Post von der Rentenkasse:Schlimmer Brief

Post von der Rentenkasse: SZ-Grafik

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(Foto: OH; Deutsche Rentenversicherung)

Unser Autor ärgert sich: Warum darf die Rentenkasse vom Bürger gnadenlos Exaktheit verlangen - während sie sich selbst beängstigend nebulös ausdrückt?

Von Johan Schloemann

Ich habe Post von der Deutschen Rentenversicherung bekommen. Betreff: "Kontenklärung".

Sehr gut, dachte ich. Jetzt kommt also der Brief, der uns höchstoffiziell erklärt, was es mit diesen ganzen neuen Rentenbeschlüssen auf sich hat. Was die zusätzliche Multimilliarden-Belastung der Rentenkasse wirklich bedeutet. Für die mittleren und jüngeren Jahrgänge, für den Generationenvertrag. Wie viel Rente kommt denn dann in ein paar Jahrzehnten wirklich heraus, wenn alles hier vergreist ist? Endlich dürfen wir das schöne rote Rentenpaket von Andrea Nahles aufmachen und verstehen, was drin ist. Wie beruhigend und fürsorglich das klingt: Kontenklärung!

Schnell aber stellt sich heraus, dass es sich um einen der schlimmsten Briefe handelt, die man überhaupt bekommen kann. Dass ihn fast jeder mal bekommt, wenn das Leben fortschreitet, bringt wenig Trost. Worum geht es? Um "Klärung Ihres Versicherungskontos".

In einem eng getakteten Alltag hat man ohnehin schon panische Angst vor Schreiben von Behörden oder Banken, die etwas komplizierter aussehen als eine einfache Rechnung. Hier aber ist jetzt von "ungeklärten Zeiten" die Rede und von "Mitwirkungspflichten". Alles soll ausdrücklich "nach bestem Wissen" ausgefüllt werden. Alle möglichen Bescheinigungen und Urkunden und Zeugnisse müssen vorgelegt werden. Und in Klammern steht immer hinzugefügt: ". . . (Original)".

Die FAZ hat sich neulich über die inflationäre Verwendung des Wortes "kafkaesk" lustig gemacht. Aber die Definition des Kafka-Forschers Thomas Anz, nämlich: "Ausgeliefertsein an unbegreifliche, anonyme, bürokratisch organisierte Mächte", die trifft das Gefühl doch recht genau, das dieser Brief beim Träger der Versicherungsnummer 51 020671 S 040 hervorruft.

Wenn man jünger ist, hat man immer die Eltern im Ohr: "Das musst du unbedingt gut aufbewahren!" Man denkt sich: Ja, ja, dann hefte ich das eben ab, dann ist erst mal Ruhe. Dass die ganzen Papiere irgendwas mit eigenen Interessen zu tun haben könnten, liegt hinter einem undurchdringlichen Schleier. The future's not ours to see.

Doch irgendwann haben sie dich. Dann kommt der Kontenklärungsbrief. Die ganzen Unterlagen, die man herauskramen muss, das untertanenhafte Schwitzen, weil was fehlen könnte - das ist ja nur das eine. Das andere ist die Pflicht zur persönlichen Bilanz. Selbst in einem äußerlich vergleichsweise unaufregenden Leben - Schule, Studium, ein PostDoc-Jahr, dann Arbeitnehmer - gibt es blinde Flecken; und plötzlich fühlt man sich mit Anfang vierzig so, als müsse man seine Memoiren schreiben (was manche Stars in dem Alter ja auch schon tun, aber die kriegen bestimmt keine Post von der Deutschen Rentenversicherung). Was war noch mal genau "Januar 2000 bis März 2000"? Da können sie alle noch so viel vom Jungbleiben erzählen und sich Turnschuhe anziehen - jung ist man nicht mehr, wenn man aus Berlin eine Aufstellung geschickt bekommt, in der das bisherige erwachsene Leben "Pflichtbeitragszeit" heißt.

Tief in die Kindheit führt die Frage "Haben Sie bis zum 31.12.1978 Schlechtwettergeld bezogen?"

Aber nun ran an das Formular. "Nachweise über Arbeitsverdienst bis 28.02.1971" finde ich eher schwer beizubringen, weil ich einige Monate später geboren bin. "Waren sie in der Zeit vom 1.7.1975 bis 31.12.1991 voll erwerbsgemindert?" Auch nicht ganz leicht: Irgendwie erwerbsgemindert war ich in Kindheit und Jugend ja schon, aber war ich es auch "voll"? Ebenfalls tief in die Kindheit führt die Frage "Haben Sie bis zum 31.12.1978 Schlechtwettergeld bezogen?" Das könnte zeithistorisch irgendwie mit Rudi Carrells Hit "Wann wird's mal wieder richtig Sommer?" (1975) zusammenhängen, aber ich kann mich wirklich schlecht erinnern.

Und weiter: "Haben Sie Zeiten im Ausland (einschließlich Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts) zurückgelegt?" Was bedeutet in diesem Zusammenhang "gewöhnlich"? Sind da Länder gemeint, in die jeder Depp fährt? Zählen originelle Reiseziele vielleicht doppelt? Und was heißt hier in dieser Lebensbeichte immer "zurückgelegt"? Wenn es erfüllte, schöne Zeiten waren, ist es dann richtig zu sagen, man habe sie "zurückgelegt"?

Aber wir sind noch nicht fertig: "Haben Sie auf einem Rheinschiff eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit ausgeübt?" - "Waren Sie hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit?" Hmm. Wie berechnet sich wohl die Rente von Leuten, die auf Rheinschiffen gearbeitet haben und bei der Stasi waren?

Schon klar, Bürokratieschelte ist immer etwas billig. Jeder griechische Rentner wäre froh über meine Probleme. Was einen aber wirklich ärgern darf, ist dies: Dass die Behörde vom Bürger gnadenlos größtmögliche Exaktheit der Rechenschaftsablage fordert, während sie sich selbst so beängstigend nebulös ausdrücken darf. Um nicht "kafkaesk" zu sagen.

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