Kratzers Wortschatz:Wenn Ribéry bratzelt

Ob Brandner Kasper oder findiger Bauer: Gebratzelt hat jeder schon einmal - sei es den Tod beim Kartenspiel oder den Geschäftspartner um ein paar Euro. Auch so mancher Fußballer soll es schon probiert haben.

SZ-Autor Hans Kratzer erklärt Begriffe der bairischen Sprache

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Quelle: AFP

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Ob Brandner Kasper oder findiger Bauer: Gebratzelt hat jeder schon einmal. Sei es den Tod beim Kartenspiel oder den Geschäftspartner um ein paar Euro. Auch so mancher Fußballer soll es schon probiert haben.

bratzeln

Die Münchner Iberl Bühne zeigt zurzeit den Bauernschwank "Sauber brazzelt". Das aussterbende Verbum bratzeln (brazzeln, mit hellem A gesprochen) passt fürs Theater recht gut. Bratzeln heißt betrügen, übers Ohr hauen, hereinlegen. Meisterhaft beherrscht dies der Brandner Kaspar, der dem Boandlkramer beim Kartenspiel ein paar Lebensjahre abgeluchst hat. Er hat ihn ausgeschmiert nach Strich und Faden, er hat den Boandl sauber bratzelt.

Das Wort hat seinen Ursprung im bäuerlichen Handelsgeschäft, bei dem mitunter ein Geschäftspartner das, was durch Handschlag vereinbart war, nicht eingehalten hat. Die Hand ist im Bairischen als Bratzn (Pratzn) geläufig: "Der hat Pratzn wia Abortdeckel!" Deshalb also bratzeln. Heute wird das nicht mehr so eng gesehen. Wenn der Ribéry einen Dortmunder (oder wie im Bild: einen Bremer Spieler) austrickst, dann freut sich der FC Bayern-Fan: "Mei, den hod er jetz aber sauber bratzelt."

Volksfest Gillamoos

Quelle: Sven Hoppe/dpa

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Pickerl

Verkehrsminister Alexander Dobrindt schaut auf den jüngsten Pressefotos recht verzagt drein. Wahrscheinlich zwickt ihn die Maut, die er trotz aller Widerstände einführen will. Die Öffentlichkeit hält von seinen Plänen gar nichts. Neulich sagte ein Besucher im Reichstag: "Ich bin sicher, dass unsere Nachbarn keine Lust haben, uns zu besuchen, wenn sie da jedes Mal so ein Pickerl kaufen müssen."

Hoppala, ein süddeutsches Wort mitten in Berlin. Pickerl hat der Mann gesagt, nicht Aufkleber oder gar Vignette. Eigentlich stammt das Pickerl (Wapperl) ja aus Österreich. Unsere lieben Nachbarn haben schon längst Maut-Vignetten eingeführt, die der Autofahrer an die Windschutzscheibe bicken (picken) muss. Bicken kommt vom lateinischen pix (Pech) und bedeutet kleben und bappen, wobei hingebappte Dinge meistens länger bappen bleiben als hingebickte. Die Österreicher haben zum alten bairischen Wort bicken einfach das Pickerl dazuerfunden. An den Autos bickt zwar noch kein deutsches Mautpickerl, an Minister Dobrindt aber bappt das Pech.

(Im Bild: Eine fiktive Maut-Plakette beim politischen Gillamoos-Frühschoppen).

Wiesnbierprobe, die traditionelle Oktoberfestbierprobe für alle Marken, im Bier- und Oktoberfestmuseum

Quelle: Florian Peljak

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bicken und bappen

In Gerhard Polts Spielfilm "Herr Ober" (1991) fragt ein Gast in einer Boazn: "Derf i des Plakat hier ankleben?" Die von Ulrike Kriener gespielte Wirtin antwortet entgegenkommend: "Ah, bappn Sie 's hin!" Schlimmer wär's gewesen, wenn der Mann sein Bier verschüttet und auf dem Tisch alles gebappt hätte. Allemal angenehmer ist es, wenn zwei Teighälften mit Marmelade zammbappt werden.

