Wahlen in der Ukraine:Sie wollen einen Manager - und Frieden

Wahlen in der Ukraine: Straßenszene in Kiew

Straßenszene in Kiew

(Foto: Hannah Beitzer)

In Kiew strömen die Menschen in die Wahllokale - im Osten zertrümmern sie Urnen. Das Land steckt in der Krise und wählt einen neuen Präsidenten. Was bewegt die Ukrainer?

Von Hannah Beitzer, Kiew

Die Schlange vor dem Wahllokal ist endlos, schon um neun Uhr morgens. Vor allem ältere Menschen und Familien mit Kindern stehen vor der Poliklinik im Zentrum Kiews, die heute als Wahllokal dient. Die Älteren haben sich schick gemacht, die Frauen tragen Perlenketten, die Männer helle Sommeranzüge. Viele der Jüngeren tragen ukrainische Tracht - Kosakenhemden, geflochtene Zöpfe, sogar die Kinder haben ukrainische Flaggen umgebunden.

"Alle können es kaum erwarten, dass die Wahl vorbei ist", sagt Larysa Chovnyuk. Sie arbeitet für die Kiewer Mohyla-Akademie, und geht mit ihrem Sohn zur Wahl. Viele hier in Kiew wollen Poroschenko wählen, die Leute im Wahllokal genauso wie die auf der Straße. Warum Poroschenko? Als hätten sie sich abgesprochen, sagen sie alle dasselbe: "Er ist ein guter Manager, das braucht die Ukraine jetzt." Oder: "Er ist im Ausland anerkannt." Der Taxifahrer antwortet so. Maria, die im Stadtzentrum Ukraine-Flaggen verkauft, antwortet so. Julia, die Bedienung in einem Café in der großen Kiewer Einkaufsstraße Chreschtschatyk. Manche sagen auch schlicht: "Er ist das kleinere Übel."

Kiew wählt auch einen neuen Bürgermeister. Favorit ist der ehemalige Boxer Vitali Klitschko, er kommt mit seinem Bruder zur Wahl in einem Institut nahe des Sportpalasts, schüttelt die Hand eines älteren Mannes, einer jungen Frau. Er lächelt auf diese unbeholfene Art, für die ihn viele während der Proteste auf dem Maidan belächelten. "Das ist ein großer Tag für die Ukraine", sagt er in die vielen Kameras, die ihn begleiten. "Es geht um unsere europäische Zukunft." Klitschko wollte eigentlich einmal selbst als Präsident kandidieren, verzichtete dann jedoch zugunsten von Petro Poroschenko, den seine Partei Udar nun unterstützt.

Heavyweight boxing champion and UDAR leader Klitschko and his wife Natalia prepare to cast their votes at a polling station in Kiev

Vitali Klitschko mit seinem Wahlzettel in Kiew

(Foto: REUTERS)

Anders eine andere prominente Politikerin: Julia Timoschenko tritt gegen Poroschenko an, ist jedoch aller Voraussicht nach chancenlos gegen den wendigen Süßwarenunternehmer, der hier "Schokoladenkönig" genannt wird. Klitschko hat anders als sie erkannt, dass er gegen den Oligarchen keine Chance hat und scheint zufrieden damit, Bürgermeister in Kiew zu werden. Doch viele hier sagen auch: unterschätzt niemals Julia.

Lage im Osten ist außer Kontrolle

Die Krise bringt dem Schokoladenkönig Stimmen. "Ich kenne viele, die eigentlich im ersten Wahlgang für jemand anderen stimmen wollten, und jetzt Poroschenko wählen. Weil sie nicht wollen, dass es noch einen zweiten Wahlgang gibt", sagt Larysa Chovnyuk. Der zweite Wahlgang wäre im Juni - so lange, fürchten viele, hält die Ukraine nicht mehr durch.

Denn im Osten des Landes, in Donezk und Lugansk, haben Separatisten die Macht ergriffen, seit Wochen liefern sie sich Gefechte mit der Kiewer Armee. Sie haben außerdem in einem international nicht anerkannten Referendum über die Unabhängigkeit der Region abstimmen lassen und nennen sich jetzt "Volksrepubliken". Dass die Bürger dort am heutigen Sonntag an der Wahl teilnehmen können, daran glaubt niemand mehr.

In mehreren Städten im Osten haben Separatisten in den vergangenen Tagen Wahlbüros überfallen und Unterlagen gestohlen. Aktivisten und Journalisten stellen Bilder ins Internet, die zeigen, wie prorussische Demonstranten Wahlurnen zertrümmern. Viele Wahlbüros haben Beobachtern zufolge gar nicht erst geöffnet - die Verantwortlichen fürchten um die Sicherheit der Wähler. Die Zentralregierung kann das nicht ändern. Sie hat die Kontrolle über große Teile dieser Gebiete längst
verloren.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat insgesamt 1000 Beobachter zur Wahl in das ganze Land entsandt, dazu kommen noch 400 ukrainische Mitarbeiter. Bereits zum zehnten Mal beobachtet die Organisation eine Wahl im Land. Doch so umfangreich wie dieses Jahr war die Mission noch nie. Doch auch die Präsenz der internationalen Beobachter ändert nichts an der aussichtslosen Lage im Osten. Im Gegenteil, sie sind selbst in Gefahr. Am Samstag wurde dort ein italienischer Journalist getötet.

Ruhe und Frieden in der Hauptstadt

In Kiew hingegen ist alles ruhig. Auf dem Maidan sitzen am Samstagnachmittag vor der Wahl nur noch wenige selbsternannte "Kämpfer" in Tarnkleidung vor den Zelten, die hier immer noch stehen. Andrej zum Beispiel, 20 Jahre alt, blondes, kurzes Haar, braungebrannte Haut. Er kommt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Charkow, sagt er. Und dass er dort schon seit Februar nicht mehr war. "Wählen? Wozu?", sagt er. "Es kommen doch eh immer dieselben an die Macht." Neben ihm sitzt Sein Volodymyr, 43 Jahre alt. Er will für Oleg Tiagnibok von der nationalistischen Partei Swoboda stimmen - "auch wenn der keine Chance hat."

Stand für Stand hat sich die Großstadt in das Protestlager hineingefressen. In einer Reihe stehen Souvenirstände aneinander, die allerhand Nippes verkaufen. Schausteller in Tierkostümen überreden die vorbeischlendernden Familien und Pärchen, sich mit ihnen fotografieren zu lassen. Junge Männer mit modischen Haarschnitten verteilen Flyer für ein Konzert in einem Nachtclub. Irgendwo dudelt "Wind of Change" von den Scorpions aus den Boxen, doch es passt nicht so recht zu der entspannten, wenig pathetischen Frühlingsstimmung auf dem Platz.

Die Menschen auf den Straßen von Kiew wollen keine Revolution mehr. Sie wollen Tierkostüme. Sie wollen Sommerkleider kaufen. Sie wollen Eis essen. Sie wollen einen guten Manager als Präsidenten. Sie wollen Frieden.

Linktipp:

Konservativ, arbeitswütig und kommunikativ: Die Journalistin Katya Gorchinskaya von der Kyiv Post hat Petro Poroschenko im Wahlkampf begleitet - und einige erstaunliche Erkenntnisse gewonnen.

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