Europawahl im Fernsehen:Aufbrezeln und verstecken

Europawahl 2014 in Deutschland

Theo Koll im ZDF-Wahlstudio: Der Moderator erklärt die ersten Hochrechnungen zur Europawahl.

(Foto: dpa)

ARD und ZDF treiben bei der Berichterstattung über die Europawahl einigen Aufwand, doch in der Primetime wollen sie das Thema nicht setzen. Europa ist zu kompliziert für eine gute Fernseh-Dramaturgie. Zur Unterhaltung trägt dann dennoch ein überzeugter Europäer bei. Der Wahlabend im TV.

Von Paul Katzenberger

Kann es sein, dass sich das Zusammenwachsen Europas an diesem Wochenende am Samstag womöglich besser gezeigt hat als am Sonntag?

Zumindest, was das Fernsehen angeht, ist die provokante Frage durchaus berechtigt. Denn an beiden Tagen gab es ein europäisches Großereignis, über das im deutschen Fernsehen jeweils aber mit unterschiedlicher Gewichtung berichtet wurde: Am Samstag trafen in Lissabon Real und Atlético Madrid aufeinander, um im Endspiel der Champions League die aktuell beste Fußball-Vereinsmannschaft Europas zu ermitteln. Und obwohl das Spiel ohne deutsche Beteiligung auszurichten war, waren knapp siebeneinhalb Millionen Fans in Deutschland über das ZDF live mit dabei, als das madrilenische Stadtderby zur Primetime um 20:45 Uhr angepfiffen wurde.

Was der Fußball-Hype an gegenseitiger Wahrnehmung über europäische Ländergrenzen hinweg schafft, gelingt einer Europawahl aber noch lange nicht, entsprechend fiel die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Anstalten über diesen Urnengang aus. ARD und ZDF waren zwar auch hier oft live mit dabei, doch über weite Strecken nicht in der Hauptsendezeit, die war vielmehr für quotenträchtigere Sendungen wie den "Tatort" (ARD) oder das TV-Liebesdrama "Ein Sommer in Amsterdam" (ZDF) reserviert.

Transparenz statt Kungelei

Dabei war zuletzt kaum ein Ereignis besser geeignet, dem vielbeschworenen Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gerecht zu werden. Denn mit dieser Wahl waren viele Hoffnungen überzeugter Europäer verbunden, typische Kritikpunkte an der EU und ihren Institutionen auszuräumen: Erstmals soll das neu gewählte EU-Parlament den kommenden Präsidenten der EU-Kommission vorschlagen dürfen. Das Volk darf also erstmals sagen, von wem es in Brüssel vertreten wird, und nicht irgendeine Kungelrunde hinter verschlossenen Türen in Brüssel. Wenn das kein Signal gegen die oft kritisierte Intransparenz der EU-Bürokratie ist, das vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen unterstützt und erklärt werden sollte, welches dann?

Mit Martin Schulz und Jean-Claude Juncker hatte dieser Europa-Wahlkampf erstmals zwei Menschen aus Fleisch und Blut, die sich um das höchste EU-Amt bewarben, also jene Personalisierung von der das Fernsehen gewöhnlich profitiert.

Doch noch immer ist Europa viel zu kompliziert, um über TV-Bilder einfach transportiert werden zu können. Das geht schon los mit der Frage, ob denn nun wirklich nur Schulz oder Juncker ins Berlaymont-Gebäude einziehen werden, oder vielleicht doch noch ein ominöser dritter Kandidat, der zwar nicht zur Wahl stand, der womöglich aber doch wieder von irgendwelchen Regierungschefs bestimmt wird. So genau weiß das im Augenblick niemand, weil der Vertrag von Lissabon an dem Punkt offenbar zu schwammig ist, was es der Dramaturgie im Fernsehen nicht unbedingt leichter macht. Abgesehen davon, dass die Parteienfamilien im EU-Parlament eine komplexe Angelegenheit sind, sodass die echten Mehrheitsverhältnisse nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind.

