Flutkatastrophe auf dem Balkan:Hochwasser spült Landminen frei

Flooding in Bosnia

Bosnische Soldaten bringen in der Stadt Bosanski Šamac, 250 Kilometer von Sarajevo entfernt, Menschen mit Schlauchbooten in Sicherheit. Doch die Fluten sind nicht die einzige Gefahr.

(Foto: dpa)

Es ist die schlimmste Flutkatastrophe auf dem Balkan seit Beginn der Wetteraufzeichnungen: In Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien sind fast eine Million Einwohner vom Hochwasser betroffen. Dutzende Menschen sind bereits ums Leben gekommen. Und selbst wenn das Wasser abzieht, drohen neue tödliche Gefahren.

Von Florian Hassel, Belgrad

Es ist nicht allein das Wasser, das für die Menschen auf dem Balkan dieser Tage tödlich sein kann. Die Fluten und Erdrutsche haben an vielen Stellen Bosniens Warnschilder und Minen aus den zuvor sorgsam kartierten Feldern gespült: Wie viele Sprengkörper es sind und ob sie durch die reißenden Wasser nicht nur Bosnien gefährden, sondern durch Flüsse wie Sava und Donau auch weiter nach Serbien gespült werden, das weiß noch niemand.

Es war eine Warnung, die zunächst nur von Experten beachtet wurde, als Ende Januar 2014 Minenräumspezialisten in Sarajevo Bilanz zogen. Nach Ende des Krieges in Bosnien und Herzegowina, so Goran Zdrale vom Minenaktionszentrum (MAC), sei nur ein Drittel der tödlichen Last geborgen worden, welche während des Krieges von 1992 bis 1995 verlegt worden war. Noch immer lägen an 9400 Stellen in Bosnien etwa 120 000 Minen im Boden und bedrohten über eine halbe Million Menschen, hieß es. Zuletzt waren in den ersten Januarwochen 2014 drei Bosnier auf solche Sprengstofffallen getreten - sie starben. Es waren die letzten von 600 Minenopfern seit Ende des Krieges. Das langsame Tempo der Beseitigung, nun droht es sich weiter zu rächen.

"Dort, wo das Wasser bereits zurückgegangen ist, beginnen unsere Spezialisten gerade erst mit der Bestandsaufnahme", sagt eine MAC-Mitarbeiterin. Die Minen sind nur eines der Probleme, mit denen Retter und Bevölkerung in Bosnien, Kroatien und Serbien bei der andauernden Hochwasserkatastrophe zu kämpfen haben: Immer noch warten Tausende Menschen auf ihre Rettung oder wenigstens auf Trinkwasser, Strom oder Lebensmittel. Hilfsorganisationen warnen vor dem Ausbruch von Typhus und anderen Krankheiten. Und auf das Hochwasser folgen vielerorts Erdrutsche.

Energieproduktion in Serbien ist eingebrochen

In Bosnien haben schon jetzt mehr als 2000 Muren Tausende Häuser, dazu Straßen, Brücken und Eisenbahnlinien zerstört. Aus der Umgebung von Sarajevo, Zenica, Tuzla, Zvornik oder Bratunac wurden immer neue Schlammlawinen gemeldet, Tausende Menschen sind seit Tagen auf der Flucht. Auch die Zahl der Todesopfer steigt rasch. In Bosnien starben bisher mindestens 30 Menschen, in Serbien dürften die am Montag bestätigten 19 Toten wohl nur der Anfang sein. Insgesamt sollen bis zu einer Million Menschen von der schlimmsten Hochwasserkatastrophe auf dem Balkan seit Beginn regelmäßiger Wetteraufzeichnungen vor 120 Jahren betroffen sein.

In Serbien hat das Hochwasser vor allem in den beiden größten Flüssen Sava und Donau seinen Höhepunkt noch gar nicht erreicht - dies ist dem staatlichen Wetterdienst zufolge frühestens am Freitag der Fall. Zumindest in Belgrad soll der Damm aus Sandsäcken schon stehen, 50 000 weitere liegen bereit. Ob die Dämme den steigenden Wassermassen standhalten, wird sich wohl erst in der zweiten Wochenhälfte zeigen. Obwohl in Serbien Zehntausende Menschen schon in Sicherheit gebracht wurden und die Evakuierungen am Montag vor allem in Dörfern um die bedrohte Stadt Šabac weitergingen, warten in zahlreichen von der Außenwelt abgeschlossenen Orten noch viele auf ihre Rettung. Der Bürgermeister des Örtchens Smederewska Palanka etwa sagte dem Radiosender B92, allein in seinem Ort seien 400 Menschen seit fünf Tagen ohne Lebensmittel und Trinkwasser. Eine Bürgergruppe versuche nun, den Eingeschlossenen mit Schlauchbooten Hilfe zu bringen.

Die serbische Regierung unter dem erst vor wenigen Wochen ins Amt gewählten Premierminister Aleksandar Vučić versucht derzeit verzweifelt, die Stromversorgung Serbiens aufrechtzuerhalten - schon jetzt ist die Energieproduktion wegen des Hochwassers um 40 Prozent gesunken. Serbien muss Strom aus Bosnien und Montenegro zukaufen.

Merkel verspricht unbürokratische Hilfe aus Deutschland

10 000 Soldaten und Tausende Freiwillige versuchen mit Dämmen und Pumpen das neben dem vom Hochwasser besonders stark getroffenen Ort Obrenovac liegende Kohlekraftwerk Nikola Tesla, 30 Kilometer südwestlich von Belgrad, vor der Überflutung zu bewahren. Nikola Tesla produziert die Hälfte des Stroms in dem Sieben-Millionen-Einwohner-Land. Auch eine nahe Kohlegrube ist von der Überschwemmung bedroht. Östlich von Belgrad versuchen Hunderte Soldaten und Helfer, das (ein weiteres Fünftel des Stroms liefernde) Kraftwerk Kostolac vor den Fluten des Mlava-Flusses zu retten, die bereits bis auf einen Kilometer an das Kraftwerk heranreichen.

Auch vor dem Kohlekraftwerk Kolubara, südwestlich von Belgrad, ist das Technische Hilfswerk mit Großpumpen im Einsatz. Allein hier entstand durch Überflutung von Kohlevorräten und ein Feuer bereits ein Schaden von gut 100 Millionen Euro - ein Vorgeschmack auf wahrscheinlich milliardenschwere Kosten, die auf Serbien und das noch ärmere Bosnien zukommen könnten. Allein in Serbien sind Hunderte Quadratkilometer Ackerland vom Hochwasser überflutet und unzählig viel Vieh ertrunken. Ähnliches gilt für Bosnien - ein schwerer Schlag für beide Länder, in denen der Export von Agrargütern eine große Rolle spielt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach Serbien und Bosnien per Telegramm die schnelle und unbürokratische Hilfe Deutschlands. EU-Kommissarin Kristalina Georgijewa sagte, Serbien habe als EU-Beitrittskandidat Anspruch auf bis zu einer Milliarde Euro aus dem Nothilfefonds der Europäischen Union. Im Fall Bosniens, das keinen Kandidatenstatus hat, werde sicher bald eine andere Möglichkeit der Hilfe gefunden. Schon jetzt sind in Serbien und Bosnien etwa 450 Helfer aus acht EU-Ländern und weitere aus Russland im Einsatz.

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