ZDF-Mystery-Thriller "Die Toten von Hameln":Rätselhafte Überdosis

Die Toten von Hameln

In dem ZDF-Thriller "Die Toten von Hameln" wird Johanna (Julia Koschitz) von den Bildern ihrer Vergangenheit eingeholt.

(Foto: Britta Krehl)

In "Die Toten von Hameln" merkt auch der Dümmste nach wenigen Minuten, dass es in Hameln nicht mit rechten Dingen zugeht. Die Story dreht sich um ungute Vergangenheit, um Wahn und Geheimnisse. Am Ende wirken alle Figuren ein bisschen irre - nur die eigentlich Irre nicht.

Von Hans Hoff

Es ist ja schon so etwas wie eine Wohltat, wenn ein deutscher Fernsehfilm mal ohne das übliche Krimigewese auskommt. Kein Kommissar, der gleich am Anfang zur Leiche gerufen wird, keine Fragen der Sorte "Wo waren Sie gestern Abend zwischen 21 und 23 Uhr?". "Mystery-Thriller" hat das ZDF stattdessen unter den Titel Die Toten von Hameln geschrieben. Das hätte nicht sein müssen, denn dass an und in den Berghängen rund um Hameln nicht alles mit rechten Dingen zugeht, merkt auch der Dümmste bereits nach wenigen Minuten.

Düster dräuen die Wolken am grauen Himmel, die dunklen Bäume biegen sich bedrohlich, und die Menschen vor Ort verhalten sich alle ein bisschen sehr seltsam. Hat man das gesehen, möchte man in Hameln und Umgebung nicht mehr tot überm Zaun hängen. Man kennt ja die Story vom Rattenfänger, der einst erst das Ungeziefer und dann die Kinder aus der Stadt flötete und im Berg verschwinden ließ.

Da ahnt man rasch, dass es den Mädchenchor, der zu einem Gastspiel anreist, böse erwischen wird. Bei einer Wanderung verschwinden mehrere Mitglieder in einer Höhle, und auch der zur Suche ausgesandte Organist der Truppe ist plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Da wird der Chorleiterin Johanna prompt Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht vorgeworfen.

Immer wieder taucht ein toter Mann auf

Natürlich stammt Johanna, die zusätzlich noch von Wahnvorstellungen geplagt wird, aus der Gegend. Sie kehrt zurück in eine Vergangenheit, die sie hinter sich gelassen wähnte, die sie nun aber wieder einholt. Immer wieder taucht vor ihrem Auge ein toter Mann auf. Und verschwindet wieder. Sie solle doch besser ihre Tabletten dagegen nehmen, mahnt ihre Tante. Die wohnt mit Johannas Vater, der sehr ausdauernd sehr sonderbar schaut und sich auch so verhält, in einem düster knarzenden Haus. Als Johanna ihn um Hilfe bittet wegen der verschwundenen Kinder, bekommt sie eine Abfuhr, weshalb sie sich an ihren früheren Freund wendet, der inzwischen Revierleiter bei der Polizei ist.

Es geht in diesem Film viel um Rückblicke in eine ungute Vergangenheit, um Wahn und Geheimnisse und darum, dass man nicht mehr glauben mag, was man sieht. Die Autorinnen Annette und Christiane Hess haben dazu eine verschachtelte Geschichte geschrieben, die dem Regisseur Christian von Castelberg offenbar zu kompliziert erschien, um sie dem auf 08/15-Krimis abonnierten ZDF-Publikum einfach so zumuten zu können. Deshalb wird das Mysteriöse kurzerhand in visueller Überdosis serviert. Die Wolken, die Bäume, die Berge, die Höhlen, die Menschen, alle haben sie etwas zu verbergen. Alle wirken ein bisschen irre, besonders die vom Wahn geplagte Johanna. Man ahnt indes sehr bald, dass alle irre sind, nur die Irre nicht.

Julia Koschitz spielt diese Johanna sehr tapfer. Sie kann gut diesen bedrohten Blick aussenden, kann die schmalen Schultern zusammenziehen und sich als Opfer inszenieren. Aber gegen die Überinszenierung kommt sie nicht an. Da geht auch Bjarne Mädel, der ihren Polizeifreund spielt, gnadenlos unter. Selbst der gestandene Matthias Habich hat als Johannas undurchsichtiger Vater nicht den Hauch einer Chance.

Man ahnt am Ende, wie gut die Geschichte hätte funktionieren können, wenn man mit ein bisschen mehr Vertrauen an sie herangegangen wäre, wenn man das Mysteriöse langsam aus dem Normalen heraus entwickelt und nicht gleich zu Anfang marktschreierisch verschleudert hätte. Wer dem Publikum aber nichts mehr zutraut, macht den Zuschauer zum eigentlichen Opfer. Dieses Opfer liegt dann da, es kommt der handelsübliche ZDF-Kommissar und fragt: "Was haben wir denn?" Antwort: "Großen Mist."

Die Toten von Hameln, ZDF, 20.15 Uhr

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