TV-Debatte zur Europawahl:Bewerbungsreden, die in die Irre führen

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Die Spitzenkandidaten des Europawahlkampfes in Maastricht am 28. April 2014 (Foto: REUTERS)

Zum ersten Mal treten vier europäische Spitzenkandidaten in einer TV-Debatte gegeneinander an. Sie bewerben sich für den Chefsessel der EU-Kommission - doch wer den bekommt, entscheiden nicht die Wähler.

Von Javier Cáceres und Cerstin Gammelin, Brüssel

Am Ende wurde sogar noch kollegial gewitzelt auf der Bühne der Universität von Maastricht. Mit Blick auf die Uhr, die gerade ablief. "Wenn mir noch etwas Zeit übrig bleibt, gebe ich Ihnen noch drei Sekunden ab", juxte Jean-Claude Juncker, der Kandidat der Europäischen Konservativen, zu seinem sozialdemokratischen Kontrahenten Martin Schulz. Diesem waren gerade fünfzehn Sekunden geblieben, um zu erklären, warum man ihm bei den am 25. Mai anstehenden Europawahlen die Stimme geben sollte. Nicht gerade viel Zeit. Aber doch genug, um Europäern zu erklären, dass er, Schulz, der erste Kommissionschef werden will, der nicht in Brüsseler Hinterzimmern von Regierungschefs ausgekungelt wird. Sondern durch das Votum von bis zu 375 Millionen Wahlberechtigten legitimiert ist.

Auf dem Weg dorthin wurden die Europäer erstmals mit einer Vierer-Debatte beglückt, die europaweit im Fernsehen übertragen wurde; neben dem Luxemburger Juncker und dem Deutschen Schulz diskutierten der belgische Liberale Guy Verhofstadt und die deutsche Grüne Ska Keller vor einigen Hundert Studenten, die sich mit Applaus zurückhielten, mit Unmutsbekundungen erst recht. So viel vorweg: Es waren die erfrischend jugendlich wirkende Keller und der angenehm angriffslustige Verhofstadt, die hinter den Redepulten in Maastricht die beste Figur machten. In einer auf Englisch geführten Debatte, die nicht nur, aber vor allem unter dem rigiden Zeitmanagement litt.

Allerdings war es Schulz, der als erster Applaus auf offener Szene einheimste. Als er eindringlich "vor der Tendenz" warnte, "diese Wahlen nicht ernst zu nehmen". Das, so sagte Schulz nämlich, würde zwangsläufig dazu führen, dass die Populisten am äußersten rechten Rand ein größeres Gewicht im kommenden Parlament haben würden. Diese waren allein schon deshalb nicht bei der Debatte dabei, weil sie sich nicht auf einen Spitzenkandidaten einigen wollten. Nicht dabei war allerdings auch der Grieche Alexis Tsipras, der die Europäische Linke anführt.

Wie wichtig der Appell ist, zeigt allein der Blick auf die letzten Europawahlen aus dem Jahr 2009. Damals waren vor allem 18- bis 24-Jährige den Wahllokalen ferngeblieben, 71 Prozent der damaligen Erstwähler hatten offenbar Besseres zu tun gehabt als wählen zu gehen. Auch in anderen Altersgruppen war die Wahlbeteiligung damals bescheiden. Europaweit gingen nur 43 Prozent der wahlberechtigten Bürger an die Urnen, ein umso ernüchternderes Ergebnis, als in einigen Ländern sogar eine Wahlpflicht bestanden hatte.

Ob das diesmal sehr viel anders wird, nach der ersten präsidialen Debatte der EU-Geschichte, wie die Organisatoren etwas hochtrabend trompeteten? Viele große Überraschungen gab es am Montag nicht zu bestaunen. Mit Blick auf die Ukraine-Krise forderten alle einen umsichtigen Umgang mit Russland ein, einzig Verhofstadt scherte aus und forderte direkte Sanktionen gegen das unmittelbare Umfeld von Russlands Präsident Wladimir Putin, mit denen sich die EU bekanntlich schwertut. Auch wirtschafts- und finanzpolitisch fehlte eine wirklich dissonante Stimme. Schulz immerhin bekannte, schon immer für "Euro-Bonds" gewesen zu sein, gestand aber sogleich ein, dass es dafür "keine Mehrheit" gebe. Keller wiederum spielte einen anderen Vorteil aus. Sie war die einzige in der Runde, die so etwas wie die Zukunft verkörperte; für ein junges, anderes Europa stehen will und kann. Auch wenn sie dabei oft genug eine Spur zu jugendlich wirkte.

Ein weiterer Unterschied: Keller gibt nicht vor, die nächste Kommission führen zu wollen. Genau das aber versprechen Juncker, Schulz und Verhofstadt. Sie erzählen, dass sie bei einem Wahlsieg ihrer Parteien beste Chancen hätten, den Chefsessel zu übernehmen. Alle drei gehen davon aus, dass sie eine Mehrheit des neu gewählten Europaparlaments hinter sich bringen könnten. Allerdings: Diese Mehrheit ist zwar nötig, aber nicht ausreichend. Was die drei Herren den Wählern nicht sagen, ist, dass sich die 28 Staats- und Regierungschefs auf einen Kandidaten für den Chefposten der Behörde einigen müssen. Dazu müssen sie das Wahlergebnis beachten. Doch nirgendwo steht geschrieben, dass sie einen der Spitzenkandidaten auch zum Kommissionspräsidenten machen müssen.

© SZ vom 29.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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