Freigelassener US-Soldat:Spekulationen um Bergdahl

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Bowe Bergdahl (rechts) kurz vor seiner Freilassung neben einem Taliban-Kämpfer (Foto: AP)

Wurde Bowe Bergdahl entführt, als er desertieren wollte? In den USA kursiert gerade ein Untersuchungsbericht. Demnach habe der Soldat in der Nacht seines Verschwindens Wasser und einen Kompass mitgenommen. Und es soll nicht sein erster unerlaubter Ausflug gewesen sein.

Von Kim Björn Becker

Amerika ist gespalten: Eine Woche nachdem der US-Soldat Bowe Bergdahl nach fünfjähriger Gefangenschaft von den Taliban freigelassen wurde, ist in den Vereinigten Staaten ein Streit darüber entbrannt, wer oder was Bergdahl nun eigentlich war. Denn die Begleitumstände seines Verschwindens am 30. Juni 2009 geben immer noch Rätsel auf. Wollte er Fahnenflucht begehen? Hat er seinen Dienst nur so locker genommen wie auch andere aus einer Truppe? Wie konnte es überhaupt passieren, dass er das Opfer einer Entführung wurde?

Derjenige, der Licht in die Debatte bringen kann, ist Bergdahl selbst. Doch der heute 28-Jährige wird im amerikanischen Militärkrankenhaus im rheinland-pfälzischen Landstuhl behandelt. Er sei in stabiler Verfassung, sagte ein Sprecher der Klinik. Wann er befragt werden kann, ist aber noch unklar.

Solange Bergdahl sich nicht zu den genauen Umständen seiner Entführung äußern kann, versuchen andere, die vermeintlichen Motive des Soldaten sowie seine Vorgeschichte zu deuten. Die New York Times zitiert aus einem geheimen Bericht von August 2009, in dem das amerikanische Militär die ersten Ergebnisse einer Untersuchung zum Fall des entführten Bergdahl zusammenfasste. Das Verteidigungsministerium in Washington hat sich bislang nicht zu den Inhalten des Papiers geäußert. "Informationen zu als geheim eingestuften Ermittlungen werden nicht kommentiert", sagte ein Sprecher des Pentagon.

Bereits in der Ausbildung soll Bergdahl seinen Posten verlassen haben

Zwar enthalte sich der Bericht der möglichen Schlussfolgerung, dass Bergdahl ein Deserteur sei, berichtet die Zeitung. Dennoch hätten Befragungen von Kameraden des damals 23-Jährigen ergeben, dass Bergdahl seinen Posten in der Nacht seiner Entführung offenbar aus freien Stücken verlassen habe. Und das war wohl nicht seine erste Dienstverfehlung: Bereits in seiner Zeit im Ausbildungszentrum der Army im kalifornischen Fort Irwin habe sich Bergdahl unerlaubt vom Gelände entfernt - entweder um einen Sonnenaufgang oder -untergang zu sehen oder um zu schauen, wie weit er komme. Einen belastbaren Hinweis auf die Motivation Bergdahls in der Nacht des 30. Juni 2009 gibt der Befund allerdings nicht.

Darüber hinaus rüge der Bericht laxe Sicherheitsstandards und mangelnde Disziplin in der Truppe, die seinerzeit im östlichen Afghanistan stationiert war, berichtet die New York Times.

In dem Papier, das einen Umfang von etwa 35 Seiten haben soll, werde bestätigt, dass Bergdahl seinen Computer und ein privates Notizbuch vor seinem Verschwinden in die Heimat schicken ließ. Es bleibt Spekulation, ob dies einen Hinweis auf eine bevorstehende Fahnenflucht darstellt. In dem Report werde davon berichtet, dass Bergdahl Schutzkleidung und Waffen an seinem Posten zurückgelassen und stattdessen Wasser, mehrere Messer und einen Kompass mit sich geführt habe.

Kameraden beschreiben ihn als "pünktlich und stets korrekt gekleidet"

Mit welcher Absicht sich Bergdahl von seinem Außenposten entfernt hat, ist damit nach wie vor unklar. Kameraden und Vorgesetze sollen ihn in dem Bericht als "pünktlich, stets in der korrekten Uniform gekleidet und kluge Fragen stellend" beschrieben haben, berichtet die New York Times. Darüber hinaus charakterisiere der Report Bergdahl als einen "freigeistigen jungen Mann, der Bücher über Kampfkunst las, mit afghanischen Soldaten Tee trank und dabei einige Sätze auf Paschtu aufschnappte sowie eine Sammlung von Wurfsternen und -messern besaß".

Ein Informant der Zeitung weist die Spekulation zurück, dass er in der Nacht seines Verschwindens einen Brief hinterlassen habe. Zugleich sollen Kollegen Bergdahls den Militärermittlern davon berichtet haben, dass er sich gelangweilt und frustriert über seine Aufgabe gezeigt habe.

US-Präsident Barack Obama und Verteidigungsminister Chuck Hagel haben den Austausch Bergdahls gegen fünf Guantanamo-Häftlinge unterdessen verteidigt. Am Rande des G-7-Gipfels in Brüssel sagte Obama: "Ich entschuldige mich keinesfalls dafür, sicherzustellen, dass wir einen jungen Mann zu seinen Eltern zurückbringen." Für ihn gelte der Grundsatz, niemanden zurückzulassen, "der die amerikanische Uniform trägt". Weil sich Bergdahls Gesundheitszustand im Vorfeld des Austauschs anscheinend verschlechtert habe, sei er zu schnellem Handeln gezwungen gewesen.

Hagel sagte in einem Interview mit der britischen BBC, es habe Gefahr für Leib und Leben des Soldaten bestanden. "Dies war die richtige Entscheidung aus den richtigen Gründen", betonte er. "Wir lassen unsere Leute nicht zurück." Ein Mitarbeiter des Senats sagte, die Taliban hätten mit der Ermordung Bergdahls gedroht, falls die Geheimvereinbarungen publik würden.

Das Parlament hatte Obama zuvor scharf kritisiert, weil er die Abgeordneten nicht frühzeitig über die Aktion informierte. Der Präsident muss den Senat per Gesetz mit einer Frist von 30 Tagen davon in Kenntnis setzen, wenn Guantanamo-Häftlinge freigelassen werden.

Willkommensfeier wurde abgesagt

Die amerikanische Regierung bestätigte am vergangenen Samstag, dass sich Bergdahl nach einer fünf Jahre dauernden Entführung in Afghanistan wieder in der Obhut der Vereinigten Staaten befindet. Im Gegenzug wurden die fünf ranghohen afghanischen Taliban-Mitglieder aus dem Gefangenenlager Guantanamo nach Katar gebracht. Die Regierung des Golfstaats hatte bei den langwierigen Verhandlungen vermittelt.

Die geplante Willkommensfeier in Bergdahls Heimatort wurde unterdessen abgesagt - offiziell aus Gründen der "öffentlichen Sicherheit". Der 8000-Einwohner-Ort Hailey im Bundesstaat Idaho könne den erwarteten Ansturm von Unterstützern und Gegnern des umstrittenen Gefangenenaustauschs nicht gerecht werden, teilten die Veranstalter mit.

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