Lambsdorff im Europawahlkampf:Trümmermann der FDP

Bundesparteitag der FDP

Unaufgeregt und nachdenklich: Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Spitzenkandidat bei der Europawahl

(Foto: dpa)

Die FDP dümpelt in Umfragen bei drei bis vier Prozent. Aber Europa-Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff wehrt sich gegen die Vorstellung, dass die Zeit der liberalen Partei vorbei sei. Und im Vergleich zu anderen führenden Liberalen hat er einen Trumpf.

Von Stefan Braun, Düsseldorf/Berlin

Wenn es bloß nicht so ins Bild passen würde. Dieser Regen, die vom Wasser durchnässten Schultern, dazu der Wind, der durch die Kleider zieht. Doch an diesem Nachmittag Mitte Mai auf dem Düsseldorfer Heinrich-Heine-Platz liefert das Wetter unerbittlich jene Kulisse, die zur momentanen Lage der FDP wohl am besten passt. Es gießt aus Kübeln, die meisten Leute eilen vorbei. Sie haben wenig Lust und wenig Zeit, sich auf die Wahlkämpfer einzulassen. Wer hier für die Liberalen Stimmen fangen möchte, steht ziemlich im Regen.

So gesehen ist es absolut verständlich, dass sich der kleine Trupp unter ein gelbes Zeltdach rettet und einen garstigen Regenschauer lang Wahlbroschüren Wahlbroschüren sein lässt. Man muss schon ein hartgesottener FDP-Funktionär sein, wenn man jetzt dabei bleibt. Ein älterer Herr, der die Szene eine Weile beobachtet, sagt prompt: "Ich habe euch noch nie gewählt. Aber dass ihr hier ausharrt, dafür werde ich euch diesmal wählen."

Eine Stimme aus Mitleid, eine fürs Durchhalten - dem knappen Dutzend Damen und Herren wird dies herzlich egal sein. Sie nehmen jede Stimme in diesen Zeiten. Sie werden jede einzelne dringend brauchen.

Mittendrin steht Alexander Graf Lambsdorff. Gerade eben hat er eine Verpackungsfirma in Kaarst besucht, gleich wird er nach Aachen zu einer Podiumsdiskussion aufbrechen. Und jetzt gerade ist er durch die Düsseldorfer Straßen-Baustellen gehastet und hat sich schon mehrmals per Handy für seine Verspätung entschuldigt. Lambsdorff eilt von Termin zu Termin, er ist im Wahlkampfmodus, muss bis zum Schluss kämpfen. Er ist Spitzenkandidat der deutschen Liberalen bei der Europawahl am Sonntag.

Ruhe bewahren - Nervenstärke zeigen

Doch obwohl das alles andere als einfach ist, obwohl fast alle Trends derzeit gegen die Partei sprechen, steht er hier, in seinem großen, weit schwingenden Lodenmantel, und lächelt freundlich. So wie Lambsdorff auch sonst ein ziemlich freundlicher Mensch ist. Bekannt wurde er vor allem, weil er der Neffe von Otto Graf Lambsdorff ist. Ausgebildet wurde er als Diplomat.

Aber nun sitzt er schon seit zehn Jahren im Europaparlament und hat sich dort einen Namen erarbeitet. Und das nicht, weil er ein Lautsprecher à la Westerwelle wäre. Er ist ein unaufgeregter, nachdenklicher Typ. Das allein schon unterscheidet ihn von jenen, die im vergangenen Jahr die FDP in ihr größtes Wahldebakel geführt haben.

Vielleicht erklärt sich auch daraus, dass Lambsdorff in einer kleinen Kaffeepause ganz ruhig bleibt auf die Frage, ob die FDP nach allem, was 2013 passierte, nicht schlicht und einfach tot ist. Tot als Marke und sterbend als Partei. "Nein", antwortet er, "ich glaube das einfach nicht." Umfragen zeigten, dass jeder Vierte sich vorstellen könnte, eine liberale Partei zu wählen. Das sei doch eine gute Grundlage. "Wir müssen jetzt einfach Ruhe bewahren."

Ruhe bewahren. So hat das jüngst auch Parteichef Christian Lindner an alle Führungskräfte der Partei geschrieben. Der Kampf um die Rückkehr verlange "große Nervenstärke". Mindestens damit dürfte er wohl recht haben. Denn die Lage für die FDP ist seit sieben Monaten nicht wirklich besser geworden. Sie rangiert in Umfragen bundesweit noch immer bei drei bis vier Prozent; Tendenz: stagnierend.

