Wandern auf Teneriffa:Unterm tückischen Teide

LUNAR ECLIPSE SEEN FROM TENERIFE

Das Land um den mächtigen Teide herum ist eine windige Wüstenei

(Foto: dpa)

Schon Alexander von Humboldt schwärmte von Spaniens höchstem Berg auf der Kanareninsel Teneriffa. Immer noch zieht der Teide Scharen von Besuchern an. Auf alten Wegen kann man die Touristenmassen umgehen. Allzu empfindlich darf man allerdings nicht sein.

Von Jochen Temsch, Teneriffa

Elena Carballos verwitterte Holzhütte sieht aus, als würde sie der nächste Windstoß umwerfen, aber das ist nicht das Problem. Der Rauch aus dem Kamin der Hütte hängt selbst an einem klammen Regentag weithin sichtbar über Kiefern und Lorbeerbäumen.

Feuchter, kalter Nebel ist typisch für die waldige Bergregion im Norden Teneriffas. Das sind die Passatwolken, die übers offene Meer treiben, sich dabei vollsaugen und hier an einer 2000 Meter hohen Barriere hängen bleiben. Die Pauschalurlauber im Süden der Insel freuen sich. Dank der Berge im Norden sind ihnen Ferien all inclusive Dauersonne, Trockenheit und hohen Temperaturen sicher. Durchgefrorene Wanderer im Regenwald dagegen kehren gerne bei Elena Carballo ein. Seit 40 Jahren führt ihre Familie die Hütte als Restaurant. Es gehört zum Erholungsgebiet La Caldera, einem bei Einheimischen beliebten, von Gras überwucherten Vulkankessel, um den gemauerte Grills gruppiert sind.

Ähnlich der Kanarenkiefer

Die Hütte ist nicht viel mehr als eine Stube mit einer Handvoll grob gezimmerter Tische, einer Feuerstelle und Wänden aus Vulkangestein, an denen Heugabeln hängen. Die Einrichtung ist aus dem Holz der Kanarenkiefer gefertigt, die sogar Waldbrände übersteht, so widerstandsfähig ist sie. In ihrer Eigenwilligkeit ähneln die Einwohner Teneriffas, die Tinerfeños, ihrem wichtigsten Baum. Aber Elena Carballo ist bald am Ende ihrer Kräfte. Und das ist das Problem.

"Ich habe das Gefühl, dass nur die großen Betriebe Unterstützung bekommen", sagt sie, "die kleinen lässt man eingehen." Die Stadtverwaltung von Orotava, die für den Bergwald zuständig ist, plant einen Ausbau des Erholungsgebiets. Die Hütte soll einem Massenbetrieb mit Busstellplätzen und Hochseilgarten weichen. Hier sollen in Zukunft nicht nur vereinzelte Wanderer, sondern massenhaft Tagesausflügler auf dem Weg zum Teide-Nationalpark Station machen. Von den circa fünf Millionen Gästen, die Teneriffa im vergangenen Jahr besuchten, fuhren 3,5 Millionen zum Teide. Das weckt Begehrlichkeiten. Die Carballos dürften nur bleiben, wenn sie bereit wären, 300 000 Euro in den Ausbau zu investieren. Aber woher nehmen bei den bodenständigen Preisen, die ihre Gäste seit jeher gewohnt sind?

Die siebenköpfige Wandergruppe zahlt für das Mittagessen zusammen etwa 40 Euro. Und das für beste, heimische Spezialitäten, die Elena Carballo nach Rezepten ihrer Mutter in vielen, kleinen Portionen serviert: Kichererbsen-Eintopf, Ziegengulasch, Kaninchenbraten sowie die beiden Beilagen, die niemals fehlen dürfen - Papas Arrugadas, ungeschälte Kartoffeln in Salzkruste, und Escaldón de gofio, ein Brei aus geröstetem Gerstenmehl, Knoblauch und Zwiebeln. Schon die Ureinwohner der Kanaren, die Guanchen, kannten den braunen Pampf. Alexander von Humboldt erwähnt ihn in seinen Aufzeichnungen.

Schmuckkästen unter Hotelklötzen

Auch der damals 29 Jahre alte Forschungsreisende kam auf dem Weg zum Teide durch den Kiefernwald. Im Juni 1799 verbrachte Humboldt eine Woche auf Teneriffa, bevor er nach Amerika segelte. Der Kapitän seines Schiffs Pizarro hatte wenig Lust, lange auf ihn zu warten. Humboldt musste sich beeilen. Er wohnte bei der Kaufmannsfamilie Cólogan am Kirchplatz des heutigen Touristenzentrums Puerto de la Cruz. Die Architektur des Gebäudes blieb erhalten, heute befindet sich das Drei-Sterne-Hotel Marquesa darin. Mit seinem überdachten Innenhof und der Galerie aus dunkler Kanarenkiefer vermittelt das Hotel noch immer eine Ahnung vom glanzvollen Leben der gebildeten Stände im 18. Jahrhundert. Eine Sehenswürdigkeit ist das historische Schmuckkästchen inmitten hässlicher Hotelklötze aus der Anfangszeit des Massentourismus ohnehin.

Innerhalb von sechs Tagen traf Humboldt wichtige Persönlichkeiten der Insel und vertiefte sich in Flora und Fauna. Er bestieg den Pico del Teide und hinterließ der Tourismusindustrie jenen Ausspruch, der heute in keinem Reiseführer fehlt: Nachdem er die Welt bereist habe, müsse er gestehen, "nirgends ein so mannigfaltiges, so anziehendes, durch die Verteilung von Grün und Felsmassen so harmonisches Gemälde vor mir gehabt zu haben".

Arg ramponiert

Als Schauplatz dieser Gefühlswallung wird der Aussichtspunkt Mirador de Humboldt vermarktet, eine in den Fels gehauene Terrasse mit Café und einer lässig auf der Brüstung sitzenden Humboldt-Statue unterhalb von Orotava. Das Panorama reicht von Puerto de la Cruz und dschungelartig wuchernden Bananenplantagen bis hinauf zur Kaldera des Teide über das gesamte Orotavatal.

Das "harmonische Gemälde" allerdings, von dem Humboldt schwärmt, wurde in den vergangenen 200 Jahren arg ramponiert. Betonklötze aus den Siebzigerjahren sprenkeln das Bild. Eine mehrspurige Schnellstraße zerschneidet es. Die Autos übertönen selbst in dieser Höhe noch das Zischen der Kaffeemaschine. Teneriffa und Humboldt - das ist eine alte Geschichte. Aber nicht so alt, dass sich anhand von ihr nicht auch etwas über die spanische Gegenwart erzählen ließe. Am Rande der historischen Route jedenfalls begegnet man immer wieder Menschen, die die massentouristische Entwicklung ihrer Insel mit gemischten Gefühlen erleben.

Zum Beispiel Carlos Quemada Conde. Der 40-Jährige mit dem herzlichen Lachen und dem kräftigen Händedruck stammt aus einer Familie von Bauunternehmern. Er errichtete Hotels und legte Straßen an, zum Beispiel hoch zum Teide-Nationalpark. Als die Wirtschaftskrise auch auf Teneriffa zuschlug, den Bauboom beendete und Aufträge ausbleiben ließ, sah er sich nach einer Alternative um. Zusammen mit seiner Frau übernahm er das leer stehende Hotel Alta Montaña auf 1400 Metern Höhe. Die beiden zogen von der Inselhauptstadt Santa Cruz in das verschlafene Bergdorf Vilaflor und beschlossen, die zwei Hektar Grund des Hotels zu beackern. "Wir hatten absolut keine Ahnung, wie man Landwirtschaft betreibt", sagt Carlos Quemada, "wir lernten es durch Ausprobieren und dank der Hilfe unserer Nachbarn."

Vor allem die älteren Leute aus dem Dorf hätten Solidarität gezeigt und ihnen erklärt, wie man Wein, Kartoffeln, Obst und Gemüse anbaut. Viele Tinerfeños haben sich in der Krise notgedrungen auf die Selbstversorgung besonnen. Überall auf der Insel sieht man Anpflanzungen, wo viele Jahre lang die Felder brachlagen.

Ländlicher Tourismus boomt

Bei Carlos Quemada bleibt der Großteil der Ernte im Hotel. Frische Früchte, Gemüse und Marmeladen sind für seine Gäste. Die Weintrauben liefert er an Bodegas am Ort. Er blickt optimistisch in die Zukunft. "Einheimische und ausländische Gäste nehmen unser Angebot an", sagt er. "Turismo rural", der ländliche Tourismus, habe sich als Alternative zu den Bettenburgen herumgesprochen. Bergsportler schätzen zudem die gute Ausgangslage des Hotels für Radtouren oder Wanderungen. Etwa auf den 3718 Meter hohen Teide.

So technisch einfach der höchste Berg Spaniens in rund dreieinhalb Stunden zu besteigen ist, so tückisch kann er werden. Der Teide wächst als perfekter Kegel 1700 Meter hoch aus der Caldera Las Cañadas, einem 17 Kilometer langen Vulkankessel auf etwa 2000 Höhenmetern. Die Wolkendecke staut sich unterm Kesselrand wie an einer Glasplatte. Darüber, in stechender Höhensonne und stürmischem Wind, ist es surreal wüst wie auf dem Mond. Der Untergrund, den Humboldt als Sand beschrieb, besteht aus Schichten feinen Bimsgesteins. In den Händen liegt es leicht wie Schaum, unter den Wanderstiefeln knirscht es. Dann wird der Weg fester und steiler.

Hotel-Handtücher gegen eisigen Wind

Schneeflächen, von Sonne und Wind zu Eisplatten geschliffen, sind ohne Grödel nur mit Mühe zu überwinden. 170 Meter unterhalb des Gipfels, an der Bergstation der Seilbahn Teleférico del Teide, ist für die meisten Wanderer Schluss. Zum Schutz des Welterbes dürfen nur 200 Menschen pro Tag mit einer Genehmigung der Parkverwaltung hinauf, und wenn es zu vereist ist, niemand. Dafür transportiert die Seilbahn pro Stunde bis zu 300 Besucher von der Caldera auf eine Aussichtsplattform. Viele tragen nur Shorts und Flip-Flops. Manche schützen sich allein mit Hotel-Handtüchern gegen den Wind und Temperaturen um den Gefrierpunkt.

Bis zum Refugio de Altavista gelangt niemand in diesem Aufzug. Wer in der Selbstversorgerhütte auf 3260 Metern Höhe übernachtet, darf ebenfalls auf den Teide-Gipfel, vorausgesetzt, er schafft es zwischen sechs und neun Uhr früh. Artemio Lorenzo passt auf, dass niemand verschläft. Der 58-Jährige mit dem wettergegerbten Gesicht ist einer von vier Hüttenwarten. Die größte Kälte, die er hier oben je erlebt habe, betrug minus 18 Grad, erzählt er. Und obwohl er schon seit sieben Jahren in der Wüstenei des Teide arbeitet, wird sie ihm nie langweilig. "Am schönsten finde ich es, wenn ich allein hier oben bin. Das Licht, die Sterne, die ganze Atmosphäre."

Massentourismus? Da steht er drüber.

Teneriffa SZ Karte

Teneriffa SZ Karte Teneriffa SZ Karte

(Foto: SZ Grafik)
Informationen Teneriffa

Anreise: Flüge ab/bis Deutschland ab ca. 230 Euro.

Unterkunft: Refugio de Altavista, Stockbett ab 20 Euro, reservieren unterinfo@refugioaltavista.com oder Tel.: 0034/922 01 04 40.

Reisearrangement: Achttägige, geführte Inselüberschreitung auf den Spuren Humboldts mit Teide, p. P. ab 975 Euro ohne Anreise, buchbar beim DAV Summit Club, Am Perlacher Forst 186, 81545 München, www.dav-summit-club.de, Tel.: 089/64 24 01 96.

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