Präsidentenwahl in Ägypten:Wie zu Zeiten Mubaraks

Präsidentenwahl in Ägypten: Ägyptische Bürger winken während der Präsidentenwahl patroullierenden Sicherheitskräften zu.

Ägyptische Bürger winken während der Präsidentenwahl patroullierenden Sicherheitskräften zu.

(Foto: AP)

Kaum mehr jemand traut sich, Kritik an Abdel Fattah al-Sisi zu äußern, sein Sieg bei der Präsidentenwahl in Ägypten steht außer Frage. Damit wird die Wahlbeteiligung zum Maßstab seiner Legitimität. Für den Armeechef ist das ein Problem.

Von Sonja Zekri, Kairo

Für Wahlen wie diese gilt eine Regel, die Menschen ohne Diktaturerfahrung nur schwer verstehen, protestwählende, demokratieübersättigte Europäer etwa. Es ist das Gesetz der falschen Seite. Bei einer Wahl wie dieser in Ägypten nämlich - der siebten in drei Jahren -, gibt es eine richtige Seite und eine falsche. Die Richtige, das ist jene von Ex-Armeechef Abdel Fattah al-Sisi, der seit dem Sturz des Islamisten-Präsidenten Mohammed Mursi im vergangenen Sommer faktisch regiert und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Ägyptens nächster Präsident wird.

Zur falschen gehören eigentlich alle anderen, die Wähler seines chancenlosen Rivalen Hamdin Sabbahi, die Nicht-Wähler, die Boykottierer, die sich ihrer vaterländischen Pflicht verweigern. Wer auf der richtigen Seite steht - oder so tut -, muss erst mal nichts befürchten. Die anderen aber sind verdächtig. Vielleicht führen sie etwas im Schilde, vielleicht paktieren sie mit den Feinden Ägyptens. Es ist eine Provokation, auf der falschen Seite zu stehen. Einige glückliche Monate lang, nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak vor drei Jahren, war dieses Gesetz außer Kraft. Die Menschen wählten, wen sie wollten, und sagten, was sie dachten.

Mit der Wahl aber hat Ägypten in den Modus der gelenkten Meinungsbildung zurückgefunden. Und das sieht so aus: Imbaba, das zentrumsnahe Armenviertel, ist voll wie immer. Kinder mit Greisengesichtern waschen Autos. In den Koschari-Lokalen kriechen handtellergroße Kakerlaken die Leitungen der Klimaanlagen entlang. Auch hier, wo sonst fast täglich Menschen gegen die Regierung und für die gestürzten Muslimbrüder demonstrieren, wurden Sisi-Plakate gehisst. Aus Lautsprechern plärren armeefreundliche Schlager oder Sisi-Huldigungen. Händler verkaufen Plastikhüte in den Nationalfarben. Müllberge, ungepflasterte Straßen, sehr große Hitze.

Die Menschen haben Angst

In Schulen geben ihre Stimme ab: Ahmed Abdin, Buchhalter in einer Bank, und Fatma Mohammed, die in einem Computerladen arbeitet. Sisi ist die beste Wahl, sagt Ahmed, er wird das Land nach vorn bringen. Wie? Wo er doch nicht mal ein präzises Wahlprogramm vorgelegt hat? "Er kommt aus dem Militär. Er kennt Ägypten", schwört Ahmed. Und dass drei Jahre nach dem Ende der Militärherrschaft wieder ein Ex-Soldat regiert? "Wir haben Mubarak ja nicht gestürzt, weil er aus dem Militär kam, sondern weil er schlecht regierte", sagt Ahmed. Und Fatma bekräftigt: "Wir haben nichts gegen das Militär. Die Armee, das sind unsere Brüder, unsere Familie. Und Sisi ist einer von uns."

Eine Rundfrage im Kaffeehaus: Alle befürworten Sisi. Diejenigen, die ihn noch nicht gewählt haben, wollen dies auf jeden Fall noch tun. Ein Alter verkauft Glühbirnen, er hat sich an einer Laufhilfe ins Wahllokal geschleppt. Nun hofft er auf Sisi, der erklärt hat, dass er Energiesparlampen in jede Wohnung bringen will. Ein junger Mann mit Bart, eigentlich klassische Islamisten-Klientel, gesteht überwältigt, er habe nicht wählen wollen, sei dann aber von der Straße weg magisch ins Wahllokal gezogen worden. Um dort Sisi zu wählen. Natürlich habe auch er Sisi gewählt, sagt ein Markthändler. So wie alle. Wäre es möglich, etwas anderes zu sagen? "Nicht heute. Die Menschen haben Angst."

Der Widerstand kocht in einer Seitenstraße

Der Widerstand kocht in einer Seitenstraße in der kleinen Backstube von Aiman Amin, bärtiger Philosophiestudent mit Mehl auf dem rosa Hemd, vor sich Bleche duftender Brote. "Sisi ist ein Mörder, er hat so viele Menschen auf dem Gewissen", wettert er: "Seine Gegner sind vielleicht in der Minderheit, aber sie haben die Legitimität auf ihrer Seite, weil Präsident Mursi weggeputscht wurde." Da mischen sich die Kunden des Cafés gegenüber ein: "Hör bloß auf!", rufen sie herüber: "Als Mursi an die Macht kam, hast du deine Brote umsonst verteilt, und als wir ihn abgesetzt haben, waren sie plötzlich doppelt so teuer!" In Pakistan sei der Bäcker gewesen, verkünden sie, eigentlich ist er also ein Terrorist. Es ist ein routinierter, gut gelaunter Schlagabtausch, aber er zeigt die Fronten: Hier hysterischer Zwangsoptimismus, dort opferfreudige Realitätsverweigerung.

Dabei bleiben nicht nur die Islamisten fern: Er sehe nicht ein, warum er mit seiner Stimme helfen solle, den Anschein von Demokratie zu erwecken, stichelt Aiman Abdul hinter den bunten Wänden seines T-Shirt-Standes. Sein Vater ist überhaupt noch nie zur Wahl gegangen und muss sich deshalb auch nicht umgewöhnen.

Sisi umgarnt die Frauen

Am Montag gingen vor allem viele Frauen wählen, von Sisi sanftzüngig umgarnt. Allzu viele kamen wohl trotzdem nicht, vor allem die Jugend fehlte. Die Regierung verkündete am Dienstag flugs einen freien Tag für alle Beamten. U-Bahn-Passagiere durften umsonst fahren. Militärlautsprecher, Fernsehen, Moscheen, Würdenträger und Politiker drängten die Menschen zu den Urnen. Hatte die Regierung erst noch erklärt, die große Hitze und das Fasten vor dem Ramadan habe die Ägypter von den Urnen ferngehalten, verlängerte sie die Abstimmung erst bis um zehn Uhr abends - und wenig später dann kurzerhand um einen weiteren Tag. Sisis Sieg steht zwar außer Frage. Das aber macht die Beteiligung zum Maßstab seiner Legitimität. Wie genau er das Land aus der Krise zaubern will, wissen seine Anhänger auch nicht. Vor allem will sich niemand ausmalen, was geschieht, wenn der Ex-General scheitert.

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