Form ohne Inhalt

Entsprechend vielsagend wirkte die Berichterstattung bei ARD und ZDF, wobei beide Sender durchaus großen Aufwand betrieben: Für die ARD moderierten Michael Strempel und Ellen Ehni vom WDR aus dem weiträumigen E-Werk in Berlin, während das ZDF mit Bettina Schausten und Theo Koll zwei Routiniers des Senders im Alten Telegrafenamt der Hauptstadt an den Start brachte. Sie taten das in einer eindrucksvollen Umgebung: Zwei Tonnen seien extra für die Einrichtung des ZDF-Europawahlstudios bewegt worden, hieß es.

Doch Form ist nicht gleich Inhalt: Schon kurz nach 18 Uhr war zwar klar, dass die Sozialdemokraten mit Martin Schulz in Deutschland deutliche Stimmengewinne feiern durften, doch was genau bedeutet das? Die Sender schalteten ins Willy-Brandt-Haus und fingen eine richtige Euphorie-Welle auf dem Parkett ein, doch als Parteichef Sigmar Gabriel dann endlich reden konnte, ließ der nur die üblichen Floskeln los ("Martin, wir sind stolz, dass du einer von uns bist"), und bevor der eigentliche Hoffnungsträger dann selbst zu Wort kam, schaltete das ZDF schon wieder weg.

In der ARD war Schulz dann zwar zu hören, doch Substanzielles hatte auch er nicht zu sagen, waren die Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament doch längst nicht klar. Ähnlich ging es den Sendern mit Jean-Claude Juncker, den sie auf der Straße stellten. Artig verströmte auch er Siegeszuversicht, doch ob zu Recht oder Unrecht vermochte niemand zu sagen.

Alte populistische "Neuigkeiten"

Da die Kernfrage nicht zu klären war, und sich die Berliner Politprominenz auffällig rar machte - eine ZDF-Konferenzschaltung mit den Generalsekretären oder Geschäftsführern von Union, Grünen und Die Linke war schon das Höchste der Gefühle - schalteten die Sender zwischen ihren aufgebrezelten Berliner Wahlstudios und den verschiedenen Ländern wild hin und her, groß genug dafür ist Europa ja, und auf ein dichtes Korrespondentennetz können beide Sender bekanntermaßen zurückgreifen: Für die ARD meldeten sich Ellis Fröder aus Paris, dem Land des rechtspopulistischen Front National unter Marine Le Pen, Annette Dittert aus London, Heimat von Nigel Farage und seiner mehr als Europa-skeptischen Ukip sowie Bernhard Wabnitz aus Rom, dort gibt es mit der Forza Italia und Beppe Grillo ebenfalls begnadete Populisten. ZDF-Frau Antje Pieper wurde wiederum aus Athen zugeschaltet, dem Euro-Krisenland schlechthin - alles was populistisch oder krisenbehaftet ist, wurde also abgedeckt, ohne dass dabei aber Neuigkeiten zu erfahren gewesen wären, die über den Schrecken über das gute Abschneiden der besagten Extremisten hinausgewiesen hätten.

Etwas Kontext gelingt Jauch

Überraschender war da schon, dass AfD-Chef Bernd Lucke angesichts der etwa zwei Millionen Menschen, die seine Partei in Deutschland gewählt haben, poetisch wurde. Der Ökonomie-Professor sprach von Blumen, die aufblühen, womit er wohl die AfD meinte, und von Blumen, die verwelken, was wahrscheinlich auf die FDP gemünzt war, und verstieg sich doch dann glatt zu der Bemerkung, dass mit der AfD eine neue Volkspartei in Deutschland entstanden sei.

Glücklicherweise wurde kurz darauf ARD-Zahlenerklärer Jörg Schönenborn eingeblendet, der die Anmaßung Luckes angesichts des prognostizierten AfD-Ergebnisses von etwa 6,5 Prozent sogleich zu relativieren wusste, doch wirklich ergiebiger wurde die Wahlberichterstattung dadurch nicht.

Etwas mehr Einordnung bot dieser Fernseh-Wahlabend dem Zuschauer erst zu späterer Stunde bei Günther Jauch, der es schaffte, einige Antworten auf zentrale Fragen im Zusammenhang mit dieser Europawahl zu geben, oder zumindest eine Ahnung davon.

Steilvorlage für Schriftstellerin Zeh

Als da zum Beispiel noch dringend zu klären wäre, wer denn nun eigentlich Kommissionspräsident wird? Glücklicherweise gibt es Leute wie Peer Steinbrück oder Wolfgang Schäuble, zwei Männer des klaren Worts, die bei Jauch zumindest erklären konnten, warum an diesem Punkt überhaupt noch eine Frage im Raum steht. Eine Frage, die nebenbei gesagt, auch nach Mitternacht, als schließlich auch die Wahllokale in Italien zugemacht hatten, noch sehr weit weg von einer Beantwortung war. Da versuchte Wolf-Dieter Krause, Leiter des ARD-Studios in Brüssel, die nach wie vor undurchsichtigen Kräfteverhältnisse im neuen EU-Parlament vielmehr so zu veranschaulichen, dass ja auch im Bundestag erst Koalitionen gebildet werden müssten.

Doch ob eine Koalitionsmehrheit in Straßburg für den einen oder anderen Kandidaten den Ausschlag bringen kann, ist offenbar noch strittig, so zumindest hörte sich der Diskurs zwischen Steinbrück und Schäuble bei Jauch an. Der eine (Steinbrück) hält die Parlamentsmehrheit, gebildet aus Koalitionen, für entscheidend, während der andere (Schäuble) die stärkste Fraktion als ausschlaggebend betrachtet. Aha. Wenn noch nicht einmal diese einfachen Regeln klar sind, wie sollen dann die Bürger Begeisterung für europäische Institutionen aufbringen?

Das fragte sich bei Jauch auch Juli Zeh und richtete sich dabei besonders an Wolfgang Schäuble. Denn die Schriftstellerin wunderte sich zu Recht darüber, dass die CDU mit Angela Merkel auf den Wahlplakaten in die Schlacht gezogen war, wobei die Kanzlerin überhaupt nicht zur Wahl gestanden hatte. "Das hat man gar nicht gemerkt, dass das ein Wahlkampf für Juncker war."

"Das ist ein Argument gegen zwei Pässe"

Schäuble erklärte diese eigenartige Strategie allen Ernstes als bloße Werbemaßnahme, was wiederum eine Steilvorlage für Zeh war. Sie sah sich in ihrer Überzeugung bestärkt, dass die Parteien Europa immer noch als "etwas Sekundäres" betrachteten. Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo machte die mangelnde Ernsthaftigkeit der etablierten Parteien hingegen mehr daran fest, dass sie sich dem Diskurs mit der AfD nicht stellen würden. Obwohl die mit ihren Themen "eine gewisse Berechtigung" hätte.

Das glaubte auch Henning Dransfeld, der IT-Berater saß im Publikum und bekannte sich dazu, AfD-Wähler zu sein. Das war mutig von ihm, wie sich herausstellte, sah sich doch plötzlich Peer Steinbrück bemüßigt, seine tief empfundene Liebe für Europa dadurch zu beweisen, dass er Dransfeld lautstark zur Minna machte. Das kam selbst bei der überzeugten Europäerin Zeh nicht rundheraus gut an, die bemängelte: "Es klappt mit der Leidenschaft am besten, wenn es gegen einen Einzelnen geht."

Da durfte sich Wolfgang Schäuble schon eher bestätigt fühlen, dafür, dass er gleich zu Beginn der Sendung kurz die Contenance verloren hatte, als Giovanni di Lorenzo frank und frei davon berichtete, dass er selbstverständlich zwei Mal gewählt habe, als EU-Bürger mit zwei Pässen (deutsch und italienisch). Schäuble zunächst: "Das ist ein Argument gegen zwei Pässe."

Am Ende der Sendung stellte sich heraus, dass auch EU-Bürger mit zwei Pässen nur einmal wählen dürfen, die ARD hatte es schnell recherchiert, was dem Finanzminister die Gelegenheit gab, den Chefredakteur der angesehensten Wochenzeitung des Landes abzukanzeln: "Das ist natürlich gegen das Gebot der Gleichheit der Wahl. Das wird Ihnen beim nächsten Fall klar sein. Ins Gefängnis müssen Sie deswegen nicht."

Wenigstens für eine Klarheit hatte das Fernsehen an diesem Abend also gesorgt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: