Reiseziel Baden-Baden:Sehnsuchtsort mit Sorgen

Markgrafen-Schloss wird Luxushotel

Ein echter Hingucker in Baden-Baden: Das Markgrafen-Schloss - ein Luxushotel.

(Foto: dpa)

Die Kurstadt Baden-Baden ist ein beliebtes Reiseziel für Russen und Ukrainer - und lebt gut davon. Jetzt befürchten manche Baden-Badener, dass andere Touristen wegbleiben könnten. Andere fänden das gar nicht so schlimm.

Von Roman Deininger und Max Hägler, Baden-Baden

Es herrscht Friede auf dem Hotel-Parkplatz, und auch der gleiche exklusive Geschmack. Nebeneinander stehen drei dieser riesenhaften Geländewagen, die kaum je das Gelände sehen. Ihr makelloses Weiß blitzt in der Frühlingssonne. Zwei haben ein blau-gelbes Wappen auf dem Nummernschild und die Buchstaben "UA" für die Ukraine. Das dritte Gefährt trägt ein weiß-blau-rotes Emblem und die Buchstaben "RUS" - für Russland. Keiner hat dem anderen die Reifen zerstochen.

Erste Beobachtung gleich nach der Ankunft: Die Russen und die Ukrainer kommen also noch nach Baden-Baden, mitten in der Krise. Und ihren Konflikt haben sie anscheinend zu Hause gelassen.

Die Baden-Badener selbst treibt nun eine Frage um: Wird das auch so bleiben? Und wenn nicht: Was heißt das für ihre kleine Stadt?

Baden-Baden ist ein russischer Sehnsuchtsort, vielleicht die russischste Stadt außerhalb Russlands. Die Liebe der Russen zu dem Kurstädtchen im Schwarzwald begann mit einer Hochzeit: 1793 heiratete Luise von Baden den späteren Zaren Alexander. Fortan schwärmte sie ihrem neuen Volk von der Lieblichkeit ihrer alten Heimat vor. "Ich bin hier an einem der schönsten Orte der Welt", schrieb sie bei einem Besuch an eine Freundin. Der einzige Nachteil sei, "dass dieses schöne Fleckchen Erde nicht in Russland liegt".

Alles begann mit einer Ehe

Dieses Problems freilich hat man sich in Baden-Baden heute mit allen Bordmitteln angenommen. In den Lokalen gibt es russische Speisekarten, in den Luxusläden mit den teuren Uhren und Pelzen russische Verkäuferinnen. In einem hübschen Café in der Innenstadt bestellt man als Deutscher bei der russischen Kellnerin unfallfrei nur auf Englisch. Aus dem Gebüsch neben der Terrasse brechen drei russische Kinder, die fröhlich mit ihren iPads wedeln.

Die geschickte Öffentlichkeitsarbeit der Luise lockte im 19. Jahrhundert die russische Intelligenz und Elite an das Rinnsal Oos, das in Russland sogar Kinder kennen und in Deutschland nicht mal Erwachsene. Dann folgten die Dichter, die fast alle die fatale Neigung hatten, in Baden-Baden ihr Geld zu verspielen. Tolstoi soll schon am Ankunftstag sein Vermögen durchgebracht haben; immerhin hat er es der Stadt nicht nachgetragen. "Von lauter Lumpen umgeben!", schrieb er in sein Tagebuch. "Und der größte Lump bin ich." Dostojewski verdaddelte 1867 seinen Ehering.

Die russische Wiederentdeckung Baden-Badens in unserer Zeit begann mit Boris Jelzin, der hier 1996 einen Medienpreis entgegennahm - eine Art Schneemann, der von einem örtlichen Unternehmer nach noch nicht völlig durchleuchteten Kriterien vergeben wird. Seither kommen die Russen wieder in großer Zahl, zum Spielen, Shoppen, zum Spazierengehen im Grünen ganz ohne Bodyguard. Sie kommen zur Zahnsanierung, zum Heiraten im Palais Gagarin oder um hier ihr Kind auf die Welt zu bringen. Geboren in Baden-Baden, das ist ein guter Auftakt in ein russisches Leben.

Bislang zumindest.

Russe ist nicht gleich Russe

Im Kurhaus sitzen vor goldumrandeten Bildern die distinguierten Damen und Herren von der Deutsch-Russischen Kulturgesellschaft. Sie machen sich Sorgen, dass die deutsche Russland-Politik die Gäste vergrätzen könnte. "Wenn man die Russen rausnähme", sagt Richard Schmitz, "dann würde das die Stadt hart treffen." Die noblen Hotels, die noblen Boutiquen. Aber auch die Handwerker, die für die Russen Belle-Epoque-Villen sanieren.

Schmitz, 75, Anzug hellblau, Krawatte und Einstecktuch türkis-pink, braucht drei Visitenkarten für all seine Ehrenämter. Lange war er Direktor des ersten Hotels am Platze, des Brenners. Er sei schon mit Putin und Schröder an einem Tisch gesessen, erzählt er: "Heute scheinen viele vergessen zu haben, dass der Dialog nie abreißen darf." Dass Putin die Krim wieder zu Russland geholt habe, sei historisch verständlich, argumentieren er und seine Vereinskollegen.