Eine Briefmarke wiederum bickt man auf den Brief. Von Bierdimpfln sagt man, sie seien im Wirtshaus bicka bliem. Was liegt, des bickt. Das ist eine alte Kartenspielerregel: Eine gespielte Karte darf nicht zurückgenommen werden. Das zu bappen gehörende Substantiv ist der Bapp (Kleber, dunkles a), während beim Bapp (helles a) der Vater gemeint ist.

Kühe Kuhstall Laufstall RFID-Chip Funkchip

Quelle: Manfred Neubauer

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Kiah

De neue Album der Blasmusikkapelle LaBrassBanda heißt "Kiah Royal". Das hat aber nichts zu tun mit dem ähnlich klingenden Aperitiv oder mit Helmut Dietls gleichnamiger Fernsehserie aus den 80er Jahren. Die pfiffigen Musikanten haben die CD vielmehr in einem Chiemgauer Kuhstall aufgenommen. Es geht also um Kühe, und die heißen auf dem Land eben Kiah. Der Bauer sagt nicht: "Ich habe 20 Kühe", sondern: "Im Stoi stengan zwanzg Kiah." Ü- und Ö-Laute, die mit gerundeten Lippen gesprochen werden, gibt's im Bairischen nicht. Diese Laute werden deshalb beim Sprechen entrundet, also mit breitem Mund artikuliert. Diese Sprachgewohnheit ist in Altbayern schon im 13. Jahrhundert belegt. Im Dialekt wird deshalb aus dem ö ein ea: das Verb hören wird somit zu hean. Manchmal wird ein ö zu ä: aus böse wird bäs. Und häufig wird das ö zum e: aus schön wird in diesem Fall schee.

Außerdem macht der Bayer aus dem ü ein ia: So, wie aus Kühen Kiah werden, heißen Brüder im Dialekt Briada, zu den Füßen sagt man Fiass, und Grüß Gott heißt Grias God. Der schöne Spruch "Viele Kühe machen Mühe" lautet übersetzt: "Vui Kiah machan sakrisch vui Miah!"

Nachtrag:

Unsere Ausführungen zum Thema Kiah haben dem SZ-Leser Marcus Maximilian Muhr missfallen. Vor allem die Behauptung, der Bayer mache aus dem ü automatisch ein ia, lässt Muhr nicht gelten. Der gängigen These, der Bayer sei maulfaul oder nicht in der Lage, lange Vokale zu sprechen, widerspricht Muhr heftig.

Nicht der Bayer sei hier maulfaul, argumentiert er, sondern die Sprecher im Norden Deutschlands. Bei den Diphthongen ua, ia und üa handelt es sich laut Muhr um uralte Laute, die es bereits im Mittelalter gab (dortmals uo, ie und üe geschrieben) und die sich im Bairischen gehalten haben, während sie weiter nördlich zu langen Vokalen verkümmert sind.

Außerdem gebe es im Bairischen neben den Diphthongen ua, ia und üa durchaus auch "echte" lange u, i und ü, etwa in den Wörtern Kugl, Wisn und zügig, welche niemals als Kuagl oder Wiasn gesprochen werden. Wir nehmen also nichts zurück, aber gerne einiges zruck.

Oktoberfest 2014

Quelle: dpa

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speiben

Gibt es was Schöneres als den öffentlichen Nahverkehr zur Wiesnzeit? Dass das Festbier nicht jedem Fahrgast gut bekommt, was soll's. Breiige Auswürfe im Gang, unverdaute Bierbrocken unter der Sitzbank, säuerlicher Geruch im Abteil, ach wie nett ist doch der Brauch des Kotzens. Apropos kotzen. Gängiger ist in Österreich und Altbayern das Verbum speiben, das vom mittelhochdeutschen spîwen herkommt. In einem österreichischen Film sagte neulich ein Polizist nach einem Leichenfund: "Mein Kollege hat beim Anblick des Toten speiben müssen." Ein deutscher Zuhörer korrigierte: "Erbrechen heißt das."

