Europawahl:Die neue Stärke der SPD

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Martin Schulz (links) und Sigmar Gabriel: Mit ihnen wird Merkel rechnen müssen.

(Foto: AFP)

Energie, Popularität und laute Leidenschaft: Spitzenkandidat Martin Schulz führt die SPD aus der Wüste. Die Partei wird nun eine wichtige Rolle spielen im europäischen Machtkampf. Auch Kanzlerin Merkel muss künftig mit dem Duo Gabriel/Schulz rechnen.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

So viel Anfang. Zum ersten Mal haben die Europäer bei einer Europawahl nicht nur Listen, sondern Gesichter gewählt. Zum ersten Mal haben die Deutschen erlebt, dass ein Deutscher nicht nur in Deutschland, sondern in Europa plakatiert war: der Sozialdemokrat Martin Schulz. Die SPD hat davon profitiert. Zum ersten Mal seit langer Zeit hat sie bei einer EU-Wahl wieder Stimmen gewonnen.

Zum ersten Mal haben die Deutschen einen Europa-Wahlkampf gesehen, der das Wort Wahlkampf ein wenig verdiente. Und zum ersten Mal seit Langem ist wieder zu spüren, dass wenigstens hierzulande das europäische Bewusstsein wächst; es wächst auch deswegen, weil in ganz Europa so viel Europaskepsis und Europafeindschaft marodiert. Das Europa-Bewusstsein ist davon herausgefordert; die Europafreunde schauen mit Sorge auf die Europafeinde in ganz Europa.

Zum ersten Mal werden Anti-Europäer, auch ein paar aus Deutschland, in insgesamt beachtlicher Zahl im EU-Parlament sitzen. Vielleicht wird das Parlament deswegen zum Hexenkessel. Die lässige Langeweile, die man mit der Europawahl und dem Europäischen Parlament bisher (zu Unrecht) verbunden hat, ist vorbei. Europa wird sich exakt dort, wo sein demokratisches Zentrum ist, gegen seine Verächter verteidigen müssen. Das wird anstrengend sein, vielleicht aber auch segensreich.

Es wird mehr Reibung sein im Parlament

Es sitzen neue Parteien aus Deutschland im Parlament. Schuld daran ist nicht nur der Wähler, sondern das Bundesverfassungsgericht. Es hat nämlich jeglichen Filter, jegliche Sperrklausel für die Europawahl verboten. Die AfD allerdings wäre auch ohne Karlsruhe ins Parlament eingezogen; das AfD-Potenzial hätte man allerdings stärker eingeschätzt.

Das neue Parlament hat trotz oder wegen aller Schwierigkeiten die Chance, es allen Ignoranten richtig zu zeigen: Es wird mehr Reibung sein im Parlament. Reibung erzeugt Wärme. Wenn es Wärme für Europa ist, wäre das eine List der Geschichte.

Zum ersten Mal ist der scheinbar unablässige Trend gestoppt - die Wahlbeteiligung sinkt nicht mehr. Zum ersten Mal gehen, in Deutschland jedenfalls, wieder mehr Bürger zur Europawahl. Wenn das nicht nur Folge des Kandidatenduells, sondern auch Folge des Anti-Sperrklausel-Urteils aus Karlsruhe gewesen sein sollte, dann ist dies ein Kollateralnutzen.

Die SPD heißt jetzt Gabriel Schulz

Zum ersten Mal seit Langem hat die SPD in den Europawahlen wieder zugelegt. Seit den Zeiten des SPD-Vorsitzenden Scharping, das ist zwanzig Jahre her, war ein EU-Wahlkampf der SPD schlechter gewesen als der andere. Zuletzt, 2009, war die SPD gar bei schandbaren 20,8 Prozent gelandet. Die SPD war darauf abonniert, Sündenbock-Partei zu sein für jedwede Missstände.

Spitzenkandidat Martin Schulz und ein auf ihn abgestimmter, gut inszenierter Wahlkampf haben die SPD aus der Wüste herausgeführt. Das gelobte Land ist für die SPD zwar noch weit weg; sie liegt noch weit hinter der nun strauchelnden Union zurück; aber es hat sich gezeigt, was laute Leidenschaft eines Kandidaten vermag. Schulz hat diesen Wahlkampf dominiert. Seine Energie und Popularität werden nicht verpuffen, ob er nun Kommissionspräsident wird oder nicht.

Die SPD ist künftig nicht einfach nur Sigmar Gabriel. Sie ist auch Martin Schulz. Die SPD heißt jetzt Gabriel Schulz. Angela Merkel wird mit dieser neuen Stärke und diesem Duo rechnen müssen.

Nun beginnt das große Ringen

Merkel hat im Wahlkampf als die wahre Kontrahentin des SPD-Spitzenkandidaten Schulz firmiert; sie hat Jean-Claude Juncker deutschlandweit in die Ecke stellen lassen. Genutzt hat das der Union nicht, in Bayern wohl eher geschadet. Dort hat die CSU die böse Quittung für ihre billige Europa-Politik bekommen. Merkel hat sich selbst plakatiert und positioniert. Diese Konfiguration wird so bleiben: Sie regiert jetzt nicht nur mit der Gabriel-SPD, sondern auch mit einer Schulz-SPD. Es wird schwerer für sie. Die SPD wird sozialeuropäischer werden.

Der Wahlkampf ist zu Ende; ein anderer Kampf geht weiter, wenn die Wahlergebnisse ausgezählt sind. Zum ersten Mal ist jetzt, wie das der Lissabon-Vertrag formuliert, "im Lichte" des Wahlergebnisses der Präsident der EU-Kommission zu bestimmen. Wenn die EU-Regierungschefs sich über das Votum der Wähler hinwegsetzten, wäre das ein Schlag für das Ansehen der EU. Wer schlägt wen? Es beginnt das große Ringen, der Machtkampf zwischen dem EU-Parlament und den nationalen Regierungen.

Es geht darum, wer die Kommission wie besetzt und wer künftig den Takt der Europäischen Union bestimmt. In diesem Machtkampf hat Deutschland eine zentrale Position. Und in dieser zentralen Position spielt die Gabriel-Schulz-SPD eine zentrale Rolle. Auch das ist etwas Neues.

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