EuGH-Kritik an Flüchtlingspolitik:Erst ins Gefängnis, dann zurück ins Elend

Der Bundesregierung stehen zwei harsche Niederlagen bevor: Ein EU-Generalanwalt hält die deutsche Praxis für illegal, Abschiebehäftlinge in normalen Gefängnissen unterzubringen. Der Europäische Gerichtshof prüft auch die Sprachtests für Ehepartner.

Von Wolfgang Janisch und Roland Preuß, Karlsruhe

Vorerst ist es nur der Antrag eines EU-Generalanwalts - nicht bindend, aber oft prägend für das abschließende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Deshalb spricht viel dafür, dass Deutschland sich eine harsche Niederlage vor dem obersten EU-Gericht für seine rigide Praxis bei der Abschiebehaft einhandeln wird. Denn der französische Generalanwalt Yves Bot hält für rechtswidrig, was auch deutsche Gerichte bereits beanstandet haben: dass Menschen, die aus ihrer Not in Afghanistan, Somalia oder Eritrea nach Deutschland geflohen sind, zuerst in ein reguläres Gefängnis gesteckt werden, bevor man sie ins Elend zurückschickt.

Bot stützt sich auf die EU-Rückführungsrichtlinie von 2008. Abschiebehaft bleibt nach dem 33-seitigen Schlussantrag zwar grundsätzlich zulässig, muss aber als "letztes Mittel" strikt begrenzt werden. Zudem dürfen die Betroffenen nicht in den normalen Strafvollzug gesteckt werden, sondern müssen in "speziellen Hafteinrichtungen" untergebracht werden. So steht es ausdrücklich in Artikel 16 der Richtlinie, nur schert man sich in Deutschland wenig darum.

Neun Bundesländer sperren die Abschiebehäftlinge zusammen mit den Strafgefangenen ein: Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg sowie, außer Brandenburg, alle ostdeutschen Länder. Bis vor Kurzem zählte auch Bayern dazu, das aber Anfang des Jahres seine Praxis geändert hat, in letzter Minute: Bot beanstandet zwei Fälle aus den Jahren 2012 und 2013, in denen ein Marokkaner und eine Vietnamesin monatelang in den Vollzugsanstalten in München und Nürnberg einsaßen.

Kurios ist: Während die Richtlinie in allen anderen Sprachfassungen eine Unterbringung im normalen Knast nur unter strengen Voraussetzungen erlaubt, ist dies nach der deutschen Übersetzung bereits möglich, wenn spezielle Hafteinrichtungen "nicht vorhanden" seien. Nach dem deutschen Aufenthaltsgesetz soll es sogar ausreichen, wenn es im jeweiligen Bundesland keine eigene Anstalt für Flüchtlinge gebe.

Es liege auf der Hand, dass die deutsche Fassung der Richtlinie fehlerhaft sei, schreibt Bot - geeignet, deren Zweck zu unterlaufen. Deshalb stellt er klar: Auf das Gefängnis dürfe nur in Notlagen zurückgegriffen werden, nämlich dann, wenn die Kapazitäten durch viele Flüchtlinge erschöpft seien. Davon kann derzeit keine Rede sein. Die Zahl der Abschiebehäftlinge geht seit Jahren zurück; von 2008 bis 2011 sank sie von 8800 auf knapp 6500.

"Schutzlos hinter Gittern"

Zweck der Unterbringung, mahnt der Generalanwalt, dürfe allein die Durchsetzung der Abschiebung sein. Deshalb dürften in solchen Einrichtungen nicht die für den Strafvollzug typischen Restriktionen gelten, sondern sie müssten angemessen ausgestattet sein - mit Gemeinschaftsräumen, medizinischer Betreuung und kindgerechten Angeboten.

Die deutsche Regierung hatte in dem EuGH-Verfahren allen Ernstes argumentiert, die Unterbringung im Gefängnis sei für die Betroffenen sogar günstiger. Der Pro-Asyl-Bericht "Schutzlos hinter Gittern" hatte 2013 indes zahlreiche Defizite offengelegt, von abgeschlossenen Fluren über von außen einsehbare Toiletten bis hin zu fehlender Behandlung traumatisierter Flüchtlinge.

Auch auf einem anderen wichtigen Gebiet der Migrationspolitik könnte die Bundesregierung eine Niederlage vor dem EuGH erleiden. Der italienische Generalanwalt Paolo Mengozzi hält verpflichtende Sprachtests für ausländische Ehegatten, die nach Deutschland ziehen wollen, für einen Verstoß gegen EU-Recht. Zumindest gelte dies für Ehepartner, die aus der Türkei nach Deutschland kommen wollen, argumentiert der Kollege von Bot in seinem Schlussantrag. Die deutsche Regelung verstoße gegen ein Assoziierungsabkommen mit der Türkei von 1970, das weitere Einreisebeschränkungen untersage. Zudem hält Mengozzi die Vorschriften im Aufenthaltsgesetz für unvereinbar mit der EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung, wenn nicht jeder einzelne Fall geprüft werde.

2007 hatte die damalige große Koalition verpflichtende Deutschtests für Ausländer eingeführt, die nicht aus der EU stammen, bevor diese zu einem Ehepartner nach Deutschland ziehen dürfen. Hierzu war in vielen Ländern ein Kursangebot aufgebaut worden. Die Zuwanderer müssen sich in einfacher Form mündlich und schriftlich verständigen können, erst dann erhalten sie ein Visum. In der Folge waren vorübergehend weniger Visa erteilt worden. Die Regelung trifft vor allem Deutsch-Türken, die einen Partner aus der Heimat nach Deutschland holen, sie war von der türkischen Regierung scharf kritisiert worden, aber auch von Grünen und Linken.

Laut Bundesregierung sollen mit den Vorab-Sprachkursen Zwangsehen verhindert und die Integration gefördert werden. Hierfür seien die Tests jedoch "unverhältnismäßig", scheibt der Generalanwalt, weil sie ein Zusammenleben der Familie dauerhaft verhindern könne. Geklagt hatte eine Türkin, die seit 2007 mit einem Deutsch-Türken verheiratet ist und zu diesem ziehen möchte. Als Analphabetin schaffte sie jedoch den Sprachtest nicht.

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