Polizei in der Ukraine:Korrupt, vernachlässigt, desertiert

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Ukrainische Polizisten und ihre neuen prorussischen Befehlshaber in Gorlowka.

(Foto: AFP)

Nach langem Siechtum ist der Ruf der ukrainischen Polizei so mies wie ihr Zustand. Kein Wunder, dass sich im Osten des Landes immer mehr Beamte den Separatisten anschließen. Nur eine Reform könnte helfen. Anderswo in der Region hat das bereits funktioniert.

Von Michael König

Die Ukraine erlebt "Tage der Demütigung", schreibt die Zeitung Kyiv Post. Der von Kiew angestrebte "Anti-Terror-Einsatz" im Osten des Landes verpufft. Die entsandten Truppen bleiben stecken oder laufen zu den prorussischen Separatisten über.

Mindestens genauso peinlich wie Panzer, die kampflos den Besitzer wechseln, ist für die Übergangsregierung das Verhalten der Polizei. In der Region Lugansk soll jeder zweite Beamte den Dienst quittiert haben. In Slawjansk erbeuteten Separatisten etwa 400 Waffen, als sie die Polizeidirektion stürmten. Und in Gorlowka nördlich von Donezk wurde die Fahnenflucht einiger Beamten auf Video festgehalten.

In dem Youtube-Clip ist zu sehen, wie zwei Dutzend Beamte in Reih und Glied die Befehle eines Mannes entgegen nehmen, der sich als russischer Offizier vorstellt. Später verkündet ein neuer Polizeichef vor westlichen Journalisten: "Kiew hat hier keinen Einfluss mehr."

Es sind Auflösungserscheinungen, die dort zu sehen sind. Ohne militärisch groß in Erscheinung treten zu müssen, scheint Moskau die Verwaltung in den östlichen Regionen der Ukraine zu übernehmen. Das beurteilen Beobachter auf beiden Seiten so.

"Kiew hat die Kontrolle über die Sicherheitsbehörden im Osten verloren", sagt etwa der kanadische Wirtschaftswissenschaftler und Nato-Kritiker Michel Chossudovsky dem kremltreuen russischen TV-Sender Russia Today. Währenddessen räumt Dmytro Tymchuk, Direktor des Forschungzentrums für Militär und Politik in Kiew, auf seiner Facebook-Seite einen Irrtum ein: "Bis vor kurzem haben wir gedacht, dass etwa 30 Prozent der Polizisten in der Region Donezk loyal sind." Der Wert sei viel zu hoch angesetzt gewesen.

Der Mangel an Loyalität gegenüber der neuen Regierung ist kein Wunder. Der Zustand der ukrainischen Polizei gilt als verheerend, ebenso schlimm ist ihr Ruf bei der Bevölkerung. Die Knackpunkte:

  • Bezahlung: Ein ukrainischer Polizist im Osten verdiene nur ein Viertel dessen, was ein russischer Beamter bekomme, berichten mehrere Medien. Von 300 Dollar auf der einen und 1200 Dollar auf der anderen Seite der Grenze ist die Rede. Das macht die Fahnenflucht ökonomisch interessant.
  • Korruption: Um die schlechte Bezahlung auszugleichen, hielten die Beamten jahrzehntelang die Hand auf. In einer Umfrage von Transparency International aus dem Jahr 2013 nannten 64 Prozent der befragten Ukrainer die Polizei "extrem korrupt". 49 Prozent gaben an, schon einmal einen Polizisten bestochen zu haben. Im Korruptionsindex von Transparency International steht die Ukraine auf Platz 144 von 177 Staaten.
  • Verstrickung mit Janukowitsch: Viele Anhänger der neuen Regierung halten die Polizei für eine Marionette des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch, der im Osten des Landes seine Machtbasis hatte. "Die Miliz im Donezker Gebiet ist gekauft und dient der Familie Janukowitsch", sagt Jurij Luzenko, ehemals Innenminister der Ukraine unter Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, im Deutschlandfunk. Janukowitsch versorge die Polizei bis heute mit beträchtlichen Geldsummen, "und sie sind jetzt sogar noch wesentlich höher als früher." Janukowitsch befindet sich seit seinem Sturz im russischen Exil.
  • Foltervorwürfe: In der Vergangenheit gab es immer wieder Berichte über gewaltsame Übergriffe von Polizisten. Im Sommer 2012 schlossen sich 25 000 Menschen einer Petition von Amnesty International an, die die ukrainische Regierung aufforderte, entsprechende Fälle zu prüfen. Ein Jahr später stürmten wütende Bürger die Polizeistation von Wradijewka, nachdem zwei Polizeibeamte eine 29-jährige Frau auf dem Heimweg von einer Disco überfallen, in einen Wald geschleppt, verprügelt und vergewaltigt hatten. Das Opfer überlebte schwer verletzt.

Gut ausgerüstet und ausgebildet war allenfalls die Sonderpolizei Berkut ("Steinadler"), die jedoch als Janukowitschs wichtigstes Werkzeug zum Machterhalt galt und von der Übergangsregierung aufgelöst wurde. Mitglieder der 4000 Mann starken Elite-Einheit waren dabei gefilmt worden, wie sie Maidan-Demonstranten misshandelten und mit scharfer Munition beschossen. Nach der Auflösung sollen sich viele Berkut-Polizisten den Separatisten angeschlossen haben.

Weil auch die neue Nationalgarde sowie die Spezialeinheit des ukrainischen Geheimdienstes - er gilt als eng verflochten mit Putins Agenten - nicht in Frage kommen, wirkt die Übergangsregierung ohnmächtig, was ihre Sicherheitsbehörden betrifft.

Deutschland bietet Hilfe an

Der Westen sieht das zunehmend mit Sorge. Großbritannien, Polen und Schweden werben offenbar in Brüssel für eine "Aufbau-Mission, die sich auf den Polizei-Apparat und das Justizsystem" konzentriert. Die Website EUObserver zitiert aus einem entsprechenden Papier.

Die Bundesregierung hatte Ende März verkündet, Innenminister Thomas de Maizière haben seinem ukrainischen Pendant Arsen Awakow Hilfe angeboten, unter anderem bei der polizeilichen Ausbildung und Ausstattung. Die Übergangsregierung in Kiew habe daraufhin ein formelles Unterstützungsersuchen in Berlin eingereicht.

Als Sofortmaßnahme regt Ex-Innenminister Luzenko an, das Personal solle in ein "Rotationsverfahren geschickt werden. Das heißt, die Beamten aus dem Osten müssen in den Westen und umgekehrt." Die Menschen im Westen der Ukraine gelten als europafreundlich, während der Osten von ethnischen Russen geprägt ist.

Langfristig führt für Kiew wohl kein Weg an einer umfassenderen Reform vorbei. Als Vorbild könnte das zehnmal kleinere Georgien dienen. Dort veranlasste Präsident Michail Saakaschwili nach seinem Amtsantritt 2004 eine Reform der Polizei, die "anerkennenswerte Fortschritte" brachte, wie das Auswärtige Amt schreibt. Saakaschwili ließ weite Teile der korrupten Belegschaft feuern. Die neuen Bewerber durchliefen ein strenges Auswahlverfahren, sie bekamen neue Uniformen und moderne Dienstwagen, gesponsert von den USA. Ihr Gehalt soll um das Vierfache erhöht worden sein. Sie entwickelten etwas, was bei den Polizisten in der Ukraine selten zu sein scheint: eine Berufsehre.

Lob selbst aus Russland

Selbst im verfeindeten Russland wurde die Reform positiv aufgenommen. Als Ende 2010 der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew eine Initiative gegen Korruption, Gewalt, Selbstherrlichkeit und Bequemlichkeit der russischen Polizei ausrief, da blickten seine Experten ehrfürchtig nach Tiflis.

Wladimir Owtschinskij, ein ehemaliger Major der Miliz und langjähriger Mitarbeiter im Innenministerium, sagte damals der SZ, er sei zwar schon immer schlecht auf den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili zu sprechen gewesen, "aber die Polizeireform hat er sehr effektiv durchgezogen. Er hat Strafverfahren eröffnet, viele Beamte rausgeworfen, durch neue ersetzt und den Kampf gegen das organisierte Verbrechen verstärkt."

Noch fehlen der Regierung in Kiew für solche Taten wohl Mandat und Kraft. Übergangspräsident Alexander Turtschinow blieb in seiner Ankündigung einer "Initiative" jedenfalls vage: Die Polizei in Lugansk, Donezk und Charkow solle bald "mit Patrioten aufgewertet" werden, nachdem sie "ihre Unfähigkeit bewiesen hat, die Bürger zu schützen."

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