Valentina Juschina sagt, es gebe Hinweise, dass viele Aufständische auf dem Maidan vom Westen gekauft gewesen seien. "Die Außenpolitik der EU und Deutschlands ist sehr von den USA geprägt", sagt Juschina, die einst Germanistik lehrte und dann als Diplomatin nach Deutschland geschickt wurde, um hier bei Geschäften zu helfen. Jetzt versteht sie sich als Brückenbauerin: "Deutsche und Russen verbindet doch eine Seelenverwandtschaft!" Einen Tisch weiter erklärt der Ober enttäuschten Touristen die Eigenarten der vorbeiflanierenden Damen: "Russian women only like Russian men."

Russe ist allerdings nicht gleich Russe, das wissen sie hier in Baden-Baden sehr wohl zu unterscheiden: "Die Blingbling-Russen sind eher in Nizza." Der Protz ist weg, das hat auch Peter Bereit festgestellt. Seit gut einem Jahrzehnt hat sich der Immobilienhändler auf russische Kunden spezialisiert. Anfangs hätten reich gewordene Ex-Politiker sieben oder acht Millionen Euro für Villen bezahlt, die mit zwei Millionen bewertet waren.

Auch er selbst hat davon profitiert: In der Bäderstraße 2 findet sich sein mit Anzeigen in kyrillischer Schrift plakatiertes Büro, einst hat hier Dostojewski gewohnt. Bereit hat die oberen Stockwerke mit einem Bauträger renoviert - und dann an Russen verkauft. "Ein ganz gutes Geschäft", sagt Bereit und schmunzelt. Mittlerweile habe sich die Lage normalisiert, weil nach der Finanzkrise auch den Russen das Geld fehlt. Im Gegensatz zu früher fliegen sie nicht mehr mit dem Privatjet ein - und wenn, verraten sie es nicht gleich. An eine Krim-Krise im Schwarzwald glaubt Bereit nicht: "Solange die Sanktionen nur einige wenige treffen, wird das der Stadt nicht schaden."

Einheimische sorgen sich um zu starke "russische Elemente"

Eine Beobachtung nach einem Tag in Baden-Baden: Wer nicht Teil hat am Geschäft mit den Russen, geht mit ihnen härter ins Gericht. Da wäre zunächst die Landesregierung, wenigstens ihr grüner Teil. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte es 2012 abgelehnt, den Petersburger Dialog hier auszurichten, es war die Zeit der Lagerhaft für Pussy Riot. Man habe kein Geld für so was, hieß es in Stuttgart. Kretschmann habe nur keine Lust auf Putin, hieß es in Berlin. Heute sagt der grüne Regierungssprecher: "Die Entscheidung war auch im Lichte aktueller Entwicklungen richtig."

Von Leuten auf der Straße - es ist gar nicht so leicht, Einheimische zu erwischen - hört man durchaus die Sorge, dass das "russische Element" in der Stadt zu stark werden könne. Und dass Geschmacklosigkeit einziehe, wie beim Hotel "Hirsch", das unter der Leitung eines ehemaligen Kreml-Mannes pompös, aber keineswegs stilsicher renoviert worden sei. Auch über organisierte Kriminalität wird viel getuschelt.

Das Rathaus von Baden-Baden, 1836 lebte hier Nikolai Gogol, der ukrainische Schriftsteller. Heute regiert hier Wolfgang Gerstner von der CDU. Mit der Absage des Petersburger Dialogs habe man "eine Chance verpasst", sagt er. Aber Baden-Baden sei auch "nicht monolithisch auf die Russen gebaut". 120 Nationen lebten in seiner Stadt, nur 800 der 55 000 Einwohner seien Russen. Und auch nur acht Prozent der Touristen. "Wir sind genauso eine französische Stadt."

Gerstner findet, dass Einzelhändler eben "nicht nur auf eine einzige Zielgruppe setzen" dürften. Genauso wenig wie die Stadt selbst das tue. Erzpriester Miodrag Glisic hält Baden-Baden sehr wohl für eine "spezielle Stadt", aber er teilt die Gelassenheit des OB. Glisic ist Serbe, war lange in Frankreich. Jetzt sitzt er auf einem Bänklein hinter der russisch-orthodoxen Kirche Baden-Badens, seiner Kirche. Er ist ein gemütlicher Mann mit einem langen Bart. Kürzlich aber hat er ein Verbot ausgesprochen: "Njet! In meiner Kirche darf nicht über Politik gesprochen werden!" Man solle beten für die Menschen in der Ukraine, doch politischer Zank sei etwas, was vorübergeht. Und wenn die Russen nicht mehr hierher kämen, was dann? "Die reichen Russen", sagt Glisic, verirrten sich eh nicht in seine Gemeinde, "die interessiert nur der Profit."

Für die Ukraine und Russland möge derzeit viel auf dem Spiel stehen, sagt der Priester. Für Baden-Baden nicht: "Man kann Geschichte nicht ändern. Das hier wird immer eine russische Stadt bleiben."

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