Wahl von Narendra Modi:Vision von einem starken Indien

Wahl von Narendra Modi: Die indische Bevölkerung hat hohe Erwartungen an Narendra Modi.

Die indische Bevölkerung hat hohe Erwartungen an Narendra Modi.

(Foto: AFP)

Narendra Modi möchte, dass Indien aufblüht. Und die Inder glauben, dass sonst kein anderer da ist, der es richten könnte. Doch seine Macht weckt Begehrlichkeiten bei den Hindu-Nationalisten. Sie wollen ihn für ihre national-religiösen Träume einspannen. Das schürt Ängste.

Von Arne Perras

Dumpfe Trommelschläge hallen durch die Ashoka Road, schon am Vormittag tobt der safranfarbene Karneval über den Asphalt von Neu-Delhi, weil sich Minute für Minute die Gewissheit verfestigt: Die Hindu-Nationalisten haben gesiegt. An ihrer Spitze triumphiert Narendra Modi, den seine Anhänger als Heilsbringer feiern.

Seine Ausdauer war verblüffend. 453 Kundgebungen hat Narendra Modi im Wahlkampf bestritten, den er schon am 10. September 2013 begann, viele Monate vor allen anderen Kandidaten. In dem weißen Helikopter eines indischen Großindustriellen begab sich der 63-Jährige von Staat zu Staat, von Metropole zu Metropole, von Dorf zu Dorf. So ein Pensum hat vor ihm keiner hingelegt.

Nun ist er nach 300 000 Kampagnen-Kilometern am Ziel angelangt. Das Bündnis seiner Bharatiya Janata Party, BJP, hat eine deutliche Mehrheit in der Lok Sabha, dem Unterhaus, erobert. Für indische Verhältnisse ist das ein Erdrutschsieg. Einen solchen Einschnitt hat es seit der Unabhängigkeit von den britischen Kolonialherren 1947 nicht mehr gegeben.

Modi hat seine Karten noch nicht auf den Tisch gelegt

Wer ist dieser Mann, der nun den Aufbruch organisieren will? Modi stammt aus einfachen Verhältnissen, sein Vater betrieb eine kleine Teeküche im Bundesstaat Gujarat, in der Narendra oft als Junge aushalf. Später hat er sich in einer rechts-nationalen Freiwilligen-Organisation, dem Rashtriya Swayamsevak Sangh , kurz RSS, hochgearbeitet. Fast 13 Jahre lange regierte er schließlich als Ministerpräsident den Bundesstaat Gujarat im Westen, wo er mit einer unternehmerfreundlichen Politik dazu beitrug, dass es ein zweistelliges Wachstum gab. Nun soll er als Premier ganz Indien aus der Krise ziehen. Denn alle haben das verkrustete System, die Korruption, das Dickicht einer arroganten und unfähigen Bürokratie satt.

Sie alle glauben jetzt an Modi, obgleich er seine Karten noch gar nicht auf den Tisch gelegt hat, wie er den Wandel schaffen will. Alle preisen das Modell Gujarat, doch der dortige Aufschwung ist nicht alleine Modis Werk. Der Staat wird schon seit Langem von einem starken Unternehmertum getragen, und Ökonomen warnen davor zu glauben, dass man den Aufschwung im Westen Indiens wie eine Schablone auf andere Regionen übertragen könne.

Ein simples Versprechen: Jobs, Jobs, Jobs

Dennoch betrachten viele Modi als den Magier von Gujarat, und so hat er die Macht mit einem simplen Versprechen gewonnen: Jobs, Jobs, Jobs. Die Begeisterung ist im Laufe der Monate zur Modimanie angeschwollen. Und nun warten alle darauf, dass das ganze Land aufblüht.

Aber wie soll ein Mann das alles schaffen? Der Wählerauftrag verpflichtet ihn, auf Entwicklung für alle zu setzen, aber abgesehen davon, dass Modi es ausländischen Firmen erleichtern will zu investieren, bleiben seine Pläne vage. Zugleich setzen ihn die Euphorie und die Erwartungen unter einen enormen Druck.

"Er glaubt, dass er im Planetensystem die Sonne darstellt"

Modi hat die Last nicht gescheut, er sieht sich als Visionär. Indien soll aufsteigen und erstarken, wie es dem bald bevölkerungsreichsten Land auf der Welt gebühre. Hierarchie, Ordnung, Disziplin - dieser Dreiklang bestimmt seine Arbeitsphilosophie. Sein Bruder erinnerte sich einmal daran, wie sehr Narendra schon als Junge die Übungen im Hindu-Freiwilligen-Korps RSS gefielen, die er täglich besuchte. "Er war beeindruckt, dass dort immer einer die Befehle gab und alle dem Kommando folgten." Diesen Drill hat er zu seinem Leitbild gemacht: Biograf Nilanjan Mukhopadhyay beschreibt Modis Selbstverständnis so: "Er glaubt, dass er in seinem Planetensystem die Sonne darstellt, um die alle anderen in einer fest umschriebenen Umlaufbahn kreisen müssen."

