Ukraine-Krise in russischen Medien:Chaos in Endlosschleife

Members of a Maidan self-defence unit walk past a burnt building on Independence Square in Kiev

Schuld seien die auf dem Maidan, sagt ein Rentner im russischen Fernsehen. Dort marschieren Mitglieder der so genannten Selbstverteidigungsgruppe".

(Foto: REUTERS)

In der Ukraine tobt ein Bürgerkrieg - diesen Eindruck beschwören russische Staatsmedien, wenn sie Panzer und Soldaten immer und immer wieder zeigen. Es sind Bilder, die die Menschen im Osten der Ukraine verunsichern und in Russland einen neuen Patriotismus beschwören.

Von Antonie Rietzschel

Panzer, Soldaten, Maschinengewehre, Hubschrauber - und wieder Panzer. Solche Bilder zeigen russische Medien derzeit in Endlosschleife. Der TV-Sender Rossija24 blendet dazu links unten ein kleines Symbol ein: den Kopf eines Mannes mit schwarzer Strumpfmaske, dahinter die schwarz-rote Flagge der ukrainischen Nationalisten aus dem Zweiten Weltkrieg.

Russlands Präsident Wladimir Putin sieht die Ukraine vor einem Bürgerkrieg - doch wer die Bilder russischer Medien sieht, glaubt, das Land stecke schon mittendrin: die Ost-Ukraine, besetzt von schießwütigen Soldaten, die wiederum von einer faschistischen Regierung geschickt wurden. Eine Wirtschaftsnachrichtenseite stellt die Ukraine in eine Reihe mit Syrien und Ägypten.

Die Faktenlage ist alles andere als übersichtlich - auch, weil oft Aussage gegen Aussage steht, die russische gegen die ukrainische. Bei zahllosen Gerüchten ist am Mittwoch nur klar: Kiew hat das ukrainische Militär in den Osten geschickt, nachdem prorussische Separatisten Gebäude unter anderem in Donezk und Slawjansk weiter besetzt hielten.

Die Botschaft ist eindeutig

Als erstes eroberte das ukrainische Militär am Dienstag den Militärflughafen Kramatorsk zurück. Die TV-Sender Rossija24, Russia Today sowie die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti berichteten, dass Demonstranten versucht hätten den Weg zum Flughafen zu blockieren. Die Soldaten hätten Schüsse abgegeben, vier Demonstranten seien getötet worden. Dafür gibt es bis jetzt keine Bestätigung. Die britische Tageszeitung Guardian hatte einen Reporter vor Ort, der berichtete, dass sich die Soldaten ein kurzes Gefecht mit 30 Bewaffneten geliefert hätten.

Ihnen, der Bevölkerung widmen die russischen Staatsmedien vor allem ihre Aufmerksamkeit. Rossija24 zeigt besorgte Menschen, die ihrer Angst vor einem Krieg Ausdruck verleiehen. Der Fernsehsender hat einen Reporter nach Stachanow geschickt, einer Stadt in der Region Lugansk. Dort hat er diese Szene festgehalten: Eine aufgeregte Frau an einer Supermarktkasse zeigt auf die Auslage. Tee, beispielweise. Der habe früher viel weniger gekostet als jetzt, sagt sie in die Fernsehkamera. "Die Bevölkerung bei uns ist arm." Die Preise für Lebensmittel würden jeden Tag steigen, sagt der Reporter. Die Leute vom Maidan seien für die Situation verantwortlich, sagt ein Rentner. Dazu passend wird das Bild einer bettelnden alten Frau eingeblendet. Der Bevölkerung, so die Botschaft, geht es schlecht und es wird ihr bald noch schlechter gehen.

