Viggo Mortensen über Ambivalenz:"Alle lügen, und alle verlieren"

Viggo Mortensen als Chester MacFarland in Die zwei Gesichter des Januars.

1962, als das Ansehen der Amerikaner im Ausland noch hoch war: Viggo Mortensen als Chester MacFarland in "Die zwei Gesichter des Januars".

(Foto: StudioCanal Deutschland)

Idealspießer und Killer, das geht bei Viggo Mortensen zusammen. Nun spielt er einen Hochstapler, der erst seine Weltläufigkeit zelebriert und dann aus dem Gleichgewicht gerät. Ein Gespräch über Hitchcock, die Sechzigerjahre und den Film noir.

Von Paul Katzenberger

Das Kino hat sich schon immer auf die Romane Patricia Highsmiths gestürzt. Von den 22 Büchern, die die amerikanische Krimi-Autorin hinterließ, wurden die meisten verfilmt, zum Teil mit bleibender Wirkung: Alfred Hitchcocks "Der Fremde im Zug" (1951) oder Anthony Minghellas "Der talentierte Mr. Ripley" (1999) sind heute Klassiker.

Drehbuchautor Hossein Amini ("Drive") adaptierte für seine erste Regiearbeit nun ebenfalls einen Highsmith-Roman und bekam von der Kritik dafür überwiegend Lob: Sein Thriller "Die zwei Gesichter des Januars" (The Two Faces of January), der an diesem Donnerstag in die Kinos kommt, ist geladen mit der subtilen Spannung, die sich zwischen einem amerikanischen Ehepaar und seinem jungen Begleiter während einer Europa-Reise in den Sechzigerjahren aufbaut.

Die Dreiecksbeziehung zieht den Zuschauer mit ihren Doppelbödigkeiten in den Bann, was auch ein Verdienst Viggo Mortensens ist, der in David Cronenbergs "A History of Violence" bereits gezeigt hat, dass er schillernde Figuren verkörpern kann. Hier stellt er nun Ehemann Chester MacFarland mit all seinen Widersprüchen dar.

SZ.de: Sie sind bekannt dafür, nicht jede Rolle anzunehmen. Was hat Sie an diesem Film gereizt?

Viggo Mortensen: Ich schätze Patricia Highsmith sehr. Mir gefällt die ganze Ripley-Serie, und vor allem ihre Kurzgeschichten haben es mir angetan, von denen einige sehr verstörend sind. Ganz generell imponiert mir, wie nuanciert sie ihre Figuren zeichnet.

Wie gelang ihr das aus Ihrer Sicht in "Die zwei Gesichter des Januars"?

Die Figuren dieser Geschichte sind für mich typische Film-noir-Protagonisten. Alle Beteiligten lügen, und alle verlieren. Das Interessante an einer solchen Konstellation ist, wenn sie gut gemacht ist, wie genau es zum unausweichlichen Zusammenbruch kommt. Als ich das Drehbuch las, dachte ich, das ist wirklich eine spannende Choreografie, in die die drei Protagonisten hineingezogen werden.

Und speziell die Figur des Chester McFarland, die Sie spielen. Was hat Sie an der interessiert?

Er ist voller Geheimnisse, und er ist im Drehbuch sogar interessanter gezeichnet als in der Romanvorlage. Im Roman ist er ein Widerling, ein Mensch, der am Boden, der verzweifelt ist, von Anfang an. Was schauspielerisch keine besonders interessante Aufgabe dargestellt hätte. Aber in unserer Geschichte hat man zunächst den Eindruck, dass ihm die Welt zu Füßen liegt, dass er glücklich ist, dass er entspannt und mit sich selbst im Reinen ist, mit seiner Frau, mit seinem Geld. Und dann erst merkt man, dass doch nicht alles Gold ist, was da glänzt. Diese Ambivalenz empfand ich als Herausforderung.

Hatte das auch etwas damit zu tun, dass Chester McFarland einen typischen Amerikaner im Ausland darstellt? Sie sind ja selbst ein sehr kosmopolitischer Amerikaner: Halber Däne, der in Südamerika aufwuchs und jetzt in Madrid lebt.

Weniger wegen meiner eigenen Biografie, sondern vor allem wegen der Zeit, in der der Film spielt. 1962 war das Ansehen der Amerikaner im Ausland noch sehr hoch. Auch wenn sie sich oft albern verhielten, wurden sie prinzipiell für gutherzig gehalten.

Viggo Mortensen bei der Premiere von Die zwei Gesichter des Januars bei der Berlinale 2014

Viggo Mortensen bei der Berlinale im Februar 2014. "Die zwei Gesichter des Januars" feierten dort ihre Premiere.

