Erste Mutterkreuzverleihung vor 75 Jahren:Schlachtfeld deutscher Frauen

Ob aus Überzeugung oder gesellschaftlichem Druck: Viele Frauen warteten ungeduldig auf die Verleihung des vom Hitler-Regime eingeführten Mutterkreuzes. Wer das NS-Ehrenzeichen nicht erhielt, musste mit teils gravierenden Folgen rechnen.

Von Barbara Galaktionow

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Ob aus Überzeugung oder gesellschaftlichem Druck: Viele Frauen warteten ungeduldig auf die Verleihung des vom Hitler-Regime eingeführten Mutterkreuzes. Wer das NS-Ehrenzeichen nicht erhielt, musste mit teils gravierenden Folgen rechnen. "Den ersten, besten und ihr gemäßesten Platz hat die Frau in der Familie, und die wunderbarste Aufgabe, die sie erfüllen kann, ist die, ihrem Volk Kinder zu schenken." Propagandaminister Joseph Goebbels machte schon 1933 deutlich, was sich das NS-Regime von "seinen" Frauen erwartete. Als sichtbares Zeichen des Mutterkults führte Adolf Hitler das "Ehrenkreuz der deutschen Mutter" ein. Am Muttertag des Jahres 1939, dem 21. Mai, wurde es zum ersten Mal verliehen. Im Bild: Verleihung des Mutterkreuzes an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität im Jahr 1941

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Das Mutterkreuz gab es in drei Stufen, ähnlich wie militärische Auszeichnungen. Bronze erhielten Mütter mit vier oder fünf Kindern, Silber gab es für sechs oder sieben Kinder und Gold für acht oder mehr. Keineswegs zufällig ähnelte das Mutterkreuz einer anderen Auszeichnung: dem Eisernen Kreuz, mit dem Soldaten geehrt wurden. Im Bild: Mutterkreuz in Gold, in blau-weißer Emaille mit goldenem Strahlenkranz

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Konnten Männer sich das Eiserne Kreuz im Kriegseinsatz für "Tapferkeit vor dem Feind" verdienen, hatten Frauen mit der Mutterschaft ihr ganz eigenes "Schlachtfeld", wie es Adolf Hitler nannte. Und so wurde - ähnlich wie der Soldat - auch die kinderreiche Mutter für ihren Einsatz von "Leib und Leben " ausgezeichnet, wenn sie diesen auch nicht im Kampf zeigte, sondern bei der Geburt und der "Aufzucht" ihres Nachwuchses. Jeder Bürger sollte an der ihm gemäßen Stelle zum Erhalt des Hitler-Regimes und des deutschen Volkes beitragen. Im Bild: Ehepaar Reichel aus Erdmannsdorf in Sachsen mit seinen zwölf Kindern, Mutter mit Mutterkreuz, Vater in Parteiuniform, Söhne sind Soldaten oder gehören dem Reichsarbeitsdienst oder der Hitlerjugend an.

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Allein viele Kinder zu haben, reichte jedoch nicht aus, um sich für die Verleihung des NS-Ehrenzeichens zu qualifizieren. Die Frauen mussten eine Reihe weiterer Kriterien erfüllen, die von mehreren staatlichen Stellen geprüft wurden. Ganz im Sinne der Rassenlehre mussten sie nachweisen, "deutschblütig" und "erbtüchtig" zu sein - was aufgrund der Pseudowissenschaftlichkeit dieser Disziplin ebenso einfach wie schwierig sein konnte. Und sie mussten der Auszeichnung "würdig" sein, durften also nicht durch sozial abweichendes oder unerwünschtes Verhalten aufgefallen sein. Im Bild: Mutterkreuzverleihung in Berlin 1942

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Ob sie für das Mutterkreuz vorgeschlagen wurden, konnten sich Frauen nicht aussuchen - und damit auch nicht, ob ihr Leben von staatlichen Stellen unter die Lupe genommen wurde. Gerade zur Einführung der NS-Auszeichnung meldeten lokale Parteimitglieder oder Vertreter des Staates nahezu alle Frauen mit vier oder mehr Kindern den zuständigen Stellen. Grundsätzlich wurde so gut wie jede Frau, die den rassischen Kriterien entsprach und eine ausreichenden Kinderzahl aufwies, mit dem Mutterkreuzantrag konfrontiert, schreibt die Soziologin Irmgard Weyrather in ihrem Standardwerk zum Thema (Muttertag und Mutterkreuz. Der Kult um die "deutsche Mutter" im Nationalsozialismus). Im Bild: Mutterkreuzverleihung in Berlin 1943

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Sei es eigene Überzeugung, sei es gesellschaftlicher Druck - viele Frauen warteten sehnlichst darauf, dass auch ihnen endlich das Mutterkreuz verliehen werde. Davon zeugen schriftliche Nachfragen und Bitten an die Behörden. Und gerade zur Einführung der neuen Auszeichnung konnte das länger dauern. Mit dem Mutterkreuz war ein enormer Aufwand verbunden. So sahen sich die Behörden vor dem Muttertag des Jahres 1939 mit mehr als fünf Millionen Anträgen konfrontiert. Am ersten Termin wurden daher zunächst auch nur Mütter ausgezeichnet, die älter als 60 waren. Die allererste Frau, die das "Ehrenkreuz der Deutschen Mutter" in Gold erhielt, war die 61-jährige Münchnerin Louise Weidenfeller, Mutter von acht Kindern. Im Bild: Mutterkreuzverleihung an eine ältere Frau im Jahr 1942

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Viele zeigten sich froh und erleichtert, wenn auch ihnen endlich das offizielle Signum der guten, arischen Mutter verliehen worden war. Denn wem das Mutterkreuz vorenthalten wurde, der war gesellschaftlich stigmatisiert. Mütter, die selbst oder deren Umfeld in irgendeiner Weise auffällig geworden waren, wurden als "erbkrank" oder "asozial" abgestempelt. Neben körperlichen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen konnte Frauen die Vernachlässigung ihrer Kinder ebenso negativ angerechnet werden wie die häufige Inanspruchnahme staatlicher Leistungen oder auch Rauchen. Da hier biologische und gesellschaftliche Faktoren in kruder und völlig willkürlicher Weise miteinander vermengt wurden, war es den Frauen kaum möglich, die Vorwürfe zu entkräften. Die Folgen konnten bedrohlich sein: Wie Irmgard Weyrather zeigte, ging es nicht allein um einen Ansehensverlust, sondern Frauen ohne Mutterkreuz konnten auch bestimmte Leistungen vorenthalten werden, zum Beispiel die Kinderbeihilfe, oder ihnen drohte sogar die Zwangssterilisation. Im Bild: Ausgezeichnete Mutter in Berlin 1942, mit Kinderwagen und begleitet von Sohn und Tochter in Uniformen der Parteiorganisationen

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Erhalt des Mutterkreuzes, ja oder nein - das war für die Frauen unter dem NS-Regime also beileibe keine harmlose Frage. Auch sich dagegen zu wehren, war Frauen, die mit der NS-Ideologie nicht übereinstimmten, kaum möglich. Insgesamt sollen etwa zehn Millionen Frauen mit dem Emblem ausgezeichnet worden sein. Im Bild: Mutterkreuzverleihung in Berlin 1941

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