Frankreichs Präsident:Hollandes Risiko

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Muss nun alles riskieren, um seine Präsidentschaft zu retten: François Hollande.

(Foto: AFP)

Alles oder nichts: Um seine Präsidentschaft zu retten, geht François Hollande mit tiefgreifenden Reformplänen in die Offensive. Doch Hollande läuft die Zeit davon - ihm droht die Tragödie des Spätentschlossenen.

Ein Kommentar von Christian Wernicke, Paris

Alles oder nichts. So simpel ist das Motto, dem François Hollande nun gehorcht. Frankreichs Präsident muss alles riskieren, um seine Präsidentschaft zu retten. Denn er steht, nach inzwischen 23 Monaten im hohen Amt, vor dem Abgrund. Vor dem Nichts.

Der Mann im Élysée propagiert Reformen, die so niemand will in Frankreich. Per Rotstift möchte er binnen drei Jahren 50 Milliarden Euro aus dem Haushalt streichen, eine für das französische, stets üppige Staatsgebaren geradezu unvorstellbar hohe Summe. Und er wagt, als Sozialist gewählt, die Häresie: Hollande will, um mehr Jobs zu schaffen, die Unternehmen entlasten, die Arbeitskosten senken - und gleichzeitig ein Jahr lang Renten, Kinder- und Wohngeld einfrieren. Das alles ist zwar keine Revolution, aber genug, um in Frankreich Revolten loszutreten.

Frankreichs bürgerliche Opposition nörgelt. Ihr geht der Sparkurs nicht weit genug. Tatsächlich ist manches Stückwerk an Hollandes Vorschlägen. Und dennoch, die Kritik von rechts klingt hohl, ja, sie ist verlogen. Denn die Konservativen haben - unter Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy - in vielen langen Jahren an der Macht all jene Schritte und Schnitte zur Erneuerung des Landes nicht gewagt, die sie jetzt wohlfeil propagieren.

Ihm läuft die Zeit davon: Es wird dauern, bis die Reformen wirken

Verständlicher - und weitaus brisanter für den Präsidenten - ist derweil der Widerstand, der in den eigenen Reihen gegen ihn aufwallt. Die Linke wittert Verrat, und die Traditionalisten in Frankreichs sozialistischer Partei drohen, die Regierung des gerade erst eingesetzten Premierministers Manuel Valls zu lähmen. Die nächste Protestwelle lauert am Mittwoch. Dann werden Valls und sein Finanzminister Michel Sapin ein neues "Stabilitätsprogramm" vorlegen. Darin müssen sie glaubhaft vorrechnen, wie sie ihren gegenüber Brüssel und den Euro-Partnern geleisteten Schwur einlösen wollen, das Haushaltsdefizit bis Ende nächsten Jahres auf drei Prozent zu drücken. Das Lamento der Altlinken ist vorgestanzt: "Das soziale Frankreich" dürfe nicht einem "ultra-liberalen Europa" geopfert werden.

Nur leider, Hollande hat diese Geister selbst gerufen. Vor zwei Jahren, während seiner Präsidentschaftskampagne 2012, verheimlichte der Kandidat seine eigene sozialdemokratische Identität. Er leugnete Frankreichs Strukturprobleme: den trägen Staatsapparat, den Bürokratismus, die Schulden. Und er machte illusionäre Versprechungen, so als könne mit ihm eine neue, rote Morgensonne aufziehen, die sogar ganz Europa leuchten würde.

Wie auch? Der Präsident selbst weiß es seit Jahren besser. Und einmal, vor beinahe fünf Jahren, hatte dieser notorische Taktiker sogar den Mut, dies offen zu sagen. Im Sommer 2009 tobte die Weltfinanzkrise -und Hollande warnte seine Genossen, dass der Nation ohne mutige Reformen über Jahre magerste Zeiten drohten. Er warnte vor dem Rückgriff auf Frankreichs tradierten Dirigismus, geißelte die Flucht zu immer mehr Staatsschulden als Irrweg. Stattdessen empfahl er, was er nun heute, endlich, wagt: mehr Investitionen in Forschung und Bildung sowie geringere Kosten für die Unternehmen, um neue Arbeitsplätze anzulocken.

Vom Sozialisten zum Sozialdemokraten

Das Drama des François Hollande ist, dass er die eigenen Einsichten auch im Élysée-Palast zunächst verdrängte. Geschlagene zwanzig Monate ließ er verstreichen, ehe er sich vom Sozialisten zum Sozialdemokraten häutete. Seither probiert er jene "Wende", die er vor fünf Jahren selbst empfahl. Und selbst dabei wirkte er wochenlang eher zögerlich, kleinlaut, verschämt. Richtig ernst macht Hollande erst, seit ihn die Franzosen bei den landesweiten Kommunalwahlen Ende März abstraften -und sie zum nationalen Misstrauensvotum gegen den Präsidenten nutzten.

Alles oder nichts. Der Mann, der allen alles versprach und nichts halten konnte - er drückt aufs Tempo. Der einsame Zauderer erinnert im Stil oft an François Mitterrand. An jenen Präsidenten also, unter dem Hollande einst als kleiner Berater erstmals den Élysée-Palast betrat. Auch Mitterrand vergeudete die ersten zwei Jahre seiner Präsidentschaft, riss dann das Ruder nach rechts herum - und wurde wiedergewählt. Und doch hinkt der Vergleich. Damals währte das Mandat eines Präsidenten sonnige sieben Jahre, heute sind es fünf. Nur drei bleiben ihm noch.

Hollande läuft die Zeit davon. Selbst wenn er seine Reformen zur Sanierung Frankreichs durchsetzt: Es wird dauern, ehe sie greifen und die Arbeitslosigkeit sinkt. Gerhard Schröder, der deutsche Agenda-Kanzler, kann davon erzählen. Es wäre, wieder einmal, die Tragödie eines Spätentschlossenen: Hollande hätte alles riskiert und würde dennoch im Abseits, im Nichts landen. Den Segen seiner Tat einstreichen würde dann der Nachfolger. Und, immerhin, Frankreich.

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