Die Verben erbrechen, sich übergeben, speien, spucken in allen Ehren. Aber wenn sich ein Wiesngast im Zug übergibt, sagt der Bayer trotzdem: "Der Saubär hat gschpiem." Eine derbe, in freundschaftlicher Runde aber populäre Grußformel lautet dementsprechend: "Guat schaust aus, host gschpiem?" Statt speiben wird auch das Verb reihern verwendet. Dies rührt vom Reiher her, der seinen Nachwuchs füttert, indem er die vorher aufgenommene Nahrung wieder aus seinem Kropf herauswürgt. Der Reiher handelt freilich deutlich zivilisierter als das Wiesnvolk, das im Zugabteil lallend droht: "Mir ist zum Speiben!"

In der Beliebtheitsliste der körperlichen Ausscheidungen rangiert der Rotz (Nasenschleim) nur knapp vor dem Erbrochenen. Die Rotzglocke ist seit Erfindung des Taschentuchs zwar gezähmt, aber noch nicht ausgestorben. Rotz- wird im pejorativen Sinne gerne mit anderen Wortgliedern verbunden. Bekannt sind der Rotzbua und der Rotzlöffel, beide sind rotzfrech. In diese Reihe gehört auch die Rotzbippn, also das weibliche Pendant zum Rotzbua. In diesem Wort könnte nach einer Theorie des Dialektologen Ludwig Zehetner das französische pipe stecken (Rohr, Pfeife). Im Bairischen ist die Pipp (Pippen) eine Tabakspfeife, die Pipe ist dagegen ein Zapfhahn.

Folkestone Triennal offers visitors a participatory art installat

Quelle: dpa

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ruachad

Der aus Niederbayern stammende Künstler Michael Sailstorfer hat einen Goldrausch ausgelöst. An einem Strand in Südengland hat er im Dunkel der Nacht 30 Goldbarren vergraben. Sailstorfer handelte im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, denn das Ganze war eine Kunstaktion. Den Schatzsuchern ist es freilich wurscht, ob das Kunst oder Spinnerei ist. Mit Metalldetektoren suchen sie nun hektisch den Strand ab. Das Bairische kennt für diesen Trieb die Wörter Ruach, ruacheln und ruachert. Ein Ruach ist ein habgieriger Mensch, der alles zusammenrafft, was leicht hergeht. Am Buffet ist der Ruach schnell zu erkennen, denn er schaufelt mehr auf seinen Teller, als sein Magen aufnehmen kann. Auch Sailstorfers Kunstaktion belegt: Auf der Jagd nach Gold wird der Mensch ruachad, er ruachelt.

Allerdings hat Sailstorfer auch wertlose Metallplättchen vergraben. Schließlich muss man den Ruach auch ein bisserl tratzen. Das ist wahre Kunst, ist es nicht?

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Quelle: DAH

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Grantlhuber

Der Schauspieler Erich Hallhuber ist bereits 85 Jahre alt, aber er mimt in der BR-Serie "Dahoam is Dahoam" unverdrossen den Kioskbetreiber Alois Preissinger, einen Grantlhuber (Grantler) von Gottes Gnaden. Er verkörpert quasi die Inkarnation des Grants. Am Samstag war auf dem Drehgelände in Dachau ein Fantag, zu dem 12.000 Besucher anreisten. Auf dem Produktionsgelände schrieb Hallhuber fleißig Autogramme und gab sich dabei recht leutselig. Die Fans unterscheiden allerdings nicht zwischen dem realen Hallhuber und der Figur Preissinger. "Ach, da steht ja der Grantlhuber", sagten einige Passanten, während Hallhuber jovial mit dem Publikum scherzte.

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Quelle: Robert Haas

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Brisil

Bayern und Brasilien sind nicht nur durch den Fußball eng miteinander verbandelt. Schon die Prinzessin Therese von Bayern ist in die brasilianischen Tropen gereist (1898), um die Pflanzen- und Tierwelt zu erforschen. Sicher hat sie dabei auch Tabakblätter gepflückt. Die bayerische Raucher- und Schnupfergemeinde giert ja seit anno Tobak nach dem brasilianischen Tabak. Besonders begehrt ist die Sorte Brasil, die als Zigarrentabak geeignet ist, aber ihrer Würze wegen auch für die Herstellung des Schmalzlers (Schmai) verwendet wird.

Den Brasil-Schnupftabak nannte man früher in Südbayern Brisil und näher zur Donau hin auch Bräsil. In Zeiten, in denen die Kenntnis anderer Länder noch unterentwickelt war, dachte der Konsument vielleicht mehr an die Prise (Bris), die man sich zuführen wollte. Und so entstand aus der Prise Brasil eben der Brisil (Betonung auf dem zweiten Vokal) respektive der Bräsil.

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Quelle: AFP

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da gibt's koan Radi

Mit seinen Rettungseinsätzen außerhalb des Strafraums hat der Torwart Manuel Neuer bei der WM für Furore gesorgt. Allerdings war er nicht der erste Torwächter, der solche Ausflüge gewagt hat. Petar Radenkovic, besser bekannt als der "Radi" des TSV 1860, graste schon in den 60er Jahren das ganze Spielfeld ab - wenn er nicht gerade gesungen hat. Sein größter Hit hieß "Bin i Radi, bin i König". Der Radi (Rettich) ist aber auch ein Hauptnahrungsmittel im Biergarten. Die davon abgeleitete Redewendung "Do gibt's koan Radi" bedeutet: Darüber wird nicht diskutiert, das ist so, basta! Wenn Torwart Neuer das Tor verlässt, gibt's für ihn koan Radi, schließlich hat's ihm ja der alte Radi vorgemacht, und zwar radibutz (kompromisslos).

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Quelle: AFP

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Die Picke

Die Fußball-WM prägt sogar unsere Sprache. Das zeigte das Eröffnungsspiel, bei dem ein Wort zu Ruhm gekommen ist, das eher unattraktiv klingt. Ein brasilianischer Spieler (Oscar, s. Foto r.) schoss gegen Kroatien ein Tor mit der Picke, wie dem TV-Publikum mehrmals erklärt wurde. Mit der Picke (Fußspitze) zu schießen, gilt unter Fußballern als mangelhaft. Der Könner streichelt den Ball lieber mit dem Innen- und Außenrist und schießt mit dem Spann. Die Picke erlaubt nur unpräzise Torschüsse, auch wenn die brasilianischen Ballkünstler manchmal das Gegenteil beweisen. Schon bei der WM 2002 erzielten sie ein Tor mit der Picke - also mit einem Bauernspitz, wie man in Bayern sagt. Das Wort Bauernspitz drückt das Ungeschlachte und Grobe dieser Schusstechnik präziser aus als die Picke. Das Fernsehen macht die Picke nun so populär, dass der bildhafter klingende Bauernspitz vermutlich keine Zukunft mehr hat.

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Quelle: Marco Einfeldt

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Der Pickel

Im Süden mag die Picke komisch klingen, aber es gibt dort ein ähnliches Wort, nämlich den Pickel (Bickel), das bayerische Pendant zur Spitzhacke - nicht zu verwechseln mit dem Hautpickel, der im Süden wiederum als Eiterbatzl bekannt ist. Der Pickel hängt mit dem Verb bicken (stechen, stoßen) zusammen, was auf eine Entlehnung aus romanischen Sprachen hinweist (italienisch beccare = hacken). Auf unangenehme Weise ragt die Pickelhaube aus dieser Wortfamilie heraus, jener spitzige Militärhelm, der einst zum Sinnbild für preußischen Militarismus wurde.

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Quelle: Robert Haas

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Das Pickelsteiner

Wer mit dem Pickel Steine klopft, der braucht Energie, die ihm das Pickelsteiner (Pichelsteiner) liefert, ein bewährtes Eintopfgericht aus Kartoffeln, sonstigem Gemüse und gewürfeltem Schweinefleisch. Diese Kraftnahrung ist angeblich nach dem Büchelstein im Bayerischen Wald benannt. Dort wurde 1839 erstmals ein Büchelsteiner Fest gefeiert. In Hungerjahren war das ähnlich spektakulär wie heutzutage ein Torerfolg mit einem Bauernspitz.

Mieterprotest in Pankow

Quelle: Jörg Carstensen/dpa

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Falott

Eine freundliche Dame, die noch mit dem fast verklungenen Münchner Stadtdialekt aufgewachsen ist, hat uns auf das Wort Falott hingewiesen, das ihr neulich wieder eingefallen sei. Alte Münchner kennen den Falott als Gauner, Bazi und Schlawiner. Das Wort besaß allerdings einen eigenen Zungenschlag. Diese Kleinkriminellen, die in den Boazn und Hinterhöfen zu Hause waren und idealtypisch in Willy Puruckers Kriminalserie "Löwengrube" aufscheinen, gibt es in dieser Form nicht mehr. Das Wort Falott hat seine Schuldigkeit getan, und schad ist es drum. Über seine Wurzeln gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Vielleicht spielt das lateinische fallare (betrügen) hinein oder das französische porte-falot, das einen Laternenträger benannte, der den Leuten nächtens heimleuchtete. Im Linzer Volksblattvom 8. September 1931 ist ein Satz zu lesen, der zumindest belegt, dass man den Falott jederzeit wieder in unseren modernen Sprachgebrauch einführen könnte. Dort heißt es: "An Stelle des Monarchen kam eine Herde von Gaunern und Falotten, die nichts anderes können, als Steuergelder vergeuden."

ude hoeneß

Quelle: Robert Haas; Robert Haas

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einen Gift haben

Der frühere Münchner Oberbürgermeister Christian Ude hat neulich in einem Interview mit Uli Hoeneß abgerechnet. Der Ex-Präsident des FC Bayern sei ihm nie als Vertreter moralischer Qualitäten aufgefallen, sagte Ude, der im Lauf der Jahre als 1860-Anhänger vom FC Bayern ebenfalls so manchen Seitenhieb verpasst bekam. Im Bairischen kommt in solchen Fällen das Wort Gift zum Einsatz, im Sinne von Ärger, Zorn, Groll: Hoeneß hat einen Gift auf Ude, und Ude hat einen Gift auf Hoeneß. Dass es diese Wendung schon lange gibt, zeigt ein Blick in die Literatur. In Wugg Retzers Stück "Doppelte Buchführung" von 1969 fragt einer, "warum sie einen solchen Gift auf mich gehabt hat." Und Lena Christ schreibt im Roman Madam Bäurin (1919): "Was hat er dir denn to, . . . dass d' an solchen Gift hast auf eahm?" Wer aufbrausend reagiert, gilt als ein Gifthaferl. Weniger bekannt ist die Giftnudel, die vor allem im US-Showbusiness weit verbreitet ist.

Solange Knowles

Quelle: AP

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Ochsenfiesl

Unsere Reflexionen über Frau Knowles, die ihren Schwager verprügelt hat (s. unten), erinnerten SZ-Leser Hans Stoerringer an die eigene Jugend, vor allem an die Züchtigung mit dem "Ochsnfiesl(er)", auch Ochsenziemer genannt, der im Hausflur gehängt ist. Das war ein gedörrter Stierpenis, der als Schlagstock verwendet wurde. Verständlich, dass die Kinder Reißaus nahmen. "Ich hab mich beim Nachbarn im Scheißheisl versteckt, bis sich der Sturm der Entrüstung wieder einigermaßen gelegt hat", schreibt Stoerringer, der diesbezüglich unser vollstes Verständnis hat.

Trainingslager Südtirol - Testspiel

Quelle: dpa

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enk

So schön es in Südtirol auch sein mag, für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verlief die dortige WM-Vorbereitung desaströs. Verletzungen, Unfälle und Unbotmäßigkeiten prägten den Aufenthalt der Kicker, der seltsam konträr zur Freude der Einheimischen stand.

"Mir freien ins auf enk" (wir freuen uns auf euch) begrüßten die Südtiroler die Fußballer auf flächigen Plakaten, auf denen ein Almhirte lächelnd einen Korb voller Fußbälle schultert. "Extra für enk", wie die Südtiroler sagen würden. Enk (eng) ist ein kostbares Sprachrelikt und im südbayerischen Dialekt der Südtiroler noch sehr präsent. Sie meiden die standardsprachlichen Pronomina ihr, euch, und euer und gebrauchen stattdessen die Altformen es, enk und enker, mit deren Hilfe im germanischen Sprachraum die Zweizahl, der Dualis, ausgedrückt wurde. Entsprechend gehe enk auf ein Wort zurück, das bei den Germanen "euch beide" bedeutet hat, sagt der Leipziger Sprachwissenschaftler Hans-Ulrich Schmid. Dieser Dualis wurde später im Deutschen aufgegeben, nicht aber im Bairischen. Erst jetzt verschwindet enk auch in Bayern. "Wia gehts eich?", sagt man jetzt statt "wia gehts enk?"? Und: "Seids ihr schon da?" statt "seids es schon da?" Und: Ist des euer Auto?" statt "ist des enker Auto?" Letztes Relikt der alten enk-Pronomina ist laut Schmid das am Verb hängende s: "Seids ihr narrisch!" Dennoch rufen wir den Fußballern zu: "Wir wünschma enk vui Glück."

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Quelle: AFP

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Plempel

So verrückt ist der Lauf der Weltgeschichte: Während Dauerregen und Überschwemmungen Zehntausende Menschen auf dem Balkan in die Flucht treiben, zelebrieren wenige hundert Kilometer weiter nördlich siegestrunkene FC-Bayern-Fußballer einen Bierregen. Seit einigen Jahren werden sportliche Erfolge auf dem Fußballplatz mit sogenannten Bierduschen gefeiert.

Dabei wird das Gebräu literweise über die Köpfe von Fußballern und Anzugträgern geschüttet, und die TV-Sender bejubeln das Geschehen als einen hochkulturellen Akt. Kein Wunder, dass mittlerweile auch die Grobmotoriker aus der Hammelklasse ihren vorletzten Platz mit ausgelassenen Bierduschen feiern. Nicht jedem gefällt das.

Von "grobem Unfug" spricht so mancher Leserbriefschreiber, hier gehe es schließlich um ein Lebensmittel. Ein Leser ging auch mit den Brauereien hart ins Gericht. Wenn diese, so argumentierte er, ihr Bier für Bierduschen zur Verfügung stellten, dann frage er sich, ob dieser Plempel nur zum Verschütten gut genug sei. Für die Hersteller ist es eine Höchststrafe, wenn ihr Bier als Plempel verunglimpft wird (gesprochen: Blembbe, mit sehr hellem e). Unter einem Plempel (Plempe=fades Getränk) versteht man in Bayern ein minderwertiges, dünnes Bier. Wehe dem Wirt, der so etwas ausschenkt: "Den Blembbe konst selber sauffa!", sagt der frustrierte Gast.

Fashion Week Berlin - Vogue Fashion Night

Quelle: dpa

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Bosheitsschippel

Kollege E. trägt einen lustigen Schopf. Zweifellos ist der freundliche Mann jener kammskeptischen Avantgarde zuzurechnen, der die jagerische Freiheit wichtiger ist als eine stylishe Gelfrisur. Als kürzlich auf seinem Haupt ein ungezähmtes Haarbüschel steil himmelwärts ragte, hat ihn eine freche Kollegin auf dem Flur gefragt, ob denn das sein Bosheitsschippel sei.

Die vorlaute Kollegin griff in dieser Szene auf ein Wort zurück, das in keinem Lexikon Erwähnung findet und auch etymologisch kaum erforscht ist. Trotzdem prägt der Bosheitsschippel die mediale Bilderwelt schon seit anno Tobak. Erst kürzlich prangte in Heidi Klums Topmodel-Sendung auf dem Haupt des Jurors Wolfgang Joop ein unbezähmbarer Bosheitsschippel. Er war von ähnlicher Dominanz wie jener des Alfalfa Switzer, eines Stars der in den 1920er Jahren gestarteten US-Kinderserie "Die kleinen Strolche". Alfalfa war keiner Schandtat abgeneigt, sein Bosheitsschippel war sozusagen Programm.

Den berühmtesten Bosheitsschippel aber trägt der böse Moritz in Wilhelm Buschs Bildergeschichte "Max und Moritz". Schon ein Selbstporträt von Busch zeigt jenen Haarwirbel, den er dann auf die Figur Moritz übertrug. Im Sprachschatz des Nordens wird dieser Wirbel als kesse Tolle gewürdigt, im Süden als Bosheitsschippel, was im Falle des Moritz höchst angebracht ist: "Ach, was muss man oft von bösen / Kindern hören oder lesen! / Wie zum Beispiel hier von diesen, / welche Max und Moritz hießen . . ." Das Wort Schippel benennt im Bairischen ein Bündel oder ein Büschel und wird beim Gras ebenso wie bei Haaren verwendet: "Dem gengan ja de Haar schippelweis aus!"

Solange Knowles

Quelle: AP

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Jemandem eine duschen

Wenn es so heftig regnet wie in den vergangenen Tagen, ist mancherorts ein altes Synonym zu hören: "Heut duscht's wieder gscheit!" Dieses Verb kann aber auch eine andere Bedeutung haben. Solange Knowles (27), die jüngere Schwester der US-Trällerliese Beyoncé (32), hat uns diese Variante soeben ins Gedächtnis gerufen. Die Dame hat nämlich Temperament, man möchte nicht unbedingt mit ihr verwandt sein.

Sonst erginge es einem vielleicht so ähnlich wie dem armen Rapper Jay-Z, der nach einer Party in New York von der guten Solange verprügelt wurde. Eine Überwachungskamera zeichnete auf, wie sie dem Gemahl ihrer Schwester eine geduscht hat. Nur zu sagen, sie habe ihm eine Watschn verpasst, wäre zu harmlos. Solange malträtierte Jay-Z vielmehr mit Tritten und einer saftigen Bockfotzn. Wenn man jemandem eine duscht, dann erfolgt der Schwung der Watschn nicht nur aus dem Hand-, sondern aus dem Schultergelenk. In der S-Bahn kommentierte eine ansonsten hochdeutsch redende Frau den Fall recht ähnlich: "Dem hätt' ich auch eine neiduscht!" Ein Warnruf in der prügelfreudigen Erziehungskultur der 60er Jahre lautete: "Gib a Ruah, sonst dusch i dir oane . . .!"

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Quelle: wor

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Hädidadiwari

Das neue Album des Straubinger Liedermachers Mathias Kellner trägt den Titel "Hädidadiwari", der sich freilich nur Dialektsprechern erschließt. Viele halten das Bairische für krachert, es ist aber auch zutiefst philosophisch. Mit minimalen Mitteln erreicht der Dialektsprecher eine maximale Wirkung. Anders als ARD und ZDF, die für die Übermittlung des Liebesschwurs "I mog di!" einen 90-minütigen Schmalzstreifen mit Schnulzengedudel benötigen. Hädidadiwari ist ein geflügeltes Wort für Situationen, in denen sich der Mensch seiner Endlichkeit bewusst wird und ins Sinnieren kommt. Hätte ich, täte ich, wäre ich doch. . . So könnte man den Terminus übersetzen, ohne allerdings seine Seele zu treffen, denn die schwingt nur im dialektalen Klang mit.

Hädidadiwari berührt das Fundament des menschlichen Seins: Wo komme ich her, wo gehe ich hin, warum hab ich mich so entschieden? So denkt der Zweifelnde, der das Rad des Lebens zurückzudrehen will. Dieser Gedanke ist sinnlos, sagt Kellner. Und so wird jedes Nachdenken darüber, ob eine Entscheidung richtig war, mit dem Fazit hädidadiwari beendet. Das heißt: Der Mensch kann sich nur einmal entscheiden, dann hat er sich den Folgen seiner Handlungsfreiheit zu ergeben.

© SZ.de//ahem
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