Diskussion über Polizeigewalt:Wenn Beamte zuschlagen

Demonstration - Kein Neonazi-Zentrum in München-Obermenzing! Auftakt: Bahnhofsvorplatz München-Pasing

Polizisten bei einer Demonstration gegen ein Neonazi-Zentrum in München-Obermenzing.

(Foto: Florian Peljak)

Bei einer Neonazi-Veranstaltung kommt es zum Gerangel zwischen Polizisten und Gegnern der Rechtsradikalen. Demonstranten kommen vor Gericht - der Hieb eines Polizisten bleibt ohne Folgen. Mangelt es der Justiz an Unvoreingenommenheit?

Von Bernd Kastner

Sie haben akribisch ermittelt, aber vor allem in eine Richtung. Sie haben genau hingeschaut - und doch Wichtiges übersehen oder ignoriert. Es galt, aus einer wogenden Menge von vorwiegend schwarz gekleideten Menschen - hier Demonstranten, dort Polizisten - jene herauszufinden, die Unrecht getan haben. Linke Nazigegner wollten auf der Sonnenstraße einen Marsch extrem Rechter stoppen, Polizisten versuchten, die Blockierer abzudrängen. Auf Polizeivideos ist das minutenlange Gerangel dokumentiert.

Ermittelt haben Polizei und Staatsanwaltschaft anschließend mutmaßliche Straftäter unter den Demonstranten. Ein Polizist aber, der seine Faust gegen einen Nazigegner einsetzte, blieb lange Zeit unbeachtet. Bis irgendwann eine Richterin sagte: Diese Schläge waren nicht in Ordnung. Am Ende aber wurde das Verfahren gegen den Beamten eingestellt. Die Demonstranten dagegen kamen vor Gericht: wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Es war im Januar 2012, wenige Wochen nach Enttarnung des NSU-Terrortrios. Neonazis marschierten durch München, kurz nach dem Start am Hauptbahnhof spielten sie die Paulchen-Panther-Melodie, die dem NSU als Untermalung seines Bekennervideos gedient hatte. Die Polizei versuchte, die Sonnenstraße von Gegendemonstranten zu räumen, Linke und Beamte drückten und schoben gegeneinander. Die Ermittler der Kripo müssen sich diese Szenen immer wieder angesehen haben, denn es galt, die Nazigegner zu identifizieren, die Widerstand geleistet haben. Durch Unterhaken beim Nachbarn zum Beispiel und die Weigerung, zu gehen. Gegen etwa ein Dutzend mutmaßliche Täter beantragte die Staatsanwaltschaft Strafbefehle beim Amtsgericht, später kam es zu öffentlichen Prozessen.

"Keinesfalls gerechtfertigt"

Zum Beispiel gegen Franz Jung (Name geändert). Der heute 24-Jährige wurde in erster Instanz verurteilt, ging aber in Berufung, das Landgericht sprach ihn frei. Begründung: Der Einsatz des USK gegen Jung sei "nicht rechtmäßig" gewesen, weil die Polizei nicht nachgewiesen habe, dass der Mann die Aufforderung zur Räumung auch gehört habe. Aber die Richterin ging noch weiter, weil sie offenbar genauer hinschaute als die Ermittler: Sie erkannte auf dem Video einen Polizisten, der im Geschiebe Jung die Mütze vom Kopf reißt und wegwirft und dann mit Hand und Faust gegen den Demonstranten schlägt. "Eine solche Diensthandlung", formuliert die Richterin in ihrem Freispruch für Jung, sei "keinesfalls gerechtfertigt".

Obwohl Jungs Anwalt Marco Noli den Fausteinsatz schon in erster Instanz moniert hat, sieht sich die Staatsanwaltschaft im März 2013, gut ein Jahr nach der Demo, veranlasst, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten wegen Körperverletzung im Amt, gegen Unbekannt zunächst. Es dauert drei Monate, bis der Polizist identifiziert ist: Er gehört dem Unterstützungskommando (USK) Nürnberg an. Jung gibt zu Protokoll, dass er unter anderem einen Faustschlag gegen den Unterkiefer bekommen habe. "Ziemlich fest" sei der Schlag gewesen, kurz sei ihm schwarz vor Augen gewesen.

Knapp zwei Jahre nach der Demo teilt der beschuldigte Polizist, damals 30, via Anwalt seine Version mit: Jung habe mit Füßen gegen ihn getreten (was Jung bestreitet). "Zur Abwehr von weiteren Tritten führte der Beschuldigte deshalb einen Schlag mit der Hand gegen die Brust des Herrn Jung." Das sei "mit Sicherheit kein unverhältnismäßiges Mittel" gewesen, zumal die Brust mit Winterbekleidung gepolstert gewesen sei. "Notwehr-Schlag" nennt der Verteidiger das Agieren des Polizisten.

"Augenblicksversagen" im Stress

Die Staatsanwältin stellt das Ermittlungsverfahren ein: Die Schuld sei geringfügig. Zwar konstatiert sie vier Schläge oder Stöße mit Faust oder Hand gegen Oberkörper, Hals und Gesicht des Demonstranten, der dadurch Schmerzen erlitten habe. Dennoch erkennt sie kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung. Das begründet sie nicht nur damit, dass der USK-Mann bisher strafrechtlich nicht auffällig geworden sei und Jung nicht schwerer verletzt wurde.

Sie billigt dem USK-Beamten ein "Augenblicksversagen" zu "aufgrund der einsatzbedingten besonderen Stresssituation". Und noch einen Grund nennt sie für die Einstellung: "Es besteht die begründete Erwartung, dass bereits die Einleitung des hiesigen Ermittlungsverfahrens den Beschuldigten nachhaltig beeindruckt hat, so dass keine weiteren strafrechtlichen Maßnahmen zur Einwirkung auf ihn veranlasst sind."

"Eklatante Ungleichbehandlung" von Bürgern und Polizisten

Anwalt Noli wertet den Gang der beiden Ermittlungsverfahren als "eklatante Ungleichbehandlung" von Bürgern und Polizisten und "Beleg dafür, dass die Staatsanwaltschaft beschuldigte Polizisten milder behandelt". Dass die gegen seinen Mandanten ermittelnden Beamten im Polizeipräsidium München der Staatsanwaltschaft die Schläge ihres USK-Kollegen nicht mitgeteilt haben, sei ein "Versagen des Systems der internen Ermittlungen".

Während sich das Münchner Präsidium nicht äußert zu den Ermittlungen, weist Thomas Steinkraus-Koch, Sprecher der Staatsanwaltschaft München I, die Kritik zurück. Nachdem das Amtsgericht im Prozess gegen den Demonstranten das Agieren der Polizei für rechtmäßig erklärt hatte, habe "keine Notwendigkeit" bestanden, gegen den Polizisten zu ermitteln.

Außerdem müsse man berücksichtigen, dass einem Polizisten, anders als einem normalen Bürger, ein Disziplinarverfahren drohe. Dies müsse die Justiz "zu Gunsten des Beamten strafmildernd berücksichtigen", um so eine Gleichbehandlung zu anderen Bürgern zu gewährleisten. Im Übrigen, betont der Sprecher, habe ja ein Gericht der Einstellung zugestimmt, und zwar "nach eigener Auswertung" des Videos. Zuständig war dafür das Amtsgericht. Und das hatte schon in erster Instanz nichts am Polizeieinsatz auszusetzen gehabt.

Im Polizeipräsidium Mittelfranken heißt es, man prüfe, ob wegen der Schläge ein disziplinarrechtliches Verfahren gegen den Beamten einzuleiten sei. Der Polizist arbeitet heute als Streifenbeamter.

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