Palästinenser im Hungerstreik:Ohne Anklage im Gefängnis in Israel

Palästinenser im Hungerstreik: Palästinenser demonstrieren in Ostjerusalem für die Gefangenen im Hungerstreik

Palästinenser demonstrieren in Ostjerusalem für die Gefangenen im Hungerstreik

(Foto: AFP)

Zum Teil sind sie seit Jahren im Gefängnis, ohne Anklage, ohne Verhandlung: 400 palästinensische Gefangene sind jetzt in Israel im Hungerstreik, um gegen diese Praxis der israelischen Regierung zu protestieren. Doch die will hart bleiben. Das könnte dramatische Folgen haben.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Es ist ein Protest mit letztem Einsatz. Etwa 130 palästinensische Häftlinge sind in ihren Gefängniszellen in Israel in den Hungerstreik getreten. Seit dem 24. April schon verweigern sie die Nahrung und nehmen nur noch Wasser vermischt mit Salz und einigen Vitaminen zu sich. Knapp 80 von ihnen müssen mittlerweile medizinisch betreut werden, von Schwächeanfällen ist die Rede, von Schwindel und inneren Blutungen.

Doch an ein Ende des selbst gewählten Martyriums ist nicht zu denken. "Wir werden nicht aufgeben, bis wir unser Ziel erreicht haben", ließen sie in dieser Woche in einem Brief aus der Haft verlauten, "wir sind bereit zu sterben und haben uns geschworen, dass es keinen Weg zurück gibt."

Das Ziel, das sie erzwingen wollen, ist eine Abkehr von der Praxis der sogenannten Verwaltungshaft. Nach Besatzungsrecht kann Israel Palästinenser für sechs Monate ohne Verfahren und sogar ohne Angabe von Gründen einsperren - und anschließend diese Haftzeit beliebig oft verlängern.

Derzeit sitzen knapp 200 Palästinenser in Verwaltungshaft, manche von ihnen schon seit Jahren. Einige der insgesamt 5000 anderen Palästinenser, die in Israels Gefängnissen inhaftiert sind, haben sich inzwischen dem Protest angeschlossen, sodass die Führung in Ramallah nun von bis zu 400 Hungerstreikenden spricht. Um deren Aktion zu unterstützen, soll nun möglichst viel Druck aufgebaut werden, sowohl national als auch international.

Palästinenser-Führung mit Januskopf

Im Auftrag von Präsident Mahmud Abbas hat der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat in einem Brief an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein "sofortiges Eingreifen" der Weltgemeinschaft gefordert. Die Verwaltungshaft sei "eine der schlimmsten Ungerechtigkeiten der Militärherrschaft", hieß es darin.

Vorauseilende Unterstützung hatten die Palästinenser zuvor schon von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erhalten, der seine Sorge über den Gesundheitszustand der Hungerstreikenden kundgetan und gefordert hatte, die Häftlinge müssten "angeklagt oder umgehend freigelassen werden".

In der Heimat wird ebenfalls Solidarität bekundet, zuletzt auch von den Händlern im arabischen Ostteil von Jerusalem, die am Donnerstag ihre Geschäfte geschlossen hielten; damit verwirrten sie auch viele Touristen, die durch eine verrammelte Altstadt irrten. Doch zur Massenmobilisierung hat es bislang noch nicht gereicht. Die Palästinenser sind des Protests müde, und obendrein erkennen sie wohl die Janusköpfigkeit ihrer Führung, die einerseits gegen die Veraltungshaft agitiert, andererseits aber eine enge Sicherheitskooperation mit Israel pflegt.

Die Zeitung Haaretz weiß sogar von Verwaltungshäftlingen zu berichten, die zuvor, ebenfalls ohne Verfahren, von der palästinensischen Autonomiebehörde gefangen gehalten worden waren - sowie von anderen, die unmittelbar nach ihrer Entlassung aus einem israelischen Gefängnis in der Heimat eingebuchtet wurden.

Auf Machtkampf könnte Explosion der Gewalt folgen

Israels Regierung hat bislang noch keinerlei Einlenken signalisiert. Im Gegenteil: Premierminister Benjamin Netanjahu scheint gewillt zu sein, den Konflikt auszutragen. Das Gesundheitsministerium verweigerte den Gefangenen den Besuch unabhängiger Ärzte, und mit Hochdruck soll gerade ein neues Gesetz durchs Parlament gebracht werden, das die Zwangsernährung der Hungerstreikenden erlauben würde.

Menschenrechtsgruppen und auch Mediziner protestieren dagegen, doch Berichten zufolge hat der Inlandsgeheimdienst Schin Bet nun die harte Haltung empfohlen, um nicht wie in früheren Fällen als nachgiebig und erpressbar dazustehen.

Auf beiden Seiten ist der Hungerstreik so zu einem Machtkampf geworden. Kein Kompromiss zeichnet sich ab, es wird nicht einmal verhandelt. Dies ist ein höchst gefährliches Spiel, denn der Tod eines oder mehrerer Häftlinge könnte eine Explosion der Gewalt zur Folge haben.

In ihrem Brief aus dem Gefängnis erheben die Hungerstreikenden schwere Vorwürfe gegen die behandelnden Ärzte, die sie zum Teil rund um die Uhr an ihren Betten festketten würden. "Wie lange will die Welt das noch ignorieren", schreiben sie, "vielleicht wacht sie erst auf, wenn wir tot sind."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: