Österreich und die Europawahl:Warum so viele Jungwähler für die FPÖ schwärmen

Heinz-Christian Strache

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei einer Wahlparty seiner Partei.

(Foto: AP)

Party, Politik und Protest: Die FPÖ verknüpft diese Komponenten auf so perfekte Weise, dass die Rechtspopulisten bei jungen Österreichern die Nummer eins sind. Dass das Land gerade Conchita Wurst feiert, ist kein Beweis für wachsende Toleranz.

Ein Gastbeitrag von Thomas Baumgartner, Innsbruck

Am Sonntag wird das neue Europaparlament gewählt und eigentlich dürfte es für die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) gar nicht gut laufen. Die in den 2000er Jahren zu Zwecken der Selbstinszenierung vom Ex-FPÖ Chef und Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider aufgeblähte Regionalbank Hypo Alpe Adria, die im Zuge der Finanzkrise in schwere Turbulenzen geriet, muss aktuell vom Staat aufgefangen und mit frischem Geld versorgt werden.

Bis zu 17 Milliarden Euro wird der Spaß kosten. Dieses Debakel führt aktuell zu Kürzungen in allen Ministerien, besonders hart trifft es dabei die Bildung: 2014 müssen 57 Millionen, 2015 weitere 60 Millionen Euro eingespart werden. Bankensanierung auf Kosten der Jugend quasi, denn diese Summen werden natürlich nicht durch sinnvolle Reformen im Schulverwaltungsbereich hereingeholt, sondern durch Maßnahmen, die schnelles Geld bringen: Anhebung der Klassengrößen, Kürzung von Förderungsmöglichkeiten sowie ein verzögerter Ausbau von Ganztagesschulen.

Der Beliebtheit der FPÖ, insbesondere bei jungen Wählern (in Österreich darf man bereits mit 16 wählen), tut dies jedoch keinen Abbruch: Bei der letzten Nationalratswahl im September 2013 lag sie bei den unter 29-Jährigen mit 23 Prozent auf dem ersten Platz, noch vor der Österreichischen Volkspartei (22 %), den Grünen (22 %) und der Sozialdemokratischen Partei (21 %). Warum ist das so?

Protestpartei FPÖ

Jörg Haider ist mittlerweile tot und die neue Führungsspitze um Heinz-Christian Strache tut ihr Kräftigstes, um sich von den damaligen Machenschaften zu distanzieren. Zugute kommt ihm dabei, dass die Hypo-Misere von der aktuellen Regierungskoalition aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Volkspartei (ÖVP) ausgebadet wird.

Die schmerzhaften Maßnahmen, die die Regierung trifft, schaden damit vor allem den Regierungsparteien selbst, nicht der FPÖ. Diese versteht es hingegen blendend, sich wie schon in den vergangenen Jahren als Kämpfer gegen "die da oben" zu positionieren und im Teich der Protestwähler zu fischen. Dazu passend der Slogan zur aktuellen EU-Kampagne: "Österreich rechnet ab: Mit Rot-Schwarz & EU".

Mit dieser Strategie fängt die FPÖ auch die unzufriedene Jugend ein, die sich vom politischen System im Stich gelassen und um ihre Zukunft beraubt fühlt. Hier sind es vor allem Männer und insbesondere junge Männer, die der Partei zu ihrem Höhenflug verhelfen.

Warum die FPÖ für junge Männer so attraktiv ist

Das Datenmaterial der letzten Nationalratswahl zeigt deutlich, wer der FPÖ zu ihren 20,5 % und damit zum dritten Platz hinter SPÖ und ÖVP verholfen hat. Bei den Männern liegt die FPÖ mit 29 % deutlich vorn, gefolgt von SPÖ (23 %), ÖVP (20 %) und den Grünen (10 %).

Bei den unter 29-jährigen Männern ist das Ergebnis noch deutlicher: Hier liegt die FPÖ mit 32 Prozent klar voran, die ÖVP liegt mit 19 % bereits deutlich zurück, ebenso wie die SPÖ und Grüne (beide 18 %). Genau umgekehrt ist das Ergebnis bei den Frauen: Mit 16 Prozent liegt die FPÖ hinter SPÖ und ÖVP (beide 29 %). Von den unter 29-jährigen Frauen wählte nur jede zehnte die Freiheitlichen - hier waren die Grünen (27 %) sowie ÖVP (26 %) und SPÖ (25 %) viel beliebter.

Wie kommt es, dass die FPÖ gerade bei Männern, und hier bei der Jugend, so überproportional gut abschneidet? Ein Grund ist sicherlich, dass die rückwärtsgewandten Parolen der FPÖ bei den von Zukunftssorgen geplagten Männern auf besonders furchtbaren Boden fallen.

Die FPÖ weckt eine Angst vor quasi allem - insbesondere vor der EU und Ausländern - und kanalisiert diese nach wie vor auf erschreckend perfekte Weise. Dazu kommt, dass sie am authentischsten ihre Zielgruppe der jungen Männer bedient. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist als Partytiger bekannt, der auf ausgedehnten Streifzügen durch die Wiener Diskotheken die Kernklientel der FPÖ direkt anspricht.

Dabei ist er nicht allein: Gemeinsam mit seiner Entourage, wie etwa dem 37-jährigen Obmann des Wiener FPÖ-Landtagklubs, Johann Gudenus, verfügt er über ein Team, dem diese Mischung aus Party und Politik glaubhaft abgenommen wird.

Dass eine solch offensive Anbiederung an junge Wähler auch gründlich danebengehen kann, hat Sebastian Kurz im Wiener Landtagswahlkampf 2010 eindrücklich bewiesen: Mit einem zum "Geil-o-mobil" umfunktionieren SUV tourte der damals 23-jährige ÖVP-Kandidat durch die Bundeshauptstadt und warb um die Stimmen der Jugend.

Die Strategie ging nicht auf, die ÖVP stürzte von 19 auf 14 Prozent ab, Kurz selbst kam dennoch in den Landtag und machte Karriere. Heute ist der 27-Jährige nach einer Zwischenstation als Integrationsstaatssekretär österreichischer Außenminister.

Eklatanter kann der Unterschied nicht sein: Auf der einen Seite partyaffine Oppositionspolitiker, die seit Jahren systematisch auf Discotouren mit jungen Wählerschichten gehen und gegen "die da oben" wettern, auf der anderen Seite ein 27-jähriger Außenminister, der im politischen Establishment angekommen ist. Klarer können die Linien eigentlich nicht gezogen sein; was besser ankommt, zeigen die Zahlen.

Holpriger EU-Wahlkampf

Der Erfolg der FPÖ basiert prinzipiell nicht auf Inhalten, sondern auf Protest. Mit diesem Konzept ist die Partei auf bestem Wege, bei den nächsten Nationalratswahlen zur stärksten Partei aufzusteigen. Bei der Europawahl am 25. Mai wird man vermutlich nicht so glorreich abschneiden, obwohl die Partei auf nationaler Ebene im Aufwind ist.

Das hat einerseits mit dem ehemaligen FPÖ-Spitzenkandidaten und EU-Abgeordneten Andreas Mölzer zu tun, der aufgrund unsäglicher Rülpser ("Negerkonglomerat EU") und rassistischer Ausfälle gegenüber dem österreichischen Nationalspieler und FC-Bayern-Kicker David Alaba ("pechrabenschwarzer Wiener") für einen Skandal sorgte und mittlerweile von der FPÖ-Liste entfernt wurde.

Andererseits ist die EU-Wahl für die FPÖ generell uninteressant, weil man der ungeliebten EU nicht zu viele Ressourcen widmen möchte. Entsprechend lustlos, inhaltsleer und ermüdend sind die immer gleichen Protestparolen der FPÖ auch diesmal: "Österreich zuerst - dann die EU", "Österreich denkt um - zu viel EU ist dumm" oder "Türkei nicht dabei".