Manche erschrecken, wenn sie daran denken, sie fürchten den diktatorischen Stil. Viele Inder aber scheinen genau diese starke Hand zu ersehnen, um den Stillstand aufzubrechen. Dennoch dürfte nun eine Zeit des Lernens für Modi beginnen, denn um ein Land wie Indien zu regieren, wird er Verbündete brauchen, er wird Allianzen schmieden und Kompromisse suchen müssen. Vor allem in den Bundesstaaten, denn alleine kann er ökonomische Reformen von der Zentrale aus gar nicht steuern. "Das ist er nicht gewohnt", sagt ein Insider, der ihn als Ministerpräsident von Gujarat lange beobachtet hat.

Das Gefühl der Massen, dass es sonst kein anderer richten könnte

Modi hat nicht nur von einer Aura der Stärke und Entschlossenheit profitiert. Nach oben getragen hat ihn auch das Versagen der Kongresspartei und das Gefühl der Massen, dass sonst kein anderer da ist, der es richten könnte. Er hat einen cleveren Wahlkampf geführt, das anerkennen selbst Kritiker. Fehler sind ihm kaum unterlaufen. Seine Gegner versuchten, ihn immer wieder aus der Reserve zu locken, vor allem mit dem Thema Minderheiten.

Doch Modi war geschickt genug, ihnen keine Munition zu liefern, er hat keine Hassreden gehalten, auch wenn seine Gegner nicht müde wurden, ihn als Spalter anzuprangern. Modi setzte ganz auf sein Entwicklungsversprechen, und damit konnte er, in Zeiten der Krise, genügend Menschen hinter sich scharen. Andere aus dem BJP-Lager hetzten durchaus gegen Muslime. Manchmal hat Modi sie zurückgepfiffen, manchmal auch nicht.

Moderne Wahlkampfmaschine, perfekte Logistik

Dieser Mann ist stolz auf seine Wurzeln im Hindu-Freiwilligen-Korps RSS. Und dass er nun Premier wird, weckt Begehrlichkeiten unter den Hindu-Ideologen, die ihn einspannen wollen für ihre national-religiösen Träume. Die laufen darauf hinaus, dass die Hindus ihre Dominanz im Staat festigen, während Muslime, immerhin etwa 160 Millionen Menschen, kuschen müssen. Das schürt Ängste.

Nun steht Modi vor einem Problem. Wenn er sich zum Vollstrecker der Hindu- Eiferer aufschwingt, gefährdet er seine Wahlversprechen: Entwicklung für Indien, Aufbruch in bessere Zeiten. Die breite Mehrheit will Arbeit. Wenn der innere Friede in Gefahr gerät, ist das kaum zu schaffen. Auch Modi weiß das. So warten alle darauf, wie er mit dem Druck durch die Ideologen umgehen wird. In dieser Woche hat er schon signalisiert, dass er sich durch den RSS nicht binden lassen will. Wie die Zeitung The Hindu unter Berufung auf Insider berichtet, verlangt Modi eine freie Hand bei der Besetzung von Posten.

Manche meinen, Modi arbeite wie ein Uhrwerk

Seine Wahlkampfmaschine war modern, die Logistik perfekt. Besonders im digitalen Schlagabtausch und dem Einsatz sozialer Medien hat das Modi-Camp alle anderen weit hinter sich gelassen. "Manches erinnerte an einen US-Wahlkampf, wie ihn Obama führte", sagt ein Diplomat. Das mag auch daran liegen, dass Modi sich von einer amerikanischen Consulting-Firma beraten ließ.

Anders als im Westen ist die Parteienfinanzierung in Indien in keiner Weise transparent, was als Schwäche der Demokratie gilt. Auch Modi steht so manchem Großindustriellen nahe. Am undurchsichtigen symbiotischen Verhältnis zwischen Konzernen und der Politik dürfte sich so schnell nichts ändern, zumal auch der kommende Premier bislang keinen Finger gerührt hat, um Licht in die Finanzen des Wahlkampfes zu bringen.

Asketisches Leben statt Luxus

Manche sagen, Modi arbeite wie ein Uhrwerk. Pünktlich und präzise. Um vier Uhr morgens ist er meistens schon auf. Drei bis vier Stunden Schlaf, mehr braucht er nicht. So war es schon vor dem Wahlkampf. Der 63-Jährige beginnt seinen Tag mit Yoga, dann checkt er seine Mails. Er hält sich strikt an vegetarische Kost, wie es sich für einen guten Hindu gehört. Der Mann wirkt kerngesund. Stets tritt er gepflegt auf, legt Wert auf sein Äußeres. Sonst aber hat es nicht den Anschein, dass er sich aus Luxus viel macht. Er halte sich an ein eher asketisches Leben, wie er es in den Kadern des RSS eingeübt hat, sagen Insider.

Hat er noch Zeit für Privates? "Mein Freund ist der Job", sagt Modi. Aber er sei über diese Art der Einsamkeit nicht unglücklich. Lange hat er verheimlicht, dass er in jungen Jahren eine von der Familie arrangierte Heirat schloss. Er hat sie nie vollzogen. Sein Platz war im Kader des RSS. Nun konzentriert er sich auf seine Mission: "Indien zuerst." Vermutlich wird er damit beginnen, während seine Anhänger noch im Siegesgeheul durch die Straßen ziehen.

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