"Das Wort zum Sonntag" wird 60:Vier Minuten Sinnsuche

Das Wort zum Sonntag 60 Jahre ARD Renate Kirsch

Innehalten am Samstagabend: Die evangelische Theologin Renate Kirsch war von 1988 -1992 Sprecherin von Das Wort zum Sonntag.

(Foto: WDR)

Am Samstagabend vor dem Spätfilm heißt es im Ersten: Innehalten. Dann läuft "Das Wort zum Sonntag" - und das schon seit 60 Jahren. Warum die Sendung die Zeit überdauert und wie sie sich künftig halten kann.

Von Carolin Gasteiger

Als hätte Walter Dittmann gewusst, was kommt: "Sie (Film, Funk und Fernsehen; Anm. d. Red.) können Auge und Ohr abstumpfen für das echte Sehen und Hören", sagte der evangelische Pastor im ersten Das Wort zum Sonntag.

1954 war das. Am Vortag war mit dem vietnamesischen Dien Bien Phu auch das französische Kolonialreich in Indochina gefallen, die Meldung war der Aufmacher der Süddeutschen Zeitung. Und die kostete damals gerade mal 30 Pfennig. Viele sahen in dieser Zeit die aufkommenden Massenmedien als Bedrohung an, so auch Wort zum Sonntag-Sprecher Dittmann. Was hätte er wohl zur heutigen Medienlandschaft und ihren bisweilen kruden Ausprägungen gesagt? Zum Bachelor, zu Germany's Next Topmodel oder gar zum Dschungelcamp?

In diesem Jahr feiert das TV-Format 60-jähriges Jubiläum. Älter ist im deutschen Fernsehen nur die Tagesschau. Auch wenn sich die Premiere aufgrund eines Kabelbruchs um eine Woche verzögerte, seit dem 8. Mai 1954 läuft Das Wort zum Sonntag der ARD zufolge durchgehend, wenn auch zwischendurch mal am Sonntag- statt am Samstagabend. Aber immer noch heißt es in der ARD einmal in der Woche für vier Minuten: Innehalten.

Erbarmen mit der kranken Menschheit

Wobei es durchaus aufsehenerregende Episoden gab: Zweimal bereits sprach ein Papst im Das Wort zum Sonntag: 1987 machte sich Johannes Paul II. vor seinem Deutschlandbesuch Sorgen um das christliche Miteinander, im September 2011 appellierte Benedikt XVI., ebenfalls vor einer Reise nach Deutschland, Gott wieder stärker ins Blickfeld zu rücken. Für einen Aufreger sorgte der Sprecher der "Mogadischu-Sendung" 1977, als er sein Manuskript weglegte und Gott angesichts der Entführung der Landshut bat "um sein Erbarmen mit uns, dieser verwirrten, kranken Menschheit, die wir nicht mehr wissen, wie wir uns vor dem Abgrund der Selbstzerstörung retten".

Immer mal wieder verließen die Sprecher das Studio, sinnierten auf einer Autobahnbrücke, im Kreißsaal oder beim Eurovision Song Contest (die Sendung aus Malmö 2013 erreichte eine Rekordquote von 4,34 Millionen Zuschauern). Im Schnitt verzeichnet Das Wort zum Sonntag 1,5 bis zwei Millionen Zuschauer. Zum Vergleich: Ein guter Tatort lockt schon mal mehr als zehn Millionen vor den Bildschirm.

Aber so viel muss die Kirche den Öffentlich-Rechtlichen wohl wert sein, nirgendwo sonst hätten "vier Minuten religiöser Frontalunterricht", wie es Fernsehmoderator Jörg Thadeusz nennt, über einen so langen Zeitraum eine Chance. Erzbischof Robert Zollitsch sieht im Das Wort zum Sonntag "eine Art einmal wöchentlich gesendete, 'geistliche Tagesschau'". Mit dem Format würden auch Menschen angesprochen, die der Kirche fern oder skeptisch gegenüberstünden, aber gleichwohl ein Bedürfnis hätten, "sich mit spirituellen Themen, mit Sinn- und Wertefragen zu befassen", heißt es in einer Mitteilung.

Vielleicht unterschätzt man hier aber auch die Zuschauer und ihr Bedürfnis nach Sinnsuche. Zwar wenden sich immer mehr Menschen von der Kirche ab. Aber Dittmanns Das Wort zum Sonntag ebnete, ohne dass der Sprecher es wissen konnte, inhaltlich den Weg für ein neues TV-Genre. Religiöse Formate wie der RTL-Bibelclip oder "Gedanken zum Tag" im Bayerischen Rundfunk laufen nach wie vor. Auch hier zählt das Innehalten.

Und die Themen sind inzwischen immer öfter konfessionsübergreifend, weltlich geradezu. In der jüngsten Ausgabe von Anfang Mai etwa geht es um Dumpinglöhne und Billigproduktion. Ist es da noch gerechtfertigt, dass die Sprecher nach wie vor nur Angehörige des christlichen Glaubens sind (vier evangelisch, vier katholisch)? Sollten nicht auch Juden oder Muslime im Wort zu Wort kommen? Von Atheisten ganz zu schweigen. Ideen für eigene religiöse Sendungen vor einigen Jahren verliefen im Sand.

Würden sie endlich in das Format integriert, ginge Das Wort zum Sonntag nach 60 Jahren mit der Zeit, wäre es gar "etwas für die Avantgarde," wie die Berliner Zeitung schreibt. Und, wie Pastor Dittmann erkannt hatte, Auge und Ohr würden nicht abstumpfen für das echte Sehen und Hören.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: