaß, kann niemand sagen.

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