(Foto: Getty Images)

Auch damals traten Amerikaner im Ausland öfters schon mal großspurig auf, waren laut, schmissen mit Geld um sich.

Natürlich. Sie waren auch schon in dieser Zeit einfach ein wenig ignorant. Aber prinzipiell wurden ihnen gute Absichten unterstellt, denn immerhin hatten sie sich im Zweiten Weltkrieg aufgeopfert. Diese Wahrnehmung hat sich schon kurz danach geändert. Ende der Sechzigerjahre schlug das um, mit Nixon und dem Ende des Vietnamkriegs und allem, was seither passiert ist. Es wird auch nie wieder so sein wie damals.

Konnten Sie sich in Chester MacFarland gut hineindenken, weil er merkt, dass er älter wird? Er ist im Film knapp 50, Sie liegen etwas darüber.

Sie meinen, weil er eifersüchtig wird? Weil seine Frau deutlich jünger ist als er, und der Nebenbuhler auch, der im Film auftaucht?

Genau.

Ich glaube, dass Chester dem Alter ins Auge sieht, genauso wie ich im Wesentlichen auch. Zunächst fühlt er sich durch diesen anderen Mann nicht herausgefordert. Vielmehr ist er jemand, der zwar entgegenkommend und freundlich auftritt, aber gerne das letzte Wort hat. Die Lage kippt für ihn nicht wegen seines Alters.

Sondern weswegen?

In dem Moment, in dem sie sich gemeinsam aus dem Staub machen, verliert er die Kontrolle, und genau das kann er nur schwer aushalten und fängt an die Dinge zu eng zu sehen. Dass da ein jüngerer Mann ist, und besonders, dass seine Frau mit dem gut auskommt. Er wird eifersüchtig und macht genau das Falsche.

"Ich bin wählerischer geworden"

Viggo Mortensen und Kirsten Dunst in "Die zwei Gesichter des Januars".

"Er wird eifersüchtig und macht genau das Falsche." Chester MacFarland (Viggo Mortensen) mit Frau Colette (Kirsten Dunst) in "Die zwei Gesichter des Januars".

(Foto: Studiocanal Deutschland)

Das heißt, es reicht aus, dass er ein bisschen die Kontrolle verliert, und schon dreht er durch?

Ja, es ist ein Akt der Selbstzerstörung. Er macht alles schlimmer. Er selbst treibt sie dem Konkurrenten zu und nimmt ihr das gleichzeitig übel. Eine sehr menschliche Reaktion, besonders bei Männern seiner Generation.

Auch wenn sein Alter vielleicht nicht die entscheidende Rolle spielt. Gibt es in Ihrem Fall Situationen, bei denen sich das Alter bemerkbar macht?

Es dauert am Morgen länger, auf die Beine zu kommen (lacht). Was das Filmgeschäft anbelangt: Ich bin noch wählerischer geworden als ich es ohnehin schon war. Ich habe für mich eine feste Regel, die besagt, dass ich nur Filme mache, die ich selber gerne sehen würde. Darin bin ich noch strikter geworden. Das Leben ist kurz und es wird ständig kürzer.

Hat die Rolle des Aragorn im "Herr der Ringe" in der Hinsicht etwas für Sie geändert? Durch die Figur sind Sie zum Star von Millionen Fans geworden. Sind die Drehbücher besser geworden, die Ihnen seither angeboten wurden?

Ich habe es noch nie verstanden, wenn Leute sagen: 'Dieses Jahr ist ein gutes Kinojahr, oder dieses Jahr ist ein schlechtes Kinojahr.' Seit Filme erfunden wurden, war vielmehr jedes Jahr in der Tendenz ein schlechtes Kinojahr. Im Großen und Ganzen werden schlechte Filme gemacht, egal in welchem Land, egal ob die Budgets groß sind oder klein. Nicht alles ist Mist, aber doch das meiste. Und dann gibt es diese wenigen Filme, die einfach phantastisch sind. Ob sie nun aus Korea kommen, Deutschland oder Hollywood. Natürlich ist so ein Urteil immer subjektiv, aber was gut ist, muss man nun mal selbst entscheiden.

Glauben Sie, das künstlerisch überzeugende Filme früher bessere Chancen hatten, den Mainstream zu erreichen als heute? In den Siebzigerjahren waren Filme wie "Der Pate" oder "Chinatown" Massenereignisse, heute sind das eher Produktionen wie "Hangover 3" oder "Fast & Furious 6".

Ja, die Studios haben damals mehr riskiert. Das war eine Reaktion auf die Sechzigerjahre, in denen die Auflehnung der Jugend gegen das Establishment mehrheitsfähig geworden war. Ein großer Teil des Marktes war von diesem Zeitgeist beherrscht, und die Studios haben darauf reagiert. Die Bedürfnisse sind heute anders.

Schlichter?

Ja, heute geben wir uns mit dicken Comics ab. Und zwar immer wieder mit demselben Comic in Grün. Wenn du mit Leuten zusammensitzt, und du merkst, dass sie dir nicht zuhören, dann beschäftigen sie sich oft gerade mit einem Comic, ob das nun ein Computerspiel ist oder ein Actionfilm. Heute ist kurze Ablenkung angesagt, und die versucht der Markt zu bedienen. Ich glaube allerdings nicht, dass die Studiomanager früher auch nur einen Deut ehrlicher, mutiger oder kreativer waren, sie haben einfach nur das geliefert, was der Markt wollte.

Solange das zu besserer Qualität führt, ist dagegen ja auch gar nichts einzuwenden.

Vielleicht. Aber das ist jetzt Ihre Meinung. Einen 17-Jährigen locken Sie heute mit "Five Easy Pieces" (Anm. d. Red.: Film mit Jack Nicholson von 1970) nicht hinterm Ofen vor, der wird vor Langeweile sterben. Der will lieber den neuen "Batman" sehen.

"Die zwei Gesichter des Januars" ist ein sehr klassisch konstruierter Film. Kann man sagen, dass er die moderne Fassung eines Hitchcock-Dramas ist?

Er ist in vielerlei Hinsicht ein Hitchcock-Film, nur dass die Protagonisten vielschichtiger sind. Meiner Meinung nach sind die Figuren sogar in Hitchcocks besten Filmen ziemlich eindimensional geraten, was wohl daran liegt, dass er so ein Kontrollfreak war, der den Schauspielern wenig Raum für Experimente ließ.

Immerhin haben sich Jimmy Stewart, Cary Grant oder Grace Kelly in Hitchcock-Filmen unsterblich gemacht.

Das stimmt, man musste schon das Format dieser Ausnahme-Darsteller haben, um sich bei Hitchcock als Schauspieler so in Szene setzen zu können. Die Komplexität der Figuren ist trotzdem nicht die große Stärke seiner Filme, die in anderer Hinsicht in ihren besten Momenten natürlich unerreicht sind, was Dramaturgie oder Kameraführung anbelangt.

Damit spielen Sie darauf an, dass es in "Die zwei Gesichter des Januars" weder reine Helden noch reine Bösewichter gibt, vielmehr vereinen alle Protagonisten sowohl Anstand als auch Verdorbenheit in sich. Gibt es aus Ihrer Sicht noch andere Unterschiede zu Hitchcock?

"Die zwei Gesichter des Januars" ist weniger plakativ als Hitchcock-Filme, was die Protagonisten angeht und die Bilder. Am ehesten drängt sich "Der talentierte Mr. Ripley" von Anthony Minghella als Vergleich auf: Er handelt in derselben Zeit, mehr oder weniger, er spielt am selben Ort, mehr oder weniger, in einem Mittelmeerland. Die zu Grunde liegende Geschichte stammt von derselben Autorin, Patricia Highsmith, die Protagonisten sind ähnlich. Aber: So gut dieser Film ist, so sehr versucht er den Zuschauer ständig mit der Nase darauf zu stoßen, dass er in den Sechzigerjahren spielt, während unser Film sich an dem Punkt mehr zurücknimmt. Wir sagen: 'Ja, wir sind hier in Griechenland, ja wir sind in Istanbul, ja man trug diese Kleidung damals." Aber der Zuschauer wird damit nicht erschlagen. Ich mag an unserem Film, dass er diese Zeit nicht allzu sehr auf Hochglanz poliert.

"Zwei Gesichter des Januars" wurde zum großen Teil in Griechenland gedreht, und zwar genau in der heißen Phase der Euro-Krise. Hat das die Dreharbeiten beeinträchtigt?

Ja und nein. Wir hatten Szenen, die wir etwa wegen Lärm stark überarbeiten mussten, zum Beispiel in Athen, da hörte man auf der Tonspur sogar Explosionen. Andererseits hat die Krise uns auch geholfen. Für Knossos hatten wir zwar eine Drehgenehmigung bekommen, doch die Behörden warnten uns, dass Aufnahmen wegen der Touristen schwierig werden würden. Und dann war plötzlich überall gähnende Leere. Wir fragten, was los sei, woraufhin es hieß, ein Generalstreik sei ausgerufen worden. Wir hatten die ganze Insel für uns. Das war ideal.

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