"App - Der Film" im ZDF:Du bist nicht allein

APP

Anna (Hannah Hoekstra) fühlt sich von Iris bedroht.

(Foto: Ray van der Bas)

Es wird geblutet, gestorben und gesplattert, wenn im ZDF-Thriller "App" eine Software ihr zerstörerisches Bewusstsein entwickelt. Wer die Story parallel auf dem Smartphone verfolgt, erhält irgendwann selbst fiese Drohungen.

Von Bernd Graff

Dieser Thriller scheint wie gemacht, um Twitter-Spießern die gute alte German Angst einzuflößen. Er geht damit los, dass eine trist dreinblickende Blondine, die noch nicht allzu lange Twen genannt werden kann, frontal von einem Zug gerammt und in ihre Twenteile zerlegt wird. So kann man ja mal anfangen.

Twitter-Spießer, das als Einschub, sind jene zumeist jungen Menschen, die viel Freude daraus ziehen können, sich jeden Sonntag um Punkt 20.15 Uhr vor die Glotze zu setzen, um den Tatort auf dem "Second Screen" ihres Smartphones über Twitter und Facebook in "Echtzeit" zu verreißen. Es ist ein allsonntägliches Fest der hämisch schlechten Laune und ein Überbietungswettbewerb in teutonischer Witzischkeit. Ein Tütenlampenhorror!

Der in den Niederlanden von 2CFilm produzierte Thriller App unter der Regie von Bobby Boermans (Claustrofobia, 2011), den das ZDF am 26. Mai leider erst um 22.15 Uhr zeigt, kehrt das Verfahren des Second Screen nun gewissermaßen um. Er wendet es gegen den Zuschauer. Was sich liest wie die Rache der Krimi-Autoren an der fürchterlichen Kommentarklientel, ist technisch raffiniert umgesetzt und sorgt während der Ausstrahlung von App für ordentlichen Schauder und manch herbe Überraschung. In Echtzeit!

Synchron interagierende App

Um in den Genuss dieser wirklich verblüffenden TV-Erfahrung zu kommen, muss man sich - tunlichst vorher! - die zur Sendung angebotene App fürs Smartphone installieren. Es gibt sie für alle gängigen Modelle. Wenn man sie zu Beginn der Ausstrahlung startet, spielt der Thriller App nicht mehr nur auf der Glotze, sondern dringt unmittelbar vor bis in die Hand, die den Second Screen hält. Denn hier wird der Zuschauer nicht nur mit den üblichen weiterführenden Informationen zum Film versorgt.

Die App interagiert synchron mit dem Geschehen auf dem Bildschirm. Sie zeigt, was den Protagonisten entgeht, was zeitgleich noch passiert. Etwa, was sich in einem Professoren-Sprechzimmer abspielt, nachdem sich für die Fernsehkamera die Tür geschlossen hat. Man erfährt, wer wen anruft, man liest, welche SMS zwischen wem hin- und hergehen, Erzählstücke, von denen die Helden des Films dann nicht die leiseste Ahnung haben.

Diese Synchronisierung der unterschiedlichen Handlungsstränge zwischen TV und Smartphone gelingt, wenn man der App von App gestattet, auf das Mikrofon des Handys zuzugreifen. Dann hört die App die Sendung für ihre Einstiege ins Geschehen mit. Das gelingt ihr erstaunlich gut. Es ist dann immer ein gruseliger Effekt, wenn sich die stets bedrohlichen und schockierenden Ereignisse des Films auf dem Smartphone mit kurzen Vibrationen in der Hand ankündigen.

Darum geht es: Die Studentin Anna, gespielt von der ziemlich talentierten Hannah Hoekstra, trifft bei einer Wohnheim-Party auf ihren Ex-Freund Tim, verkörpert von dem ebenfalls interessanten Robert de Hoog. Tim ist zu Beginn noch ein sympathischer Superschlaukopf, der nach seinen Abschlüssen in Physik und Informatik nun auch noch sehr erfolgreich Medizin studiert. Er entwickelt gerade eine Software, die das Rückenmark von Gelähmten stimulieren soll, damit diese computergestützt wieder gehen lernen können.

