"Team Wallraff" in Altenpflegeheimen:Würdevolle Sendung über würdeloses Leben

"Team Wallraff - Reporter undercover"

Ex-Enthüllungsreporter Günther Wallraff tritt bei RTL als Berater auf.

(Foto: Stefan Gregorowius/RTL)

RTL schickt eine Reporterin mit versteckter Kamera in Pflegeheime. Die Sendung widersteht größtenteils der Versuchung, die Dramen noch zu inszenieren - die Fernsehzuschauer bekommen trotzdem eklatante Missstände zu sehen.

Eine TV-Kritik von Bastian Brinkmann

Drei Schatten treten auf. "Darüber wird man reden", raunt eine Stimme. Dann beginnt die neue Folge "Reporter Undercover" vom "Team Wallraff". Diesmal war eine Reporterin mit versteckter Kamera in Altenpflegeheimen unterwegs, nachdem die Sendung in den Vorwochen über Hygieneprobleme bei Burger King und arbeitsrechtliche Defizite in der Logistik des Modeversenders Zalando berichtet hatte.

Für RTL-Chef Frank Hoffmann ist das Team Wallraff ein Vorzeigeprojekt. Am Montagabend sind satte anderthalb Stunden für die Reportage im Sendeplan freigeräumt, anschließend gibt es noch eine 45-minütige Extra-Ausgabe des Magazins "Extra" zur eigenen Sendung. "Damit schärfen wir unser journalistisches Profil", sagte RTL-Boss Hoffmann kürzlich dem Fachmagazin W&V - und meinte damit neben der Wallraff-Sendung auch das "Jenke-Experiment", bei der sich ein Mann beispielsweise dabei filmen lässt, wie er über längere Zeit viel Alkohol trinkt.

Schnitt. Das körnige Bild zeigt eine alte Frau in einem Bett. "Ich möchte sterben, dann wird alles still", sagt sie, dazu hört der Zuschauer Techno-Musik. Die Sendung heißt "Das Pflegedilemma: Am Ende ohne Würde". Die RTL-Reporterin Pia Osterhaus heuert als Praktikantin Diana bei zwei Einrichtungen an: dem städtischen Seniorenstift St. Josef in München und einem Pflegeheim in Berlin-Kreuzberg, das dem Konzern Marseille-Kliniken gehört. Sie bringt versteckte Kameras mit.

Das Thema Pflege ist größer als fiese Chefs im Logistiklager oder abgelaufene Salate beim Burger-Brater. Der Sozialverband VdK erhebt gerade beim Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen "grundrechtswidrige Zustände" im deutschen Pflegesystem. Er prangert an, dass viele Alte in den Heimen würdelos behandelt werden.

Drehs mit versteckter Kamera sind ethisch heikel. Menschen vertrauen dem Reporter, reden offen mit ihm, benehmen sich, als wären sie unter sich. RTL bricht in diesen Schutzraum ein und zeigt die Aufnahmen vor einem Millionenpublikum. Das geht nur, wenn die Bilder eklatante Missstände zeigen. Doch das tun sie.

In einem Münchner Stift kümmerten sich drei Pflegekräfte in der Frühschicht um 37 Senioren, als die Reporterin gedreht hat. Da blieben pro Mensch nur 7,5 Minuten für Wecken, Morgentoilette und Füttern. Ein Bewohner hat ein Brillenhämatom, ringförmige Blutergüsse unter beiden Augen. Vielleicht ist er hingefallen, vielleicht wurde er geschlagen; das Blut sammelte sich in seinen Augenringen. Der demente Bewohner sagt, er sei geschlagen worden.

"Team Wallraff - Reporter Undercover": RTL-Sendung deckt Missstände in Altenheimen auf

Die menschenunwürdigen Zustände vor Ort rechtfertigen den Einsatz von versteckten Kameras.

(Foto: RTL/Bildschirmfoto)

Eine andere Frau finden die Pflegerinnen auf dem Boden, sie liegt in einer unnatürlichen Haltung vor ihrem Bett. Eine Pflegerin macht erst mal Fotos mit ihrem Smartphone, bevor sie der Frau hilft. Gemeinsam heben die Betreuerinnen die Frau wieder ins Bett, sie schreit "Au au au", ihr Gesicht ist geschwollen. Im Berliner Heim bricht das gefährliche Norovirus aus, aber das Personal gibt die Warnung aus: Wage nicht, das Gesundheitsamt anzurufen.

Beide Heime dementieren die Vorwürfe.

RTL zeigt Bilder aus einer Linoleumhölle, in der Menschen leiden. Auch die Pfleger, die genau wissen, dass sie es nicht schaffen, würdig mit den Bewohnern umzugehen. Und die dafür auch noch schlecht bezahlt werden.

Wallraff in Aktion

Die Sendung widersteht größtenteils der Versuchung, die so offensichtlichen Dramen in den Pflegeheimen noch zu inszenieren. Dass es eigentlich nicht passt, Elektromusik unterzulegen, wenn eine alte Frau wie zu Beginn der Sendung einen Todeswunsch äußert, haben sie bei RTL wohl selbst noch gemerkt - als die Szene später in der Reportage vorkommt, fehlt die Musik.

Die Erlebnisse der Reporterin in München und Berlin sind stark. Leider möchte auch Günter Wallraff eine Hauptrolle spielen und führt einen ganz anderen Erzählstrang ein, der die Dokumentation unnötig in die Länge zieht. Wallraff verkleidet sich diesmal als "gebrechlicher Rentner", sagt der 71-Jährige selbst, dabei sei er ein "gut trainierter Ausdauersportler".

"Team Wallraff - Reporter Undercover": RTL-Sendung deckt Missstände in Altenheimen auf

Verwandlung vom "gut trainierter Ausdauersportler" zum "gebrechlichen Rentner"

(Foto: Bildschirmfoto)

Er möchte so zeigen, wie Pflegedienste Hartz-IV-Empfänger schulen, um Pflegegeld abzukassieren. Das ist natürlich Betrug, der stellvertretende Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte schätzt den Schaden auf 30 Millionen Euro jährlich. Alles sehr ärgerlich - aber weit entfernt von der Relevanz des würdelosen Lebens in deutschen Pflegeheimen. Und doch wird drei Mal während der Dokumentation die Verwandlung des Günter Wallraff in einen am Stock gehenden Senior gezeigt, was natürlich beim ersten Mal auch interessant anzusehen ist. Aber eben nur beim ersten Mal.

Für die folgende Extra-Sendung durfte sich Wallraff mit Heimbewohnern vergleichen und checkte in eine Einrichtung ein. Er habe Informationen gehabt, dass es dort Missstände gebe, erzählt Wallraff. Doch dann deckt er undercover auf: Dort gibt es keine. Das Personal ist freundlich, die Behandlung gut.

Nur ein wenig trostlos ist es. Doch dafür hätte es keine versteckte Kamera gebraucht.

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