Klassik im Radio:BR will Händel und Haydn verbannen

Mariss Jansons dirigiert Symphonierorchester des Bayerischen Rundfunks in München, 2013

Mariss Jansons und das Symphonieorchester des BR bei einer öffentlichen Generalprobe.

(Foto: Catherina Hess)

Der Bayerische Rundfunk plant, die UKW-Frequenz seines einzigen Klassiksenders für ein Jugendprogramm zu nutzen. Das wäre ein herber Verlust für die Radiolandschaft.

Von Johan Schloemann

Viermal eine ausverkaufte Allianz-Arena - jeden Tag. Eine Viertelmillion Hörer hat die vierte Radiowelle des Bayerischen Rundfunks, BR-Klassik. Doch die Rundfunkfunktionäre sind damit nicht zufrieden. Sie wollen den Sender von 2016 an aus dem UKW-Angebot entfernen und durch den Jugendsender Puls ersetzen, der bisher digital gesendet wird.

Der Bayerische Rundfunk (BR) hat allerdings bereits zwei Popsender, die man als mitgealterte Jugendsender bezeichnen kann: Bayern 1 und Bayern 3 - Oldies, Hits und jede Menge gute Laune. Dann gibt es noch einen Kultursender, der vorwiegend Wortbeiträge sendet, dabei aber auch die Popkultur berücksichtigt (Bayern 2), sowie fünftens einen Info-Kanal (B 5 aktuell).

Das bedeutet: Wenn BR-Klassik seine UKW-Frequenz verlöre, dann könnte man auf keinem einzigen der insgesamt fünf BR-Sender mehr Bachs Englische Suiten, Beethovens Streichquartette, Arien von Rossini oder Béla Bartóks Orchesterwerke hören. Keinen Daniel Barenboim, keine Julia Fischer und keine Anna Netrebko. Abgesehen vielleicht von kleineren sogenannten Programmfenstern. Verstieße eine solche Streichung aber nicht eklatant gegen den Kulturauftrag des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks? In diesem Falle gegen den Kulturauftrag einer ARD-Anstalt, die inklusive Fernsehen - nach eigener Schätzung für 2014 - immerhin gut eine Milliarde Euro an obligatorischen Rundfunkbeiträgen im Jahr einnimmt?

Nein, sagen die Vorkämpfer der umstrittenen Programmreform. Man könne doch den Klassiksender weiterhin in besserer Qualität per Digitalfunk (DAB+) sowie im Internetradio hören. Das stimmt. Außerdem werde UKW zugunsten der digitalen Ausstrahlung ohnehin sehr bald abgeschafft. Das stimmt nicht. Kein Radioexperte glaubt, dass das herkömmliche analoge Radio innerhalb der nächsten zehn, fünfzehn Jahre wirklich verschwinden wird.

Zu groß sind dafür die Umstellungsprobleme, die bundesweite DAB-Abdeckung und -Akzeptanz ist noch sehr mangelhaft. Weshalb jetzt aber ausgerechnet der Klassiksender die Vorhut des Abschaltens bilden soll; und weshalb ausgerechnet die Spotify-Jugendlichen, die Digital Natives, einen neuen Sender in der todgeweihten UKW-Technik bekommen sollen, das versteht niemand.

Entsprechend formiert sich nun Widerstand, nicht nur in Bayern - so wie im Jahr 2006, als der BR dasselbe Manöver gegen den Klassiksender schon einmal ausprobierte. Mitte Mai tagt wieder der Rundfunkrat des BR, eine Art Monstergremium der Parteien und gesellschaftlichen Gruppen. Eine Online-Petition des Bayerischen Musikrates für BR-Klassik hat inzwischen mehr als 37 000 Unterzeichner. Sie wollen sich nicht einreden lassen, dass die Musik von Händel oder Schumann jemals "veraltet".

