Medien und Whistleblower:Eine Frage der Macht

Glenn Greenwald

Glenn Greenwald bei einer Veranstaltung in Washington, DC, am 14. Mai 2014.

(Foto: AFP)

Die "New York Times" diskutiert am Beispiel des Journalisten und Aktivisten Glenn Greenwald, wer in einem Land Geheimnisse ausplaudern darf.

Von Willi Winkler

Rezensionen sind kein dankbares Geschäft. Der Verlag und der Autor lechzen zwar danach, weil die lobhudelnde Kritik als Gratisposten fest im Werbeetat eingeplant ist, aber dann sind sie doch nie zufrieden, weil der Kritiker wieder zu viel kritisiert und zu wenig gelobt hat. Andererseits: Wen kümmert denn schon eine Buchkritik?

Manchmal wird es aber doch ernst. Die New York Times hat vor ein paar Tagen in ihrer Online-Ausgabe einen Text veröffentlicht, in dem der politische Kolumnist Michael Kinsley zwar vorgeblich Glenn Greenwalds Buch "No Place to Hide" (deutsche Ausgabe: "Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen") bespricht, die gute Gelegenheit aber benutzt, um die Machtverhältnisse zurechtzurücken. Es sei nicht Aufgabe und auch nicht das Recht der Presse, Geheimnisse bekannt zu machen. "In einer Demokratie muss die Entscheidung darüber letztlich bei der Regierung liegen."

Das rührt an die Pressefreiheit und muss das Selbstverständnis eines jeden Journalisten, einer jeden Journalistin kränken. Greenwald hat zusammen mit Laura Poitras einen Teil der von Edward Snowden entwendeten Daten über illegale Abhörpraktiken der US-Regierung weltweit, unter anderem auch in der New York Times , hinausposaunt. Deshalb gilt er den einen als Held und den anderen als Vaterlandsverräter. Einige patriotische Amerikaner würden ihn am liebsten neben Snowden am Galgen baumeln sehen.

Keine Regierung, sie mag noch so demokratisch legitimiert sein, hat ein Interesse daran, das Staatsvolk über alle Regierungsgeschäfte im finsteren Detail ins Bild zu setzen. Als 1962 wegen des Verdachts, Redakteure hätten militärische Geheimnisse verraten, der Spiegel besetzt und seine Existenz bedroht wurde, rief Bundeskanzler Adenauer beim Verleger Axel Springer an, um ihm zu versichern, dass der Staat zurecht gegen die freie Presse vorgehe. Deshalb durfte ein regierungskritischer Kommentar Sebastian Haffners nicht in der Welt erscheinen. Ernst Cramer, der als stellvertretender Chefredakteur Springer und Adenauer willfahren musste, hat das später sehr bedauert.

Kinsley hat vollkommen Recht: Niemand hat die New York Times gewählt, niemand hat irgendein Medium gewählt, aber die amerikanische Verfassung (in Deutschland das Grundgesetz) garantiert die Freiheit der Presse. Das Geschäft von Zeitungen, von allen Medien war seit je neben dem üblichen Tritsch-Tratsch, auf den der Leser Anspruch hat, die Kritik der Mächtigen und im Zweifel auch der Verrat. Anders als die Regierungspropaganda behauptet, haben Snowdens und Greenwalds Enthüllungen keine Amerikaner gefährdet, sondern nur offenbart, wie gründlich im Namen der Demokratie alle einschließlich der Bundeskanzlerin überwacht werden.

Der Protest, der sich gegen Kinsleys Klärung der Machtfrage regte, war so heftig, dass Margaret Sullivan sich als "Public Editor", also Mittler zwischen der Zeitung und ihren Lesern, der Sache annahm und - ein bisher unerhörter Vorgang - die Zeitung dafür tadelte, dass sie eine so einseitige Rezension gebracht habe. Die Times gilt nach wie vor als seriöseste Zeitung der Welt, aber sie hat ihren Ruf aufs Spiel gesetzt, als sie die bestens eingebettete Reporterin Judith Miller regierungstreu die Existenz von Massenvernichtungswaffen behaupten ließ. Die Times hat aber auch die Pentagon-Papiere des Whistleblowers Daniel Ellsberg veröffentlicht und damit zum Ende des Vietnamkriegs beigetragen. Ohne Verrat, ohne zum Verrat bereite Zeitungen taugt die beste Regierung nichts.

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