Software mit Destruktionswillen

Dazu hat er sich mit dem verhaltenswahnsinnigen Dr. Carlo zusammengetan, er ist ein "Mad Scientist" aus dem Bilderbuch der Wissenschaftspsychopathen. Dr. Carlo will den Rückenmarkgeschädigten nun einen Chip implantieren, die mit Tims Software bestückt ist. Leider ist Annas Bruder, der nach einem Motorradunfall gelähmte Stiijn, der erste Patient, der Dr. Carlos Wunderchip eingesetzt bekommt. Und leider ist Tims Software ein wenig zu souverän und intelligent ausgefallen: sie ist zu sadistischem Bewusstsein und unbedingtem Destruktionswillen gekommen, sie agiert autonom. Natürlich ist sie ihren Programmierern längst ausgebüxt und hat sich inzwischen wie ein Virus in so ziemlich alles eingenistet, was nicht bei drei den Stecker aus der Steckdose ziehen konnte.

Wenn der Zuschauer also die App zu App herunterlädt, dann installiert auch er sich mutmaßlich diesen bösen Geist auf seinem Smartphone. Mit einem Anagramm in Anspielung auf Apples Spracherkennungssoftware "Siri" nennt sich dieses zuerst hilfreiche Progrämmchen hier "Iris". Sie macht sich als elektrisch pulsierendes Auge bemerkbar. So blitzt sie auf dem Smartphone daheim. Und so bemerkt sie die verkaterte Heldin am Morgen nach der Party auf ihrem Handy. Natürlich kann Anna sich nicht erklären, wie Iris dahin kam, ist aber zunächst ganz angetan von ihren klugen Antworten, die ihr beim Studium der Psychologie und Philosophie sogar ein paar Mal aus der Patsche helfen. Bis Iris dann aber recht bald zu brachialer Vernichtungsgröße aufläuft.

Der Horror beginnt. Doch ist man beim Drehbuchschreiben (Robert A. Jansen) anscheinend so selbstbeglückt gewesen von dem Konzept einer parallel auf TV und Handy laufenden Story, so besoffen von den eindrucksvollen Special-Effects im Film, dass man die Logik der Handlung und die Plausibilität der Figurenzeichnung aus den Augen verloren - nein: eigentlich komplett ignoriert hat.

Zu den lustigsten Schnitzern gehört, dass die ambitionierte Anna irgendwann behauptet, dass sie noch "zwei Kapitel Psycholinguistik auswendig lernen" muss. Psycholinguistik? Auswendig lernen? Wo auf Erden würde so unterrichtet? Und wozu? Auch lustig, dass ein Geschäft gleich explodiert, weil der Inhaber versucht, Iris von einem Handy zu löschen. Sprengstoff war gestern.

Es wird dann - die Twen-Filetierung zu Beginn war kein Zufall - auf Iris' Betreiben ordentlich geblutet, empathiebefreit gestorben und schonungslos gesplattert in diesem Transmedia-Movie, in dem das Logo eines südkoreanischen Smartphone-Herstellers dann doch zu häufig auftaucht, um bloß zufällig ins Bild gerutscht zu sein.

So viel Blut rechtfertigt denn auch die späte Ausstrahlung. Das "Doppel-Feature" des Films vermittelt eine unmittelbare Schauer-Erfahrung. Da wird dem Twitter-Spießer bang und da sind Logiklücken und die Verknäuelung der Handlungsfäden fast wieder wurscht. Wenn das Spektakel dann vorbei ist, erscheint die übelwollende Iris noch einmal auf dem Smartphone des Zuschauers - mit der fiesen Drohung: "Pass auf! Du bist der Nächste." Was soll man nun machen? Wie heißt es so richtig: Dass du paranoid bist, bedeutet ja nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.

App - Der Film, ZDF, 22.15 Uhr; die Anwendung "App - Der Film" gibt es gratis im App-Store.

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