Atomkraft in Bayern:Ausweitung der Schutzzone

CSU peilt Atomausstieg 2022 an

Das Kernkraftwerk Isar nahe dem niederbayerischen Landshut.

(Foto: dpa)

2022 läuft die Zeit für die letzten Atomkraftwerke in Bayern ab. Vorher soll der Katastrophenschutz für den Fall eines Atomunglücks stark reformiert werden. Der logistische Aufwand für die Umplanungsarbeiten ist immens.

Von Wolfgang Wittl

Viele erfreuliche Nachrichten hatte die deutsche Atomindustrie zuletzt nicht zu vermelden, diese jedoch gehörte aus ihrer ureigenen Sicht dazu: Drei der weltweit vier produktivsten Kernkraftwerke stehen in der Bundesrepublik - mit Isar 2 zum wiederholten Mal an der Spitze. Mehr als zwölf Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt der Druckwasserreaktor nahe Landshut, aber auch das bewahrt ihn nicht davor, dass er spätestens Ende 2022 abgeschaltet wird. Acht Jahre also, in denen sich nicht mehr viel tut?

Alfons Völk muss schmunzeln, wenn er so etwas hört. Völk ist in der Regierung von Niederbayern für das Sachgebiet Sicherheit und Ordnung zuständig, deshalb wird Isar 2 ihm und seinem Stab voraussichtlich bald eine Menge Arbeit bescheren. Denn seit die Strahlenschutzkommission als Folge der Katastrophe von Fukushima unlängst ihre Empfehlungen vorgestellt hat, zeichnet sich ab, dass der Katastrophenschutz für den Fall eines schweren Atomunglücks gründlich reformiert wird. Entscheiden müssen die Innenminister der Bundesländer, ihre Zustimmung gilt als wahrscheinlich. Für Beamte wie Völk bedeutet das Umplanungsarbeiten von mindestens einem Jahr.

Auch Landshut, Vilsbiburg und Dingolfing wären nun betroffen

Der logistische Aufwand ist immens: Bislang sind es etwa 40 000 Menschen, die im Umkreis von Isar 2 binnen 24 Stunden möglicherweise in Sicherheit gebracht werden müssen. Künftig sollen es 240 000 sein. Das ergibt sich aus der Erweiterung der sogenannten Mittelzone von zehn auf 20 Kilometer. Auch Städte wie Landshut, Vilsbiburg und Dingolfing wären nun betroffen, Alten- und Pflegeheime müssten geräumt werden, Krankenhäuser und zahlreiche weitere Schulen. Und weil auch viele der bisherigen Fluchtpunkte dann in den bedrohten Gebieten liegen würden, bedarf es neuer Anlaufstationen in ganz Bayern.

Acht Aktenordner hat die Regierung von Niederbayern für Notfallszenarien angelegt, es dürften einige mehr werden. Die Polizei, die bei einer Evakuierung den Verkehr regelt, müsste mit einem exponentiellen Anstieg der Kontrollposten rechnen. Hatte sie bislang vielleicht 20 Ausfahrtsstraßen zu kontrollieren, könnten es künftig zehn Mal so viele sein. Einwohner in München, Passau oder Ingolstadt haben sich darauf einzustellen, dass sie sich Jodtabletten beschaffen müssen, weil sie neuerdings in die sogenannte Außenzone fielen.

Inhaltlich sollen die Rettungspläne gleich bleiben, neu ist die Ausweitung der Schutzzonen: "Nicht die Gefährdung hat sich geändert, nur die Bewertung des Risikos", sagt Niederbayerns Regierungspräsident Heinz Grunwald. 1986, während des Unglücks von Tschernobyl, war Grunwald am Landratsamt Starnberg selbst als Katastrophenschützer tätig. Es war die Zeit, als Minister noch glaubten, es reiche, bei einem Atomunglück sein Haupt mit einer Aktentasche zu bedecken.

Heute spielen Katastrophenschützer Jahr für Jahr Notfallszenarien durch, koordinieren Helfer, üben in Schulen und Turnhallen, evakuieren Ortschaften - und stellen sich darauf ein, dass die Menschen im Ernstfall doch ihre ganz eigenen Entscheidungen treffen. Grundsätzlich gilt: zunächst im Haus bleiben, am besten im Keller, Radio einschalten und den Anweisungen der Behörden folgen.

Bei Eon, dem Betreiber von Isar 2, hält man die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission für "inhaltlich nicht gerechtfertigt", wie eine Sprecherin sagt. Mehr Gefahr droht wohl aus dem tschechischen Temelin. Fachleute schließen in Deutschland eine Kernschmelze "nach menschlichem Ermessen" aus, als Worst Case gilt eine kontrollierte Druckentlüftung. Über die Verbreitung der verstrahlten Luft entscheidet schließlich der Wind. Weht er Richtung Landshut, müsste nach den neuen Richtlinien sogar der Krisenstab der Regierung von Niederbayern umziehen.

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