Putin als Warner und Vermittler

Russland selbst geriert sich vor allem als uneigennütziger Retter in der Not - in einem Konflikt, an dem das Land nach Meinung des Westens wahrscheinlich nicht ganz unschuldig ist. So liege der Verdacht nahe, argumentieren Kritiker dort, dass sich unter den prorussischen Separatisten auch russische Soldaten befinden. US-Präsident Obama hatte Anfang der Woche erklärt, es gebe Hinweise auf eine Einmischung durch Russland. Der russische Außenminister Sergej Lawrow wischt solche Vorwürfe als "Unsinn" weg. Richtung Ukraine schickt er die Warnung, durch das militärische Eingreifen Gespräche zur Lösung des Konflikt zu verhindern. Russische Nachrichtenagenturen wie Itar-Tass oder Ria Nowosti verbreiten jedes dieser Worte, sie werden im russischen Fernsehen und Radio aufgegriffen, stehen in Zeitungen und online. Und auch in Deutschland gibt es Meinungen, wonach der Konflikt nur durch einen Dialog beigelegt werden könne - so argumentiert etwa der Linken-Politiker Wolfgang Gehrcke.

Lawrow und Putin sind omnipräsent. Letzterer vor allem als Warner, aber auch als Vermittler: Putin spricht mit Angela Merkel, Putin spricht mit Barack Obama, Putin spricht mit Ban Ki Moon - Meldungen, die der Fernsehsender Rossija24 genauso in Endlosschleife sendet wie die Bilder der ukrainischen Panzer.

Eine eigene Wahrheit

Die russische Regierung und vor allem die staatlichen Fernsehsender haben erfolgreich eine eigene Wahrheit über den Konflikt in der Ukraine geschaffen. Und die Mehrheit der Bevölkerung im eigenen Land glaubt sie, wie Mascha Lipman vom Carnegie Moscow Center sagt. Noch nie zuvor sei in Russland so flächendeckend auf Propaganda gesetzt worden wie zu dieser Zeit, so ihre Einschätzung.

Gleichzeitig geraten unabhängige oder sogar kritische Nachrichtenquellen in Schwierigkeiten. Die Chefredakteurin des Online-Portals Lenta.ru wurde nach einem Interview mit einem Mitglied einer anti-russischen Bewegung gegen einen kremltreuen Mitarbeiter ausgetauscht. Kabelnetzbetreiber nahmen den Sender TV-Doschd aus ihrem Angebot - wegen einer kritischen Frage.

Wie sich diese Propaganda auf die russische Gesellschaft auswirkt, hat die die weißrussische Schriftstellerin Svetlana Alexijewitsch aufgeschrieben. Es gebe einen ungeheuren Ausbruch von Patriotismus. Überall Begeisterung wenn von "Anschluss" oder "Annexion" die Rede ist. "In Moskau heuert man ukrainische Gastarbeiter mit Schadenfreude für die allerunqualifiziertesten Arbeiten an", schreibt sie. Sie habe Angst, den Fernseher einzuschalten, schreibt Alexijewitsch. Die Medien würden gesäubert. "Der 'rote' Mensch ist wieder da." Eine Anspielung auf die Sowjetzeit. Wie es ihr damit geht, die diese Entwicklung nicht unterstützt? Sie habe viele russische Freunde verloren, so die Weißrussin.

Ungeheurer Ausbruch von Patriotismus

Im Osten der Ukraine nutzen die Menschen ebenfalls die russischen Staatsmedien. Auch wenn die Region traditionell eher Russland zugewandt ist, liegt die Unterstützung für eine Abspaltung dort unter 20 Prozent, beziehungsweise unter zehn Prozent. Eine mögliche Abspaltung wäre für Russland also nicht so leicht zu bewerkstelligen wie bei der Krim. Doch in der Bevölkerung gibt es ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Regierung in Kiew. Die Menschen haben Angst, dass in der Hauptstadt "faschistische Kräfte" an der Macht beteiligt sind. Diese Befürchtungen werden geschürt, wenn russische Medien Chaos in Endlosschleife zeigen.

Gleichzeitig locken sie mit Berichten von der Krim, wo eine alleinerziehende Mutter nach dem Referendum jetzt viel mehr finanzielle Unterstützung bekomme. Der Radiosender Stimme Russlands berichtet, dass Dmitrij Medwedew ein Dekret unterzeichnet, wonach die Renten auf der Krim angehoben werden sollen. Der dortige Ministerpräsident Sergej Aksjonow bietet Ria Nowosti zufolge sogar an, Familien aus Donezk oder Kramatorsk finanziell zu unterstützen.

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