Arbeitet der Wurst-Faktor gegen die FPÖ?

Seit dem 11. Mai 2014 muss auch noch ein anderer Aspekt berücksichtigt werden: Conchita Wurst. Die österreichische Songcontest-Gewinnerin wirbelt momentan das Land durcheinander und es ist unabsehbar, welche Wirkung dies in den kommenden Wochen und Monaten im immer noch wertkonservativen Österreich entfalten wird.

Mit ihren drei Minuten in Kopenhagen hat sie jedenfalls mehr zur Beantwortung der Frage beigetragen, wofür Europa steht als alle österreichischen Parteien im Laufe des EU-Wahlkampfes. Das spürt auch die FPÖ. Heinz-Christian Strache war im Vorfeld des Song-Contests einer der schärfsten und unflätigsten Kritiker von Conchita Wurst, mittlerweile hat auch er zu Kreuze kriechen müssen und ihr zum Sieg gratuliert. Das muss wehgetan haben.

Auf der einen Seite also "die Wurst" (so nennen wir Österreicher die ESC-Siegerin), auf der anderen Seite eine (vorerst) immer stärker werdende FPÖ - geht das überhaupt zusammen? Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirkt, ist bei näherer Betrachtung nicht so unerklärlich: Die Wurst wurde vom staatlichen Fernsehen ORF ohne Vorentscheid nach Kopenhagen geschickt, während die FPÖ ihre Erfolge an den österreichischen Urnen holt.

Per "Volksentscheid", also durch die Abstimmung der Zuschauer, wäre die Wurst 2014 wohl nicht nach Dänemark geschickt worden - 2012 scheiterte dieser Versuch bereits. Von Conchitas Teilnahme und dem Sieg sollte man daher tunlichst keine Rückschlüsse auf die Toleranz Österreichs ziehen. Doch was nicht ist, kann ja noch werden.

Die FPÖ hat jedenfalls ein Feindbild weniger, gegen das sie agitieren kann. Wenn man so will, arbeitet das "Momentum" im Wahlkampf ziemlich gegen die rechte Angst- und Protestpartei. Aber das kann schnell wieder drehen. Auch die Wurst kann nicht ersetzen, was die jahrzehntelang regierenden Großparteien verabsäumt haben: Nämlich mit klaren Statements und politischen Positionen der Angstpartei das Wasser abzugraben. Die FPÖ kann auf der Klaviatur des Populismus nur deshalb so gut spielen, weil die Regierungsparteien nicht fähig sind, den Takt und damit die Musik vorzugeben.

In der Europapolitik würde das vor allem bedeuten, das Spiel zwischen gutem Mitgliedsstaat und böser EU endlich zu beenden und die komplexen Entscheidungen in Europa auch wirklich zu erklären. Weniger Innenpolitik, dafür mehr Diskussionen über europäische Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, Datenschutz, Energie- und Sicherheitspolitik oder das Handelsabkommen mit den USA. Dazu braucht es jedoch Mut, Ehrlichkeit und ein klares Commitment, um eine wirkliche Trendwende im Umgang der österreichischen Politik mit Europa zu bewirken. "Rise like a Phoenix" wäre hierzu vielleicht ein gutes Motto.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung. Bis zur Europawahl Ende Mai werden in der Serie junge Europäer zu Wort kommen - streitbar, provokativ und vielfältig.

Der Österreicher Thomas Baumgartner, 28, arbeitet als Assistent des Rektors an der Universität Innsbruck und ist dort für Strategiefragen zuständig. Er hat in Innsbruck sowie Wien ein Diplom- und Doktoratsstudium der Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Europäische Integration abgeschlossen.

An English version of the text will soon be available at the website of FutureLab Europe.

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