Matteo Renzi nach der Europawahl:"Wir sehen Deutschland nicht als Gegner, sondern als Vorbild"

Matteo Renzi Ministerpräsident Italien

Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi übernimmt am 1. Juli die EU-Präsidentschaft.

(Foto: Pietro Masturzo für La Stampa)

Bei der Europawahl hat die Demokratische Partei um Matteo Renzi in Italien 42 Prozent eingefahren. Er möchte Europa verändern - und setzt mit einem umfassenden Reformpaket bei seinem eigenen Land an.

Von Andrea Bachstein, Rom

Große Investitionen in Wachstum und Arbeit will Italiens junger Regierungschef Matteo Renzi für das im Juli beginnende Halbjahr der italienischen EU-Präsidentschaft auf die Agenda bringen. Wenn die Politik weiterhin allein auf Sparen ausgerichtet bleibe, "wird Europa scheitern", sagte der Mann, der am vergangenen Sonntag das europaweit beste Wahlergebnis eingefahren hat. Er sieht die EU an einem Scheideweg: "Wenn wir Europa retten wollen, müssen wir Europa verändern", und zwar dahin, "dass es den Bürgern dient und eine Seele bekommt", so Renzi an seinem Regierungssitz Palazzo Chigi in Rom.

Zum ersten längeren Interview mit der ausländischen Presse, das er der Süddeutschen Zeitung, El Pais, The Guardian, Le Monde und der italienischen La Stampa gab, erscheint der 39-Jährige frühere Bürgermeister von Florenz, das Wunderkind der italienischen Politik, in Jeans und Turnschuhen. Er spricht auch über Persönliches. So sieht er, der seit Jahren dafür gekämpft hat, die alte Politikerkaste "zum alten Eisen zu werfen" seine langfristige Zukunft nicht unbedingt in der Politik: "In zehn Jahren sind wir es, die verschrottet werden müssen", sagt der Sozialdemokrat über sich und sein Kabinett der um die 40-Jährigen.

Im akuten Konflikt um die Besetzung des EU-Kommissionspräsidenten will Italiens Regierungschef keinen Favoriten nennen, weder Jean-Claude Juncker, noch Marin Schulz oder einen anderen: "Ich gehöre zu denen, die bei den Nominierungen weniger der Name interessiert, sondern mehr die Agenda des Kandidaten." Einen Erneuerer wünscht sich Renzi, der Europa aus Überzeugung für Europa verändern wolle. Ein Konflikt der Institutionen zwischen dem EU-Parlament und dem Rat müsse aber vermieden werden.

Der Ukraine-Konflikt, eine gemeinsame Energie- und Immigrationspolitik sind für Renzi weitere Schwerpunkte des italienischen EU-Vorsitzes. Den energischen Reformkurs zu Hause fortzusetzen, sieht Renzi als Bedingung im großen Zusammenhang: "Wir können uns erlauben, zu sagen, wir wollen Europa ändern, weil wir bei uns anfangen." Italien ist nach seiner Ansicht dabei, sich zutiefst zu verändern.

"In den nächsten paar Jahren wird hier kein anderer sitzen."

Der Sozialdemokrat wirkt nicht übermütig, aber er ist sichtlich bester Dinge: Gut 100 Tage nach seinem Amtsantritt hat er bei den Europa-Wahlen mit seiner Partei PD 42 Prozent erzielt. Sein großer Herausforderer, die Antiparteien-Bewegung Fünf Sterne von Beppe Grillo, landete deutlich abgeschlagen. Italien habe sich bei der Wahl für Stabilität entschieden, "und wir interpretieren das als Aufgabe sehr harte und deutliche Reformen umzusetzen."

Nicht nur sein innenpolitisch hat die Wahl Renzi deutlich bestätigt, sie wertet auch seine Rolle in der EU auf. "Matador" hat Angela Merkel in Brüssel den 39-Jährigen angesichts seines Erfolgs genannt, und Renzi nennt sein Verhältnis zu Deutschland und der Bundeskanzlerin "optimal", trotz der verschiedenen politischen Ausrichtungen. Er machte aber auch klar, dass er nichts hält von "privilegierten Achsen" zwischen einigen Ländern.

Dass mehrere Parteien in Italien Stimmen gewinnen wollten mit dem Bild eines feindseligen, zu dominanten Deutschland, verurteilt er als "unelegant und vulgär". Seine Ansicht sei immer gewesen, dass an den Problemen der einzelnen Länder nicht Europa Schuld hat. "Ich sehe Deutschland nicht als Gegner, sondern als Vorbild", sagte Renzi und nannte als Beispiele die die öffentliche Verwaltung und die Regelung des Arbeitsmarktes.

Für sein eigenes Land verweist Renzi auf die Reformen von Wahlrecht, Verfassung und Arbeitsrecht, die ihren Weg durchs Parlament begonnen habe. Die Reformen der öffentlichen Verwaltung seien vorgelegt und bis Ende Juni soll der Entwurf der großen Justizreform folgen. Dass es für Italien und das Vertrauen seiner Bürger in die Politik dramatisch wäre, würde er auf halber Strecke scheitern, wie seine Vorgänger, ist Renzi klar: "Wir machen die Reformen, diesmal macht Italien ernst", versichert er und auch, dass er durchhalten will: "Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber in den nächsten paar Jahren wird hier kein anderer sitzen."

Ein ausführlicher Bericht über Matteo Renzi erscheint in der Montagausgabe der SZ.

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