"Asimov's Guide to Shakespeare":Fußnoten zum Giganten

44 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage in englischer Sprache führt Science-Fiction-Autor Isaac Asimov nun erstmals auch auf Deutsch durch "Shakespeares Welt" - ein ebenso kundiger wie erschlagender populärwissenschaftlicher Klassiker über den Meister des Dramas.

Von Christine Dössel

Shakespeares 450. Geburtstag angemessen zu feiern - der Meister wurde 1564 geboren, sehr wahrscheinlich am 23. April, dem Festtag des heiligen Georg -, ist an sich schon eine Überforderung. Wie diesem monumentalen, vielgestaltigen, zig-fach ausgedeuteten und immer wieder neu zu deutenden Werk jubiläumsgerecht werden? Wo auch so schon weltweit täglich ein gutes Dutzend wissenschaftlicher Studien erscheint und auch auf den Bühnen die Shakespeare-Feierlichkeiten nie wirklich abreißen:

William Shakespeare, das ist der wohl beliebteste, berühmteste, meist gespielte Dramatiker dieser Welt. 38 Dramen hat der Gigant aus Stratford-upon-Avon geschrieben, 154 Sonette, zwei Versepen - das Werk umfasst Tausende von Seiten und das gesamte menschliche Dasein, von den schönsten Träumen, Tugenden und Taten bis in die höllischsten Abgründe. Shakespeare ist Welterfinder und Weltendeuter, ein Universal- und Existentialdramatiker, nichts Menschliches ist ihm fremd - auch nichts Übermenschliches.

"William Shakespeare in seiner Zeit", "Shakespeares ruhelose Welt", "Unser Shakespeare" - in zahlreichen Neuerscheinungen zum Jubiläumsjahr versuchen die Exegeten, Shakespeares Kosmos auszuleuchten. Zu den besonderen Geburtstagsbonusveröffentlichungen zählt der vom Berliner Alexander Verlag in gekürzter Form erstmals auf Deutsch (in einer Sammelübersetzung) vorgelegte Shakespeare-Führer des Science-Fiction-Autors Isaac Asimov.

"Asimov's Guide to Shakespeare" erschien in zwei dicken Bänden 1970 in New York und avancierte zu einem populärwissenschaftlichen Klassiker, der sämtliche Bühnenstücke und Versepen Shakespeares ausführlich erläutert. Der deutsche Band versammelt zwölf dieser Erläuterungen - nämlich zu den zwölf in Deutschland am häufigsten gespielten Shakespeare-Stücken - unter dem Titel "Shakespeares Welt. Was man wissen muß, um Shakespeare zu verstehen".

Welterfinder Asimov

Das Vorwort hat Tobias Döring geschrieben, der Präsident der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, der den 1992 verstorbenen Naturwissenschaftler Asimov als einen "Welterfinder höchsten Grades" preist und ihn auch von seinem Output her in Shakespeare-Nähe rückt:In 50 Jahren habe Asimov über 400 Bücher geschrieben - längst nicht nur Science-Fiction -, allein in den Achtzigern "unglaubliche 192". Das beeindruckt Döring so sehr, dass er das berühmte Bonmot von Alexandre Dumas - "Nach Gott hat Shakespeare am meisten erschaffen" - entsprechend anpasst: "Nach Shakespeare (und Gott), so muß man heute sagen, hat Isaac Asimov am meisten ,Welt' erschaffen."

Schön und gut, Asimov mag als Erfinder von Roboter-Geschichten und galaktischen Imperien ein toller Hund und Weltengestalter sein, als "kenntnisreicher Fremdenführer durch die Shakespeare-Galaxie" jedoch, als den Döring ihn rühmt, ist er vor allem: fakten-, nicht erfindungsreich; erklärend, nicht interpretierend. Er erzählt nicht die (süffigen) Geschichten drumherum, wie man das vielleicht ein bisschen erwartet hätte, sondern die (brottrockene) Geschichte dahinter: die historische Einbettung der Stücke, ihren Bezugsrahmen, ihre kulturgeschichtlichen oder mythologischen Referenzen.

Insofern ist der deutsche Titel irreführend: Nicht "Shakespeares Welt" wird einem hier nahegebracht, sondern Shakespeares Bezugswelt. Das Buch ist alles andere als die sinnlich begeisternde Welt-Erkundung eines Globe-(Theater)-Trotters, es ist mehr so etwas wie ein langer, verständlich geschriebener Fußnotenapparat, überreich an Anmerkungen, Quellenangaben und historischen Fakten. Schön, all das zu wissen. Aber dass man all das "wissen muß, um Shakespeare zu verstehen", wie der normative Untertitel weismacht, stimmt natürlich nicht. Das ist ja das Überlebensgroße an diesem universellen Autor: dass er immer noch gelesen, angeschaut und verstanden wird, auch wenn unsere zeit- und kulturgeschichtlichen Koordinaten längst ganz andere sind.

Bildungshuberische Freude am Detail

Asimov, der Vielwisser und Querverweiser, verfährt in seinem "Guide" nach dem immer gleichen Prinzip: Dem Handlungsverlauf des jeweiligen Stückes stur folgend, legt er anhand von mehr oder weniger einschlägigen Textzitaten (hier in der Übersetzung von Frank Günther) dessen Figurenkonstellation, Konflikte, kultur- und zeitgeschichtlichen Bezüge oder einfach nur allfällige (Wort-)Sinndeutungen dar. Schlachten- und Kriegsverläufe, Abstammungslinien, Macht-, Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse, Begriffserklärungen, Rückbezüge und Vergleiche mit der Chronik von Holinshed ("Chronicles of England, Scotland and Ireland"), aus der sich Shakespeare, vor allem bei "König Lear" und "Macbeth", als Quellenmaterial bediente - all das wird ungeheuer kleinteilig, beflissen und genau, in der Freude am bildungshuberischen Detail und an der etymologischen Herleitung oft auch ein bisschen streberhaft ausgebreitet, kommentiert, expliziert.

Das liest sich streckenweise, besonders in den Ausführungen zum elfen- und feenreichen "Sommernachtstraum", wie eine Einführung in die griechische Mythologie - Dido und Aeneas, Herkules, Orpheus in der Unterwelt -, aber auch die germanische Sagenwelt kommt nicht zu kurz (aus dem Zwerg "Alberich" wird "Oberon"), ebenso wenig die keltische, aus der zum Beispiel "Queen Mab" stammt, die Träume generierende "Frau Mab", von der Mercutio in "Romeo und Julia" schwadroniert.

Einteilung in historische Epochen

Asimov teilt Shakespeares Werke nicht, wie üblich, in "Komödien", "Tragödien" und "Historien" ein, sondern nach den historischen Epochen, die in den jeweiligen Stücken erkennbar sind, wie zum Beispiel ein Italien der Renaissance. Demnach gibt es die Gruppe der "griechischen", "römischen", "italienischen" und der "englischen" Stücke. Die Reihenfolge führt durch 28 Jahrhunderte von der Zeit der Griechen bis in Shakespeares eigene Zeit. In "Shakespeares Welt" kommen drei dieser vier Gruppen mit folgenden Dramen vor: Griechisch ("Ein Sommernachtstraum"), Italienisch ("Romeo und Julia", "Der Kaufmann von Venedig", "Viel Lärm um nichts", "Wie es euch gefällt", "Was ihr wollt", "Othello", "Der Sturm") und Englisch ("König Lear, "Hamlet", Macbeth" und "König Richard III.").

Das Bühnenleben dieser Stücke, ihre Inszenierungs- und Rezeptionsgeschichte spielt keine Rolle, Asimov nimmt und analysiert sie als Lesedramen, wobei ihm oft einzelne Worte als Aufhänger für kulturhistorische Exkursionen dienen. Das Theater selbst bleibt so gut wie ausgeblendet, kommt allenfalls in der Beschreibung möglicher Effekte auf ein elisabethanisches Publikum vor. Auch mit eigenen Interpretationen hält Asimov sich zurück. Dass Antonio, der titelgebende "Kaufmann von Venedig", für "die edle, gleichgeschlechtliche Freundschaft" stehen "könnte", ist für seine Verhältnisse schon gewagt.

Andererseits macht er in seiner wissenschaftlichen Begriffsgenauigkeitsanalytik auch wenig Beschönigungsversuche dahin gehend, dass Shakespeare in Shylock womöglich gar keinem antisemitischen Bild gefolgt sei. Asimov konstatiert: Shakespeare, der eindeutig ein "kommerzieller" Schriftsteller war, erkannte sofort, dass es sich lohnen würde, ein Stück über einen "bösen Juden" zu verfassen.

Hexen für Jakob I.

Und als Jakob I. der verstorbenen Queen Elisabeth nachfolgte, ein König, der sich für einen Experten auf dem Gebiet der Hexerei hielt, "servierte ihm Shakespeare selbstverständlich Hexen", wie Asimov salopp im Kapitel über "Macbeth" schreibt. Dass und wie Shakespeare der Dramatik zuliebe den historischen Macbeth - so wie auch den historischen Richard III. - schwer mit Untaten belastete, nennt Asimov "ein furchteinflößendes Beispiel für die Macht der Feder", welche "die Wahrheit ändern kann".

Die Fülle an Hintergrundinformationen und Details, die Asimov darbietet, ist schier erschlagend. Das macht die Lektüre spröde bis öde. Ein Schmöker für Shakespeare-Schwelger oder gar eine Fibel für Einsteiger ist Asimovs praller Wissensschatz nicht. Haben will man ihn als Shakespeare-Fan trotzdem. Am besten zu nutzen ist er wohl als Nachschlagewerk: zur Vor- oder Nachbereitung von Vorstellungsbesuchen, als Quelle für Anglisten, Seminaristen und sonstige Spezialisten.

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