Und sie begreifen auch nicht, wie die Klassik-Gegner im BR - allen voran der designierte Hörfunk-Direktor Martin Wagner - argumentieren: Der Online-Auftritt werde doch ausgebaut, heißt es, zum Beispiel mit Konzert-Mitschnitten auf Abruf. Aber die Verbesserung der Internetseite, die bereits im Gange ist, war ja ohnehin überfällig. Die Webseiten der Radiosender sind schließlich zusätzliche Angebote zur Rund-um-die-Uhr-Ausstrahlung, nicht deren Ersatz.

Bundesweite Bedeutung

Warum aber ist der Fall BR-Klassik von überregionaler, bundesweiter Bedeutung? Weil BR-Klassik der einzige reine Klassik-Sender im ARD-Konzert ist. Er versorgt ein riesiges Flächenland, wird digital auch außerhalb Bayerns gehört und ist mit zwei Weltklasse-Ensembles verbunden, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (geleitet von Mariss Jansons) und dem Rundfunkchor unter Peter Dijkstra. Solange auf UKW gesendet wird, würde die Basis dieser Institution - einschließlich der Bemühungen, jüngere Hörer und Musikschüler zu gewinnen - massiv beschnitten, wenn BR-Klassik wegfiele.

Recht viel klassische Musik von Monteverdi bis Strawinsky - und etwas Jazz - senden zwar auch die anderen öffentlich-rechtlichen Kulturradios in Deutschland. Aber sie haben ein anderes Konzept, das noch eng mit dem schwindenden Bildungsbürgertum der Nachkriegskultur verbunden ist - sie mischen nämlich "E"-Musik mit mehr oder weniger anspruchsvollen Wortprogrammen. Die wichtigsten Sender dieser Art sind: SWR 2; WDR 3; NDR Kultur; Nordwestradio; HR 2; Kulturradio RBB; SR 2 Kulturradio; MDR Figaro - sowie außerdem überregional Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur.

Auch diese Sender stehen immer wieder unter dem Druck quotenfixierter Intendanten. Vor zwei Jahren erst wandte sich die Initiative "Die Radioretter" in Nordrhein-Westfalen gegen einen Umbau von WDR 3; der Protest, den Prominente von Elke Heidenreich bis Navid Kermani unterstützten, richtete sich gegen gezielte De-Intellektualisierung einerseits sowie Häppchen- und Kuschel-Klassik andererseits (die man ja bereits beim Privatsender Klassik Radio bekommt). Andere Kultursender sind längst im Magazinstil "durchhörbar" gemacht - die Fachleute verwenden dafür den unschönen Begriff "Tagesbegleitstrecke".

Überraschung durch Unerwartetes

Das Radio ist nach wie vor ein Massenmedium, aber natürlich verändern sich die Hörgewohnheiten gerade stark. Während sich der Kulturbegriff um Pop und Alltag erweitert hat, ermöglicht die Digitalisierung mit Podcasts und Streaming-Diensten ein zielgenaues, personalisiertes, punktuelleres Hören. Zugleich aber bleiben die von Redaktionen sinnvoll zusammengestellten Vollprogramme wichtig - damit man sich orientieren, aber auch mal von Unerwartetem überrascht werden kann.

Es ist nicht mehr wie früher: Wer einen Adorno-Vortrag im Radio hören will (um ein Beispiel von früher zu verwenden), der interessiert sich nicht unbedingt auch für eine ganze Bruckner-Symphonie, und umgekehrt. Insofern war gerade der Bayerische Rundfunk innovativ, als er 1980 einen reinen Klassik-Sender einführte.

Die Trennung von Wort und Musik ist fürs heutige Kulturpublikum zeitgemäßer - das große Vorbild ist da die BBC (oder sollte es sein). Was viele deutsche Rundfunkmacher als moderne, magazinmäßige "Auflockerung" durch Musik beziehungsweise Wort verstehen, ist in Wahrheit antiquiert. Auch deshalb erscheint es widersinnig, BR-Klassik vorzeitig aus dem Äther zu verbannen.

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