Entsprechend groß ist schon die Freude, wenn sie wie jüngst in Nordrhein-Westfalen auch mal auf fünf Prozent klettert. Intern hat Lindner kürzlich erklärt, es dauere eben sehr lange, bis sich in den Köpfen der Menschen ein neues Bild von der FDP festsetze. Bislang ist da wenig vorangegangen. Wenn es überhaupt klappt.

Lehrstunde für Lambsdorff

Dabei wird der FDP überall gesagt, was zu tun wäre. Beispielsweise bei dem Unternehmensbesuch in der Verpackungsfirma. Lambsdorff sitzt mit dem alten Patriarchen und den beiden Juniorchefs beim Kaffeetrinken. Es dauert keine zehn Minuten, bis ihm die Herrschaften erklären, was im vergangenen Jahr alles falsch lief. "Wissen Sie", erklärt der Juniorchef, "wenn wir hier irgendetwas machen, dann fragen wir uns immer zuallererst: Was möchte der Kunde? Das hat die FDP völlig vergessen." Lambsdorff nickt, er versteht, er weiß, was gemeint ist.

"Außerdem", der junge Mann macht weiter, "haben wir als eines der ersten Dinge hier gelernt, dass man niemals vor Dritten Kritik übt. Wenn ich einem Mitarbeiter was sagen will, dann nehme ich ihn beiseite. Aber die FDP hat auf offener Bühne gestritten. Das kann nicht wahr sein." Lambsdorff nickt wieder. Er versteht. Er weiß auch jetzt, was gemeint ist.

"Und ich will", sagt die Juniorchefin, "dass die FDP endlich wieder für Inhalte eintritt. Für die Interessen von Familienunternehmen. Nicht für Lobbys und Banken." Lambsdorff lächelt. Er versteht. Er kann den beiden nur recht geben. Was soll er auch sonst tun? Hier wird ihm, freundlich im Ton, klar in der Sache, einfach nur der Spiegel vorgehalten. Solche Lehrstunden hat er seit Wochen immer wieder erlebt. Immerhin schafft es Lambsdorff hier, dass die drei Verpackungsexperten seinem Versprechen, er habe es kapiert, auch wirklich Glauben schenken.

Das freilich hat einen Grund. Während Lambsdorff sich den Ärger anhören muss, fällt auf, dass der sich gegen seine Partei, aber nicht gegen ihn richtet. Es ist, als würde er nicht wirklich dazugehören. Lambsdorff muss das Debakel ausbaden, aber er wird nicht persönlich damit verbunden. Er ist in den vielen Geschichten über das Versagen und das Wahldesaster im vergangenen Jahr einfach nicht vorgekommen.

Überparteiisches Lob

Selten war es so angenehm, dass Straßburg und Brüssel weit weg sind von der deutschen Hauptstadt. Und dann hat ihm auch noch Pech geholfen: Ausgerechnet an dem Tag, an dem die FDP aus dem Bundestag flog, hatte er sich beim Fußballspielen so verletzt, dass er in den Tagen danach nicht ins Flugzeug steigen durfte. So blieb er im Verborgenen, als in Berlin Trümmer geräumt wurden.

Jetzt gelobt er im Namen seiner Partei Besserung und schildert, warum er die EU-Kommission verkleinern möchte, warum die FDP die Öko-Design-Richtlinie unbedingt abschaffen will und trotzdem nicht alle Richtlinien aus Brüssel schlecht findet. Die drei lauschen höflich. Wirklich überrascht aber sind sie erst, als Lambsdorff von Edmund Stoiber schwärmt.

Eigentlich dürfe er das öffentlich gar nicht sagen, sagt Lambsdorff augenzwinkernd, aber der Ex-CSU-Chef sei völlig in Ordnung, als Bürokratiebeauftragter der EU-Kommission sogar klasse: engagiert, bemüht, offen und sogar humorvoll. Jetzt staunen die drei Familienunternehmer. Dass ein Politiker über den Politiker einer anderen Partei positiv redet, haben sie für unmöglich gehalten. Nicht ausgeschlossen, dass ihm das drei Stimmen bringt.

Zurück unters Zeltdach, es regnet noch immer. Da berichtet einer der Wahlkämpfer, er sei gerade einer Gruppe von Jugendlichen begegnet. Einer von denen habe ihn gefragt, ob er denn wirklich in der FDP sei und für die Partei tatsächlich kandidiere. Als er beides mit Ja beantwortet habe, hätte der Jugendliche nur gesagt: "Wow, so einem bin ich ja noch nie begegnet." Die Wahlkämpfer lachen. Auch Galgenhumor kann manchmal gut tun.

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