Merkels Reaktion auf NSA-Überwachung:Ärger, der verfliegt

"Abhören von Freunden, das geht gar nicht": Fast ein Jahr nach den ersten Snowden-Enthüllungen zeigt sich, wie Kanzlerin Merkel ihren Ärger in praktische Politik übersetzt. Weil die große Koalition keinen Streit mit den USA will, plant die Bundesanwaltschaft, die Ermittlungen gegen die NSA-Verantwortlichen bald einzustellen.

Von Georg Mascolo

Es ist mittlerweile fast genau ein Jahr her, dass sich der US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden nach Hongkong absetzte. Kurz darauf begann eine Welle außerordentlicher Enthüllungen, die bis heute anhält. In kaum einem Land waren die Reaktionen und die Empörung so stark wie in Deutschland. Ein No-Spy-Abkommen wurde gefordert, ebenso der Einsatz des Verfassungsschutzes gegen die amerikanischen Geheimdienste und ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwaltes. Sigmar Gabriel, damals noch in der Opposition, verlangte die Vernehmung Snowdens und die Kanzlerin kritisierte ganz offen die USA: "Abhören von Freunden, das geht gar nicht."

In diesen Tagen ist Angela Merkel in Washington. Verstimmt ist sie noch immer, aber pünktlich zur Reise ist auch die Rückkehr zum Pragmatismus zu beobachten: Die große Koalition will keinen Konflikt mit den USA.

Die Ablehnung, Snowden auf deutschem Boden zu vernehmen, ist nur eine Konsequenz dieser Haltung. Die Begründung aber erklärt die inzwischen aller Orten zu beobachtende Feigheit vor dem Verbündeten: "Die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges historisch gewachsenen bilateralen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika sind angesichts der engen Zusammenarbeit bei nahezu allen wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Fragen sowie angesichts der intensiven Wirtschaftsbeziehungen mit sehr hohen Handels- und Investitionsvolumina von fundamentaler Bedeutung für die Sicherheit und das Wohlergehen der Bundesrepublik Deutschland", schreibt die Bundesregierung in einer 27-seitigen Stellungnahme an den NSA-Untersuchungsausschuss.

In Sachen No-Spy-Abkommen ist wenig passiert

Aus diesem Grund wird auch seit Monaten die Entscheidung aufgeschoben, das Bundesamt für Verfassungsschutz die Arbeit amerikanischer und britischer Dienste auf deutschem Boden beobachten zu lassen. Überlegungen hierfür existieren längst. "Befreundete Dienste", die sich nicht benehmen wie Freunde, müssten danach mit einer Überwachung durch die dafür zuständige Abteilung 4 des deutschen Inlandsgeheimdienstes rechnen. Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen hat den Plan im Kanzleramt vorgestellt, aber entschieden ist bis heute nichts. Nur mit der Zustimmung aus Merkels Amt, dem Außen- und dem Innenministerium könnte die Beobachtung beginnen. Wenig spricht dafür, dass es so kommen wird. Schon vor der Ukraine-Krise hatte der Plan in der Regierung wenig Anhänger. Jetzt sind überhaupt keine mehr zu finden.

So ähnlich steht es auch um das No-Spy-Abkommen, das Merkels Kanzleramtsminister Ronald Pofalla im vergangenen Jahr schon für so gut wie abgeschlossen erklärte. Tatsächlich hatte BND-Chef Gerhard Schindler intern erklärt, keine nichtssagenden Zusicherungen aus den USA zu unterschreiben. Seither ist nicht viel passiert, Schindler und der neue NSA-Chef Mike Rogers tauschen Papiere aus. Rogers' Vorgänger Keith Alexander hatte lange in Deutschland Dienst getan, einige seiner Kinder wurden hier geboren. Alexander schien ein echtes Interesse an dem No-Spy-Abkommen zu haben, er verstand, wie die Deutschen ticken, wurde aber vom Weißen Haus zurückgepfiffen. Nur die Kanzlerin hat von Obama eine persönliche No-Spy-Erklärung erhalten. Während seiner Amtszeit wird ihre Kommunikation nicht mehr überwacht. Alle anderen Deutschen - das Bundeskabinett eingeschlossen - können kaum noch Hoffnung haben, dass die USA ihnen dies ebenfalls garantieren.

Die Bundesanwaltschaft schreibt schon an einer Einstellungsverfügung

Bleibt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe, der seit Monaten prüft, ob er gegen Verantwortliche der NSA ermitteln wird, es geht um die Überwachung der Deutschen durch den US-Geheimdienst und das Abhören des Handys der Kanzlerin. Nicht ausgeschlossen wäre bei einem solchen Verfahren, dass am Ende Spitzenbeamte von NSA und US-Regierung ins Visier gerieten. Amerikanische Quellen verweisen immer wieder darauf, dass das Abhören eines Regierungschefs nur mit Zustimmung und Wissen höchster Stellen im US-Außenministerium und im Weißen Haus möglich sei.

Theoretisch könnte die Bundesregierung ein Verfahren der Bundesanwaltschaft verhindern, die Strafprozessordnung lässt dies aus übergeordneten Gründen zu. Es sind ähnliche Gründe, wie sie die schwarz-rote Regierung dem NSA-Untersuchungsausschuss nannte, um die Vernehmung Snowdens in Berlin zu verhindern. Aber Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas haben verabredet, dass Generalbundesanwalt Harald Range freie Hand hat, er soll selbst entscheiden, ob ermittelt wird.

Ein Ermittlungsverfahren wäre eine echte Belastung für das deutsch-amerikanische Verhältnis, aber wenig spricht dafür, dass es kommen wird. In Berliner Regierungskreisen ist seit Wochen bekannt, dass in Karlsruhe schon an einer Einstellungsverfügung geschrieben wird. Range muss sie nur noch unterschreiben.

Ganz ohne Konsequenzen bleibt die NSA-Affäre dennoch nicht. Der Verfassungsschutz hat inzwischen die üblichen USA-Ausflüge seiner Mitarbeiter zum amerikanischen Nationalfeiertag am 4. Juli untersagt. Bis zu hundert Verfassungsschützer luden die US-Dienststellen bisher stets ein - und die meisten kamen auch.

Das gilt jetzt als unprofessionell. Schließlich kann man dem Freund nicht mehr so richtig trauen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: