Nigeria:Zwischen Wirtschaftsboom und Terror

Bei aller Sorge um die entführten Mädchen wird übersehen, dass Nigeria reich sein könnte. Doch solange vom Ölreichtum im Nordosten des Landes nichts ankommt, solange wird es Killertruppen wie Boko Haram geben.

Ein Kommentar von Tobias Zick

Eine Terrorsekte, die im Namen Allahs Schulmädchen entführt, Dörfer niederbrennt, Zivilisten mit Autobomben tötet, und das schon seit Jahren - natürlich kann es für ein solches Problem nicht die eine schlichte Lösung geben; natürlich braucht es ein ganzes Bündel von gut aufeinander abgestimmten, langfristigen Maßnahmen.

Sicher jedenfalls ist: Das millionenfache Twittern von Anfeuerungsrufen, man möge die entführten Mädchen zurück nach Hause bringen, gehört eher nicht zu diesen langfristig wirksamen Maßnahmen. Es hat allenfalls geholfen, ein Schlaglicht auf das Versagen des nigerianischen Staates zu werfen.

Die Tatsache, dass nun die USA Spezialkräfte nach Nordnigeria schicken, um die mehr als 200 entführten Schülerinnen zu suchen, zeigt vor allem eines: die Unfähigkeit der nigerianischen Regierung, ihre eigenen Bürger zu schützen.

Keine Störung der Champagnerlaune

In der jetzigen weltweiten Aufregung wird leicht übersehen, dass der Schauplatz des Dramas in einem eigentlich reichen Land liegt. Kurz vor der Entführung der Mädchen hatte Nigerias Regierung getönt, die Nation sei inzwischen zur größten Volkswirtschaft Afrikas aufgestiegen, habe sogar Südafrika überholt.

In der Tat kann man aus der Sicht einer schmalen Elite die Wirtschaftsgeschichte des Landes als Erfolgsstory verbuchen - und diese Elite lässt sich in ihrer Champagnerlaune ungern stören: Im Februar hat Präsident Goodluck Jonathan, der selbst aus dem ölreichen südlichen Bundesstaat Bayelsa stammt, den Zentralbankchef abgesetzt, nachdem dieser die Öffentlichkeit mit neuen Details auf das altbekannte Phänomen der alles zerfressenden Korruption aufmerksam gemacht hatte.

Allein in den vergangenen zwei Jahren sind demnach umgerechnet etwa 15 Milliarden Euro an staatlichen Öleinnahmen in privaten Taschen verschwunden. Geld, das in den verarmten muslimischen Teilen des Landes für so manche neue Schule, so manches neue Krankenhaus und so manche neue Polizeistation genügt hätte.

Zulauf zu Boko Haram kein Wunder

Solange von Nigerias übersprudelndem Ölreichtum im Nordosten des Landes praktisch nichts ankommt, so lange braucht sich niemand zu wundern, dass Killertruppen wie Boko Haram mit ihren grotesk simplen Heilsbotschaften immer neuen Zulauf bekommen und immer hemmungsloser wüten.

Sollte es tatsächlich gelingen, das Geiseldrama glimpflich zu beenden, ist spätestens danach die Zeit für bohrende Fragen gekommen. Wie kann es beispielsweise sein, dass mehr als 200 Mädchen wochenlang unauffindbar versteckt gehalten werden? In einer Region, über die schon vor mehr als einem Jahr der Ausnahmezustand verhängt worden ist; in der das Militär ansonsten immer wieder mit brutalen Vergeltungsattacken auch auf Zivilisten seine massive Präsenz beweist.

Was ist dran an den Vorwürfen vieler Soldaten, dass deren Kommandeure sich einen Großteil ihres Solds in die eigene Tasche stecken und so im Kampf gegen eine fanatische, gut ausgerüstete Terrorgruppe noch zusätzlich die Moral der Truppe schwächen?

Die Twitter-Schlagwörter zu diesen Debatten könnten dann beispielsweise lauten: "Rottet die Korruption aus" oder "Schützt endlich eure eigenen Bürger". Dazu wäre allerdings ein sehr langer Atem nötig, und den findet man in den sozialen Netzwerken eher selten. Ebenso wie bei den Regierungen jener Länder, die aus Nigeria Erdöl beziehen, allen voran die USA und China.

Ohne deutlich stärkeren Druck auf die korrupten Eliten des Landes wird sich die Kluft zwischen obszönem Reichtum und hoffnungsloser Armut immer nur weiter vertiefen - und die Nachrichten aus Nigeria werden weiterhin in atemberaubendem Wechsel von Wirtschaftsboom und Terror handeln.

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