Real-Torwart Iker Casillas:Teilzeitheiliger für die große Bühne

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Iker Casillas: Gefragter Mann für die Champions League

(Foto: AFP)

Iker Casillas ist seit 23 Jahren bei Real Madrid und nun in einer merkwürdigen Situation: In der Liga darf er nicht mehr spielen, doch in der Champions League hoffen sie auf seine fabulösen Reflexe. Die hat er im Hinspiel gegen den FC Bayern schon Mario Götze vorgeführt.

Von Oliver Meiler, Madrid

Es gab Zeiten in der langen Karriere des Iker Casillas, da zweifelte in Spanien niemand ernsthaft an seiner Heiligkeit. "San Iker" nannten sie ihn, oder einfach nur "El Santo". Wonach er mit seinen Händen griff, nach Bällen vorab, das blieb meist ebendort: in seinen mit dicken Handschuhen bewehrten, relativ kleinen und flinken Händen.

Selbst wenn diese Bälle hart getreten waren, aus nächster Nähe, nicht selten aus elf Metern. Der Torhüter von Real Madrid und der spanischen Nationalmannschaft, Sohn aus einfachen Verhältnissen im Madrider Arbeiterviertel Móstoles, pflanzte in die Herzen der Fans die Zuversicht, dass er Mittel und Wege finden würde. Nicht immer zwar, aber schon sehr, sehr oft. Diese schnellen Reflexe - wohnte ihnen nicht etwas schier Übersinnliches inne?

Nun ist "San Iker" nur noch ein Teilzeitheiliger, eine angekratzte Ikone, ein halbwegs demoliertes Monument. Mit 32. Das ist ja kein Alter für einen Torhüter. In der spanischen Liga, dem Hauptschauplatz seines Vereins, steht Casillas seit mehr als einem Jahr nicht mehr im Tor. Verdrängt hat ihn von dieser Position ein 1,96 Meter großer Galicier, von dem es gemeinhin heißt, er sei "normal gut": Diego López.

Casillas sitzt dann jeweils unter dem Dach der Ersatzbank, mit Vorliebe in der hinteren Reihe, dass Schatten seine Miene verdecken. Seine einzigen Bühnen sind der spanische Pokal, die Copa del Rey, und die europäische Königsklasse, die Champions League. Natürlich ist das nicht schlecht, zumal Real den Cup erst kürzlich gewann und nun auch wieder zum besten Quartett des Kontinents gehört.

Früh war Casillas eine Legende. Dann kam Mourinho

Doch ein Torhüter teilt nun mal seinen Stammplatz nicht gerne, es kommt auch selten vor. Die "Nummer 1" hat auf dieser Position nicht nur eine numerische Bedeutung. Und so wird Iker Casillas an diesem Dienstagabend in der Münchner Arena beim Rückspiel gegen den FC Bayern auch wieder allen beweisen wollen, dass seine Teildemontage ein schrecklicher Fehler ist.

Im Hinspiel in Madrid gelang ihm kurz vor Schluss, als Mario Götze wie aus dem Nichts den Ausgleich auf dem Fuß hatte, frei und mitten im Strafraum, eine dieser Paraden aus seinem gefeierten Repertoire. Götze hätte dem Ball mehr Winkel geben können, dann wäre Casillas wohl chancenlos gewesen. Wichtig aber ist der Reflex im entscheidenden Moment.

Wahrscheinlich rettete Casillas seinem Verein also die Aussicht auf "La Décima", die obsessiv angepeilte zehnte Trophäe in diesem Wettbewerb für Real Madrid. Es wäre Casillas' dritter Erfolg in der Champions League. Er ist auch schon zweimaliger Europameister, Weltmeister, mehrmaliger Welttorhüter. Und immer noch jung. Iker Casillas kam schon mit neun Jahren zu Real, ließ sich in dessen Nachwuchsakademie ausbilden, durchlief alle Kategorien mit Bravour und unüblicher Ernsthaftigkeit.

Mit 19 war er schon Stammtorhüter des Vereins. Für seine Rolle war er zwar vergleichsweise klein, 1,85 Meter nur. Bei hohen Bällen ragt sein Kopf nicht so mächtig aus dem Pulk hochspringender Spieler, wie das bei anderen Keepern der Fall ist. Casillas kompensierte das immer mit seiner unerhörten Reaktionsschnelligkeit auf der Linie, mit seiner Stärke bei eins-zu-eins-Duellen gegen anstürmende Gegner auch.

Zwist mit Mourinho

Bald war er unantastbar. Es gab Saisons, da verteidigte er die Ehre des Klubs fast im Solo. Es passierten ihm auch Patzer, klar, aber relativ wenige. Die Verklärung nahm ihren Lauf. Die ersten Zweifel an seiner Klasse warf der italienische Trainer Fabio Capello 2006 auf. Die Italiener mögen großgewachsene Torhüter. Capello holte damals Diego López hinzu. Er wollte ihn Casillas vorsetzen, fürchtete sich dann aber vor der Reaktion der Fans. Nach zwei Jahren als Nummer zwei ging López zurück in die Provinz, spielte fünf Saisons für Villarreal, dann noch eine halbe beim FC Sevilla.

Casillas' Stammplatz schien auf Lebenszeit sicher. Doch dann kam einer nach Madrid, der nichts und niemanden fürchtete, der neben sich keine Monumente duldet: José Mourinho. Er und Casillas vertrugen sich nie. Der portugiesische Trainer verdächtigte seinen Torhüter, gegen ihn zu intrigieren, hielt ihm vor, nicht hart genug zu trainieren, sich in seiner eigenen Legende bequem gebettet zu haben. Der Freundin von Casillas, der bekannten Fernsehjournalistin Sara Carbonero, warf Mourinho überdies vor, allzu redselig zu sein.

"Mou" trachtete also danach, "San Iker", den Kapitän, zu stürzen. Einmal sagte er: "Ob nun Casillas im Tor steht oder ich, das macht keinen Unterschied." Als sich Casillas dann im Januar 2013 die Hand brach, ließ Mourinho ganz schnell Diego López verpflichten. Der sei einfach besser, sagte er. Acht Monate lang sollte Casillas kein einziges Spiel mehr spielen, obschon er schon wieder fit war.

Die Anhängerschaft teilte sich in "Casillistas" und "Diegolopistas", sogar durch die Umkleide ging ein Graben. Die beiden Rivalen mimten öffentlich Harmonie. Wenn die Kameras aber heimlich filmten, war die Kälte zwischen den beiden förmlich zu spüren. Casillas trainierte nun härter als je zuvor, verlor einige Kilogramm - und hoffte auf den neuen Trainer, auf Carlo Ancelotti.

Doch die Italiener mögen nun mal großgewachsene Torhüter. Und auch Florentino Pérez, der Vereinspräsident, findet López besser. Bei ihm soll es aber mehr eine persönliche als eine technische Frage sein. Die Rollen sind fix vergeben: López spielt die ganze Liga durch, Casillas spielt nur die riskanten Ausscheidungswett- bewerbe. Es bleiben ihm also nur wenige Bühnen, bisher lediglich 20 Spiele insgesamt in dieser Saison, Part-time eben.

Und er nutzt die Auftritte, so motiviert wie nie. Vielleicht brauchte er diesen Kick, diese Revanchegelüste nach der plötzlichen Herabstufung. Vielleicht beschleunigen sie ja seine erstaunlichen Reflexe. Gewinnt Real "La Décima" mit "San Iker", wäre alles wieder gut.

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