Medizin:Vorzeitiger Schlag

Schlaganfälle treffen nur ältere Menschen? Keineswegs: Jeder dritte Betroffene ist jünger als 64. Mediziner befürchten, dass der Anteil der jungen Patienten steigen könnte. Schuld ist oft der Lebenswandel.

Von Christian Guht

Die Patientin klagte über Ohrgeräusche und Kopfschmerzen, einige Tage schon, aber ahnte nichts Böses: Es mochte wohl eine Stirnhöhlenentzündung sein. Doch tatsächlich litt die Leiterin der Bayerischen Staatskanzlei, Christine Haderthauer, an einer sogenannten Dissektion ihrer Halsschlagader - einer Aussackung der inneren Gefäßwand, die im Begriff war, das Blutgefäß zu verschließen. Glücklicherweise erkannten ihre Ärzte das Problem rechtzeitig, und die Politikerin ist nach einer Behandlung mittlerweile auf dem Wege der Besserung. Anderenfalls hätte die CSU-Ministerin einen schweren Schlaganfall erleiden können. Christine Haderthauer ist 51 Jahre alt.

Mehr als 250 000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland einen Schlaganfall, also einen Infarkt oder eine Blutung im Gehirn, die zu neurologischen Ausfällen führt. Es handelt sich um die dritthäufigste Todesursache und den häufigsten Grund für Behinderung in Deutschland, also um alles andere als ein randständiges Problem.

Dass davon auch junge Menschen nicht selten betroffen sind, werde allerdings unterschätzt, meint Joachim Röther, Chefarzt der Neurologischen Abteilung der Asklepios-Klinik Altona in Hamburg und Sprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft. Immerhin 10 000 Menschen unter 45 Jahren treffe hierzulande jedes Jahr der Schlag.

Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht fordern ihren Tribut bereits bei Jüngeren

Neue Studienergebnisse neuseeländischer Mediziner lassen sogar annehmen, dass die Anzahl jüngerer Schlaganfallpatienten weltweit ansteigt. Die Forscher ermittelten, dass der Anteil der Patienten unter 64 Jahren mittlerweile 31 Prozent ausmacht (The Lancet, Bd. 383, S. 9913, 2014). 1990 lag diese Größe noch bei 25 Prozent.

"Die Daten sind nicht ganz einfach zu interpretieren", schränkt Arndt Rolfs, Neurologe vom Universitätsklinikum Rostock, die Aussage ein, "es bestehen in den untersuchten Ländern sehr unterschiedliche Bedingungen, was in der Auswertung nicht berücksichtigt wurde." So resultierten Schlaganfälle in tropischen Ländern vor allem aus Infektionskrankheiten wie Malaria. In den Küstenregionen der USA hingegen würden Hirninfarkte bei Jüngeren in zunehmendem Maße als Folge von Drogenkonsum auftreten. Vor allem aber würden die Symptome heute schneller und zuverlässiger erkannt, was zwar die Anzahl der Diagnosen erhöhe, nicht aber unbedingt die tatsächliche Erkrankungszahl, so Rolfs: "Es gibt bislang keine Daten, die eine Verjüngung der Patientenklientel eindeutig belegen."

Nikotin und Übergewicht als Risikofaktoren für Jüngere

Dennoch seien die Hinweise ernst zu nehmen, wie der Mediziner ausführt: "Es ist durchaus erwartbar, dass die Zunahme von Risikofaktoren unter jungen Menschen, wie Diabetes oder Übergewicht, auch einen Anstieg von Folgeschäden nach sich zieht, zu denen der Schlaganfall bekanntermaßen gehört." Dieser Zusammenhang wäre plausibel sowohl in der westlichen Zivilisation als auch in den sogenannten Schwellenländern, wo ein Anstieg von Nikotinkonsum und Überernährung zu verzeichnen sei.

Wie der Lebensstil bereits bei den Jungen seinen Tribut fordern kann, hat Rolfs vor wenigen Jahren untersucht: Nämlich vor allem dann, wenn eine besondere Anlage zu Gefäßproblemen besteht. Genetische Faktoren spielen demnach bei etwa jedem dritten jüngeren Patienten eine besondere Rolle. Erbleiden wie die Stoffwechselkrankheit Morbus Fabry schädigen die Hirngefäße vorzeitig; ebenso begünstigen eine konstitutionelle Neigung zu Bluthochdruck, Diabetes oder Amyloidablagerungen das Auftreten von Schlaganfällen in jungen Jahren - vor allem wenn ein ungesunder Lebensstil hinzukommt.

Daneben liegen die Ursachen häufig in Problemen wie einer offenen Herzscheidewand, durch die Blutgerinnsel in die Kopfgefäße gelangen können, oder eben einer Dissektion, wie bei Christine Haderthauer. 25 Prozent aller Schlaganfälle bei Jüngeren sind auf den Halsgefäßschaden zurückzuführen. "So etwas wurde vor einigen Jahren sicher noch öfter übersehen", glaubt Joachim Röther, "zumal die Symptome nicht immer eindeutig sind." Moderne Kernspintomografie und Ultraschalluntersuchungen hätten die Diagnostik stark verbessert.

"Wir sehen bei jüngeren Patienten typischerweise schon einige Vorschäden im Gehirn", ergänzt Rolfs, "das bedeutet, dass kleinere Schläge offenbar oft nicht bemerkt oder diagnostiziert werden." Diesen Eindruck gewannen aktuell auch Neurologen der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, USA, in einer retrospektiven Datenanalyse. Sie überprüften die Vorgeschichten von Schlaganfallpatienten und stellten dabei fest, dass bei Personen unter 45 Jahren ein siebenfach erhöhtes Risiko dafür besteht, dass verdächtige Symptome bei ihnen zunächst in eine andere Richtung gedeutet werden (Diagnosis, online).

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: