NSU-Prozess:Bizarres von der Schlapphut-Bande

NSU-Zeuge Andreas R. ist ein erfahrener Krimineller. Mit der Schlapphut-Bande überfiel er knapp 50 Banken und erbeutete mehr als 3,5 Millionen Euro. Gab es eine Verbindung zum NSU?

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Die Schlapphut-Bande war gut organisiert, besaß viele Waffen und überfiel etwa 50 Banken. Manchmal trugen die Banditen Hüte mit breiter Krempe, daher der Name. Zwischen 2002 und 2005 sollen die Räuber mehr als 3,5 Millionen Euro erbeutet haben. Mittlerweile sitzen die Mitglieder der Bande im Gefängnis. Einer von ihnen, der Heizungsmonteur Andreas R., ist nun als Zeuge im NSU-Verfahren aufgetreten. Es ist eine seltsame Episode in diesem langen Prozess.

Zum ersten Mal wird ein Zeuge von einem Wachtmeister mit einer sogenannten Vorführzange - einer einfachen Handschelle - in den Saal des Oberlandesgerichts München geführt. Andreas R. kommt aus einer Justizvollzuganstalt in Sachsen-Anhalt, und es geht um eine wilde Geschichte. Ob es überhaupt einen Zusammenhang zum NSU gibt, ist unklar. Der Anwalt eines Nebenklägers hatte beantragt, Andreas R. vorzuladen.

Der Zeuge ist ein erfahrener Krimineller. Wenn Andreas R., 57, über einen Überfall spricht, drückt er das so aus: "Wir haben da mal 'ne Bank gemacht ..."

Andreas R. hat sich in den NSU-Ermittlungen nicht selbst aufgedrängt. Doch ein früherer Komplize - Krzysztof S., der in Polen im Gefängnis sitzt - hatte den Beamten von einem Revolver erzählt, den der mutmaßliche NSU-Helfer Ralf Wohlleben nach der Jahrtausendwende bei der Schlapphut-Bande gegen einen Wegfahrsperren-Überbrücker eingetauscht haben soll. Mit so einem Gerät lassen sich Autos leichter klauen. Krzysztof S. soll der Logistik-Chef der Bande gewesen sein.

Gab es also eine Verbindung zwischen der Schlapphut-Gang und dem NSU oder dessen Unterstützern? Oder handelt es sich, wofür vieles spricht, nur um die Erfindung eines dubiosen Kriminellen? Immer wieder melden sich Gefangene aus Haftanstalten und versuchen, den Ermittlern Geschichten aufzutischen. Oft versprechen sie davon selbst einen Vorteil.

"Sechs Maschinenpistolen, zwei Sturmgewehre und ungefähr zehn bis 15 Pistolen"

Richter Manfred Götzl will wissen, wie viele Waffen die Schlapphüte hatten. Der Zeuge sagt, als sei es das Normalste der Welt: "Sechs Maschinenpistolen, zwei Sturmgewehre und ungefähr zehn bis 15 Pistolen." Revolver seien jedoch nicht dabei gewesen.

Die Bande lagerte ihre Waffen in eigens dafür angelegten Verstecken. Das Hauptdepot soll in Berlin-Spandau gewesen sein, im Spandauer Forst. Dorthin führte Andreas R. im vergangenen Jahr die Polizei, nachdem sein früherer Komplize die Geschichte mit Wohlleben in die Welt gesetzt hatte. Doch von den Waffen fand sich keine Spur. Andreas R. vermutet, dass Krzysztof S. sie vor seiner Inhaftierung woanders versteckte.

Er glaubt ohnehin, dass S. "sich den ganzen Quatsch ausgedacht hat", weil er einen Weg suche, von Polen nach Deutschland zu kommen und lieber hierzulande seine Haft verbüßen wolle. Andreas R. sagt jedenfalls, er kenne den mutmaßlichen NSU-Helfer Ralf Wohlleben nur aus den Medien. Auch die anderen Angeklagten kenne er nicht.

Dubiose Kontakte in Thüringen

Ein anderes Mitglied der Schlapphut-Bande kam aus Jena und hatte in Thüringen dubiose Kontakte. Dieser Mann, ein gewisser K., soll mit Krzysztof S. über einen Wegfahrsperren-Überbrücker gesprochen haben, meint der Zeuge sich zu erinnern. Die beiden hätten etwas "gemauschelt", aber er wisse nicht, worum es gegangen sei. Zudem soll K. einmal einen Russen mitgebracht haben, der sich für Waffen interessiert habe. Der Zeuge Andreas R. deutet an, K. könnte damals ein "zweites Standbein" gehabt und in Thüringen mit anderen Kriminellen zusammengearbeitet haben. Das ist für den NSU-Prozess bedeutsam, weil etliche Mitglieder der rechten Szene in Thüringen Kontakte ins Milieu der organisierten Kriminalität hatten.

An seinem früheren Komplizen K. lässt der Zeuge Andreas R. kein gutes Haar: Dieser sei in der Bande "immer der Schwachpunkt" gewesen, "er war nicht so der Hellste, sage ich mal". Einmal soll er vergessen haben, bei einem Banküberfall rechtzeitig seine Maske aufzusetzen. "Dann hat er sämtliche Kameras abgeschlagen, und wir mussten die alle noch mitnehmen und hatten dadurch viel Gepäck dabei", erzählt Andreas R. noch immer verärgert.

Dann darf Andreas R. wieder gehen. Er erkundigt sich noch, was mit seinem Verdienstausfall sei? Offenbar arbeitet er im Gefängnis und möchte durch den Zeugenauftritt nicht um sein Geld gebracht werden. Er bekommt, wie üblich, ein entsprechendes Formular für die Entschädigung. Sein Auftritt im NSU-Prozess wird nicht ganz umsonst gewesen sein.

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