Balkankriege 1912 und 1913:Grausame Ouvertüre des Ersten Weltkriegs

Bulgarische Artillerie im Balkankrieg, 1913

Bulgarisches Geschütz in der Tschataldscha-Linie 1913.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

In den beiden Gewaltausbrüchen zeigt sich die monströse Wirkung moderner Waffen, dem Kriegswillen tut dies damals keinen Abbruch. Die Feindschaften auf dem Balkan, die am Vorabend des Ersten Weltkrieg entstanden, reichen bis in die jüngste Zeit.

Der Keim für die Balkankriege wurde 1878 in Berlin gepflanzt. Auf dem Berliner Kongress moderierte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck die Neuordnung des Balkan (hier mehr dazu). Das morsche Osmanische Reich hatte zuvor den Krieg gegen Russland verloren, das auf einen Zugang zum Mittelmeer drängte. Unter Bismarcks Regie durfte auch Österreich-Ungarn seine Interessenssphäre vergrößern.

Bosnien-Herzegowina sollte völkerrechtlich weiter zum Osmanischen Reich gehören, aber die austriakische Doppelmonarchie verwaltete künftig die Region. Es war - auf lange Sicht - eine schlechte Lösung des "ehrlichen Maklers" Bismarck. Denn das Konstrukt sicherte die Stabilität nur drei Jahrzehnte.

Am 4. Oktober 1908 brach Österreichs Kaiser Franz Joseph I. eigenmächtig die Vereinbarung. Der greise Kaiser war nun 60 Jahre auf dem Thron und außerdem hatte er Namenstag. "Ich habe Mich bestimmt gefunden, die Rechte Meiner Souveränität auf Bosnien und die Herzegowina zu erstrecken", verfügte Franz Joseph und schenkte sich damit die Provinz.

Die Annexion löste keine Empörung aus, aber sie legte die Machtlosigkeit des Osmanischen Reichs offen - und weckte nationalistische Gefühle auf dem Balkan und den Territorial-Hunger Russlands. Der Zar verstand sich und sein Land als "Protektor aller Slawen", wie der Historiker Volker Berghahn schreibt. 1912 gründeten unter russischer Schirmherrschaft die Staaten Bulgarien, Serbien, Montenegro und Griechenland die "Balkanliga".

Russland glaubte, die kleineren Länder kontrollieren zu können, doch die agierten immer eigenmächtiger. Sie marschierten gegen die osmanischen Truppen - der Erste Balkankrieg begann. Konstantinopel verlor in der Folge fast alle seine europäischen Besitzungen.

Das brutal geführte Gemetzel wurde im Mai 1913 beendet - im fernen London. In der britischen Hauptstadt versuchten die europäischen Großmächte noch einmal, auf diplomatischem Wege die Lage auf dem Balkan zu stabilisieren. Großbritannien war interessiert, die Machtbalance auf dem Kontinent zu halten.

Österreich pochte auf Eindämmung von Belgrads Einfluss. So wurde der Staat Albanien auch deshalb gegründet, damit Serbien keinen Zugang zum Mittelmeer erhält - ganz im Sinne Österreich-Ungarns. Albanien wurde unabhängig, wenngleich große Teile seines Staatsgebietes sofort von Serben, Griechen und Montenegrinern besetzt wurden.

Testfeld für Kanonen und Maschinengewehre

Wenig später, im Juni 1913, kam es zum nächsten Krieg. Diesmal bekämpften sich die zuvor verbündeten Länder Bulgarien sowie Serbien und Griechenland wegen konkurrierender Territorialansprüche. Bald schalteten sich auch Rumänen und Osmanen mit ein. Am Ende verlor Bulgarien seine Gebietsgewinne aus dem Ersten Balkankrieg.

Während der Kämpfe kamen moderne Waffen zum Einsatz, die aus der französischen Waffenschmiede Schneider-Creusot und aus den deutschen Krupp-Werken stammten. So wurde der Balkan zum grausamen Testfeld für Kanonen und Maschinengewehre, die im Ersten Weltkrieg Europa in ein Menschenschlachthaus verwandeln sollten.

Ebenfalls fatal: In Paris und Berlin glaubte man nach den Balkankriegen, waffentechnisch auf dem höchsten Stand zu sein - und damit in einer besonders günstigen Ausgangsposition bei einem großen militärischen Konflikt.

Diese beiden lokalen Kriege zeigten die Konfliktlinien des späteren Weltkrieges: Bulgarien und die Osmanen kämpften auf der Seite der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn, weil sie glaubten, ihre Terretorien rückerobern zu können. Serbien, Griechenland und Rumänien kämpften aus dem selben Kalkül gemeinsam mit Frankreich, Russland und Großbritannien.

Das zaristische Russland sah in den Serben Brüder, die ebenso dem christlich-orthodoxen Glauben anhängen. Die Partnerschaft von damals hat das Jahrhundert überdauert und zeigt sich immer wieder bei Krisen wie etwa während des Kosovo-Krieges 1999 oder der aktuellen Ukraine-Krise.

Vor 100 Jahren ging es Russland vor allem darum, den eigenen Einfluss auf dem Balkan auszudehnen - ein Ziel, das auch die Habsburger Monarchie verfolgte. "Das intensivierte Engagement in Serbien verpflichtete Russland zu einem direkten Konfrontationskurs gegen Österreich-Ungarn", sagt der Historiker Christopher Clark und hebt den Zusammenhang zwischen den Balkankriegen und dem Ersten Weltkrieg hervor: "Es wuchs die Entschlossenheit Österreichs, den serbischen Gebietsansprüchen Einhalt zu gebieten".

Ähnlich wie auch in anderen Staaten wie Deutschland oder Österreich-Ungarn hatte im serbischen Königreich die Armee großen Einfluss auf den Kurs des Landes. "Die Siege Serbiens in den Balkankriegen haben die militärischen Strukturen im Land auf Kosten der Politik gestärkt", sagt Husnija Kamberovic, der als Professor am Institut für Geschichte in Sarajevo die Auswirkungen der Balkankriege erforscht. "Allmählich setzte sich in Belgrad die Auffassung durch, dass man seine Grenzen gewaltsam durch Kriege vorschieben könne".

Die Waffengänge auf der Balkanhalbinsel führten auch zu einer verstärkten inneren Gefährdung der Habsburger Monarchie. Durch seine Siege stieg Serbien in der Gunst seiner slowenischen und kroatischen "Verwandten".

Das Pulverfass Balkan explodierte

Die gebildeten Bevölkerungsteile strebten zum Teil mehr Mitspracherechte der Slawen in Österreich-Ungarn an, um den bisherigen Dualismus von Österreichern und Ungarn durch den sogenannten Trialismus zu ersetzen. Das Habsburger-Reich fühlte sich schwach und suchte einen Befreiungsschlag. "Daher wuchs seit 1913 in Wien die Überzeugung, dass eine Abrechnung mit Belgrad unvermeidbar sei", sagt Kamberovic.

In den Balkankriegen stand Mazedonien im Mittelpunkt, das von Griechenland, Serbien und Bulgarien gleichermaßen beansprucht wurde - ein Konflikt, der die Weltkriege überdauert hat. Die nationalen, geschichtlichen und politischen Streitigkeiten des heute selbstständigen mazedonischen Staates mit seinen Nachbarn halten bis heute an. Die schweren Kriegsverbrechen serbischer Einheiten 1912/13 vor allem an Albanern schürten den Hass. Es kam zu Gräueln an Zivilisten, ethnischen Säuberungen wurden durchgeführt. Hunderttausende Muslime flohen in der Folge nach Kleinasien.

Mehr als 350 000 Soldaten waren in dem Krieg umgekommen, der sowohl mit Lanzen als auch mit modernen Waffen wie Maschinengewehren geführt worden war. Zeitungen im übrigen Europa druckten Fotos von Leichenbergen und berichteten von Massakern - doch die abschreckende Wirkung blieb aus.

Friedenssichernde Lehren wurden in den europäischen Hauptstädten nicht aus den Balkankriegen gezogen - schon gar nicht in Berlin. Dort herrschte Kaiser Wilhelm II. und umgab sich mit Ja-Sagern und Militaristen. Der Monarch frohlockte über den Ausbruch des Ersten Balkankrieges und hätte dann am liebsten selbst an der Seite Österreich-Ungarn eingegriffen. Die Sache müsse "mit Blut und Eisen gelöst werden", schwadronierte er am 4. Oktober 1912. "Aber in einer für uns günstigen Periode! Das ist jetzt". Ein paar Wochen später schrieb Wilhelm: "Das kann der Europ(äische) Krieg werden und für uns event(uel)l ein Existenzkampf mit 3 Großmächten."

Der Thronfolger wollte keinen Krieg - seine Ermordung löste ihn aus

Wilhelm ließ in London vorfühlen, ob sich Großbritannien neutral verhalten würde, falls sich Deutschland mit Frankreich und Russland im Krieg befände. Londons Antwort war klar: Nein, man würde eine Veränderung des Mächtegleichgewichts nicht hinnehmen. Auch Wien war nicht gewillt, in den Krieg zu ziehen. Das Militär drängte zwar auf einen Schlag gegen Serbien, doch der alte Kaiser wollte nicht. Und vor allem sein Thronfolger Franz Ferdinand stemmte sich deutlich gegen einen solchen Waffengang, weil ihm auch klar war, dass die Region zu einem Pulverfass geworden war.

Der Rest der Geschichte ist bekannt: Franz Ferdinand und seine Frau Sophie reisten in das acht Jahre zuvor vom Kaiser einverleibte Bosnien-Herzegowina. Am 28. Juni 1914 fuhren sie im offenen Wagen durch die Straßen der Haupstadt Sarajevo und wurden von einem jungen serbischen Nationalisten erschossen - ein Doppelmord, der den Kriegstreibern in Europas Hauptstädten gelegen kam. Das Pulverfass Balkan explodierte. Der Erste Weltkrieg brach aus.

An seinem Ende wurde die Idee Realität, alle Südslawen in einem einzigen Staat zu vereinigen. Das neu geschaffene Königreich Jugoslawien wurde von Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg besetzt. Nach 1945 entstand es neu als sozialistischer Staat, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten mitunter in blutigen Kriegen in sieben Nachfolgestaaten zerfallen ist.

Inzwischen spricht in Belgrad, Split und Ljubljana niemand mehr von der Anfang des letzten Jahrhunderts blühenden Idee von "Brüderlichkeit" und "natürlicher Verwandtschaft" der Serben und Kroaten, Slowenen und anderen Bevölkerungsgruppen des Balkan. 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist der Traum von einem südslawischen Staat vorbei. Die in den Balkankriegen entstandene Feindschaft zwischen den Ethnien hat die Zeilen überdauert.

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