Netzneutralität in Gefahr:Warum Gleichheit im Netz Freiheit bedeutet

In den USA soll es künftig eine Überholspur im Internet geben. Die Netz-Infrastruktur würde den Kräften des Marktes überlassen - mit gravierenden Folgen. Doch die Freiheit des Internets darf keinesfalls auf dem Altar des ungehinderten Wettbewerbs geopfert werden.

Ein Kommentar von Helmut Martin-Jung

Wie funktioniert das Internet? Man muss diese Frage stellen, wenn man verstehen will, worum es geht in der Debatte um die Netzneutralität. Diese Debatte gibt es schon seit einigen Jahren, jetzt hat sie durch eine angekündigte Entscheidung der US-Regulierungsbehörde FCC neue Aktualität erhalten. Anbietern bestimmter Dienste, zum Beispiel Internet-Fernsehen, soll es in den Staaten erlaubt werden, sich quasi eine Überholspur im Datennetz zu mieten.

Das klingt eigentlich nachvollziehbar und gar nicht schlimm. Doch würde die Netz-Infrastruktur den Kräften des freien Marktes überlassen - und nichts anderes verbirgt sich hinter dem Vorstoß -, würde das einen großen Schritt bedeuten hin zu mehr Schranken im Netz, zur Gängelung der Nutzer.

Also zurück zur Eingangsfrage: Wie funktioniert das Netz? Grob betrachtet gibt es drei Parteien. Da sind zum einen die Nutzer, die sich beispielsweise die neueste Folge der Fantasy-Serie "Game of Thrones" übers Internet auf ihrem Laptop ansehen. Da ist zum anderen der Inhalte-Anbieter, der Daten wie eben die TV-Serie zur Verfügung stellt. Doch wie kommt der Datenstrom, der die bunten Bilder enthält, zum Zuschauer? Die Daten werden in kleine Päckchen zerhackt, mit Adressen versehen und auf die Reise geschickt - und zwar über Leitungen, Zwischenstationen, Knotenpunkte und so weiter. Diese Einrichtungen gehören der dritten Partei, nämlich den Internetdienst-Anbietern, die sie auch betreiben.

Am Ende, beim Nutzer, werden die Päckchen ausgepackt und zusammengesetzt - Film ab. Oder auch nicht. Wenn es nämlich Gedränge gibt irgendwo auf der Strecke, tröpfeln die Daten nur langsam durch die Leitung. Der Film wird nur noch ruckweise oder gar nicht abgespielt.

Netz-Infrastruktur darf nicht dem freien Markt überlassen werden

Das ist natürlich gar nicht im Sinne des Inhalteanbieters. Dessen Kunden erwarten schließlich, dass sie den Film, für den sie bezahlt haben, auch unterbrechungsfrei ansehen können. Also wenden sich die Inhalteanbieter an die Betreiber der Leitungen, die Internetanbieter und bieten an: Für freie Fahrt ihrer Daten würden sie auch extra bezahlen. Oder die Internetanbieter sprechen die Inhalteanbieter an: Ihr verstopft mit euren vielen Daten unsere Leitungen. Wenn ihr wollt, dass es nicht zu Verzögerungen kommt, müsst ihr bezahlen.

Bisher ist es dazu im Festnetz nicht in großem Stil gekommen - wegen der Netzneutralität. Dieser Grundsatz besagt, dass alle Daten im Netz gleich behandelt werden müssen, egal ob sie von einem milliardenschweren Unternehmen aus dem Silicon Valley stammen oder von einem kleinen Start-up aus Berlin.

Das Problem daran ist dies: Für einen Milliardenkonzern wäre es ein Leichtes, die Mautgebühr für eine Premium-Leitung zu bezahlen, dem Start-up aber könnte durch die zusätzliche Kostenlast die Luft abgeschnürt werden. Die Folge ist daher nicht schwer zu erraten: Die es sich leisten können, verschaffen sich einen weiteren Vorteil. Für die Habenichtse aber wird es noch ein Stück schwerer, sich mit ihrer Geschäftsidee gegen die Großen des Gewerbes durchzusetzen.

Die Großen teilen sich den Markt auf, der Verbraucher bezahlt

Eine solche Oligopolisierung der Internetwirtschaft kann eigentlich kein Ziel sein, das vernünftige Wirtschaftspolitiker anstreben. Die Gefahr ist einfach zu groß, dass die Großen sich den Markt aufteilen, der Verbraucher draufzahlt und die Kreativität der Kleinen unterdrückt wird. Oder aber, dass die Internet-Anbieter manche Dienste gleich ganz aussperren oder an den Rand drängen. Weil ein Netz mit schnellen und langsamen Spuren erfordert, dass die Datenpäckchen intensiv durchleuchtet werden, entsteht überdies ein Datenschutzproblem.

Die Internet-Anbieter behaupten, sie bräuchten die Extra-Gebühren, um den Ausbau der Netze voranzutreiben. Sie geben damit aber eigentlich nur indirekt zu, dass ihre bisherige Kalkulation nicht aufgeht, die Netze mit den Gebühren der Endkunden zu finanzieren. Überlässt man den Markt der Internetanbieter nun dem freien Markt, so wie das in den USA geplant ist, wird schon der immense Konkurrenzdruck dazu beitragen, dass sich kaum ein Anbieter diese Einnahmequelle entgehen lassen kann.

Wer aber hätte die Macht, dies zu verhindern? Oder besser: ein Regelwerk zu schaffen, das die berechtigten Bedürfnisse der Internetanbieter berücksichtigt, aber die negativen Folgen für die Gesellschaft auf ein Mindestmaß begrenzt? Es ist der Staat. Deutschland und die EU sollten den Bestrebungen widerstehen, die Freiheit des Netzes auf dem Altar des ungehinderten Wettbewerbs zu opfern. Wenn das bedeuten würde, den Ausbau der Netze zu unterstützen, wäre das mit Sicherheit das kleinere Übel.

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